Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.ARTIC. V. SECTIO II. was ich gelesen verstanden habe. Und kan ich versichern/ daß ich deswegennicht wenig zu leiden habe. Auff der andern seiten kan ich ihn auch nicht bil- lichen/ nicht allein deßwegen/ weil ich ihn nicht verstehe/ dabey auch die von der Biblischen und andren kirchen scribenten gewöhnlichen entfernte schreib-art/ ihn eben deswegen mir verdächtig machen/ sondern es sind die manchmal mir vorgelegte stellen aus ihm dermassen bewandt/ daß ich weder die sache/ so weit ich sie einsehe/ noch red-art billichen kan/ ja über einige fast einen greuel fasse/ und mich nichts anders ihn gar zu verwerffen abhält/ als weil ich sor- gen muß/ es möchte der jenige der rechte verstand nicht seyn/ welchen die wor- te mit sich zubringen scheinen. Daher ich von hertzen wünsche/ der doch son- sten der kirchen am allerliebsten ihre ruhe/ und daß sie wenig streitschrifften se- hen möchte/ gönnte/ daß wie der anfang geschehen/ die gantze sache vor den au- gen der kirchen von beiden seiten pro und contra also ausdisputirt würde/ daß wir endlich sehen/ was wir an dem mann haben/ ob wir ihn vor einen betrieg- lichen irrgeist halten müsten/ oder in einigen dingen etwas eines göttlichen liechts in ihm erkennen sollen. Daher mir lieb gewesen/ als Herr D. Hinckelmann 40. fragen heraus gegeben: auff welche einer zwahr eine antwort ertheilet/ die ich nicht weiß/ ob sie von allen des autoris liebhabern vor genehm gehalten werde werden: ein ander aber hat allein noch auff dir 10. ersten geantwortet/ auff solche art/ daß ich gestehe/ fast in einigem stutzig worden zuseyn/ ob nicht Jacob Böhmen insgemein unrecht geschehen möchte. Jedoch hat auch darauff ein ander etwas herauß gegeben. Wo alle 40 fragen so fleißig untersuchet wer- den (dann ich wünsche daß Herr D. Hinckelmann sich auch mit weiterer ant- wort heraus lasse) wolte ich hoffen/ meines wunsches/ daß die sache zu einer mehrern gewißheit käme/ gewähret zu werden. Davor ich gewiß göttliche gü- te demüthigst preisen würde. Wo nun der mir unbekante freund alle des autoris sachen mit unsrer Evangelischen analogia fidei zu conciliiren getrauet/ solte etwa nicht undienlich seyn/ wann er auch das vornehmste/ sonderlich über die puncten, darvon jetzt manchmal gestritten wird/ dem publico darlegte. Was zwar die angedeutete hypothesin anlangt/ daß der grund der Böhmischen Theosophiae stehe in dem temperament des guten und des bösen/ worinnen alle creaturen und also auch der mensch vor dem fall erschaffen worden seye/ und daß das böse von dem guten in krafft solches temperaments absorbiret worden/ und in ewiger stille würde geblieben seyn/ dafern es nicht durch den ab- fall auffgewickelt und in actum geführet worden wäre/ bekenne/ daß mir solche allerdings kein genügen thun/ und mich an dem autore nur mehr irre mache. Wie dann mein werther Herr wol bemercket/ daß kein temperament aus zweyen con- trariis bestehen könne/ deren eines bloß in potentia remotissima stünde/ daß an- dre actu verhanden wäre. Darneben erwege ich billich/ daß nichts böses/ weil dasselbige göttlichem willen und heiligkeit muß entgegen stehen (dann sonst wü- ste t 3
ARTIC. V. SECTIO II. was ich geleſen verſtanden habe. Und kan ich verſichern/ daß ich deswegennicht wenig zu leiden habe. Auff der andern ſeiten kan ich ihn auch nicht bil- lichen/ nicht allein deßwegen/ weil ich ihn nicht verſtehe/ dabey auch die von der Bibliſchen und andren kirchen ſcribenten gewoͤhnlichen entfernte ſchreib-art/ ihn eben deswegen mir verdaͤchtig machen/ ſondern es ſind die manchmal mir vorgelegte ſtellen aus ihm dermaſſen bewandt/ daß ich weder die ſache/ ſo weit ich ſie einſehe/ noch red-art billichen kan/ ja uͤber einige faſt einen greuel faſſe/ und mich nichts anders ihn gar zu verwerffen abhaͤlt/ als weil ich ſor- gen muß/ es moͤchte der jenige der rechte verſtand nicht ſeyn/ welchen die wor- te mit ſich zubringen ſcheinen. Daher ich von hertzen wuͤnſche/ der doch ſon- ſten der kirchen am allerliebſten ihre ruhe/ und daß ſie wenig ſtreitſchrifften ſe- hen moͤchte/ goͤnnte/ daß wie der anfang geſchehen/ die gantze ſache vor den au- gen der kirchen von beiden ſeiten pro und contra alſo ausdiſputirt wuͤrde/ daß wir endlich ſehen/ was wir an dem mann haben/ ob wir ihn vor einen betrieg- lichen irrgeiſt halten muͤſten/ oder in einigen dingen etwas eines goͤttlichen liechts in ihm erkennen ſollen. Daher mir lieb geweſen/ als Herr D. Hinckelmann 40. fragen heraus gegeben: auff welche einer zwahr eine antwort ertheilet/ die ich nicht weiß/ ob ſie von allen des autoris liebhabern vor genehm gehalten werde werden: ein ander aber hat allein noch auff dir 10. erſten geantwortet/ auff ſolche art/ daß ich geſtehe/ faſt in einigem ſtutzig worden zuſeyn/ ob nicht Jacob Boͤhmen insgemein unrecht geſchehen moͤchte. Jedoch hat auch darauff ein ander etwas herauß gegeben. Wo alle 40 fragen ſo fleißig unterſuchet wer- den (dann ich wuͤnſche daß Herr D. Hinckelmann ſich auch mit weiterer ant- wort heraus laſſe) wolte ich hoffen/ meines wunſches/ daß die ſache zu einer mehrern gewißheit kaͤme/ gewaͤhret zu werden. Davor ich gewiß goͤttliche guͤ- te demuͤthigſt preiſen wuͤrde. Wo nun der mir unbekante freund alle des autoris ſachen mit unſrer Evangeliſchen analogia fidei zu conciliiren getrauet/ ſolte etwa nicht undienlich ſeyn/ wann er auch das vornehmſte/ ſonderlich uͤber die puncten, darvon jetzt manchmal geſtritten wird/ dem publico darlegte. Was zwar die angedeutete hypotheſin anlangt/ daß der grund der Boͤhmiſchen Theoſophiæ ſtehe in dem temperament des guten und des boͤſen/ worinnen alle creaturen und alſo auch der menſch vor dem fall erſchaffen worden ſeye/ und daß das boͤſe von dem guten in krafft ſolches temperaments abſorbiret worden/ und in ewiger ſtille wuͤrde geblieben ſeyn/ dafern es nicht durch den ab- fall auffgewickelt und in actum gefuͤhret worden waͤre/ bekenne/ daß mir ſolche allerdings kein genuͤgen thun/ und mich an dem autore nur mehr irre mache. Wie dann mein werther Herr wol bemercket/ daß kein temperament aus zweyen con- trariis beſtehen koͤnne/ deren eines bloß in potentia remotiſſima ſtuͤnde/ daß an- dre actu verhanden waͤre. Darneben erwege ich billich/ daß nichts boͤſes/ weil daſſelbige goͤttlichem willen und heiligkeit muß entgegen ſtehen (dann ſonſt wuͤ- ſte t 3
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ARTIC. V. SECTIO II.
was ich geleſen verſtanden habe. Und kan ich verſichern/ daß ich deswegen
nicht wenig zu leiden habe. Auff der andern ſeiten kan ich ihn auch nicht bil-
lichen/ nicht allein deßwegen/ weil ich ihn nicht verſtehe/ dabey auch die von der
Bibliſchen und andren kirchen ſcribenten gewoͤhnlichen entfernte ſchreib-art/
ihn eben deswegen mir verdaͤchtig machen/ ſondern es ſind die manchmal mir
vorgelegte ſtellen aus ihm dermaſſen bewandt/ daß ich weder die ſache/ ſo weit
ich ſie einſehe/ noch red-art billichen kan/ ja uͤber einige faſt einen greuel
faſſe/ und mich nichts anders ihn gar zu verwerffen abhaͤlt/ als weil ich ſor-
gen muß/ es moͤchte der jenige der rechte verſtand nicht ſeyn/ welchen die wor-
te mit ſich zubringen ſcheinen. Daher ich von hertzen wuͤnſche/ der doch ſon-
ſten der kirchen am allerliebſten ihre ruhe/ und daß ſie wenig ſtreitſchrifften ſe-
hen moͤchte/ goͤnnte/ daß wie der anfang geſchehen/ die gantze ſache vor den au-
gen der kirchen von beiden ſeiten pro und contra alſo ausdiſputirt wuͤrde/ daß
wir endlich ſehen/ was wir an dem mann haben/ ob wir ihn vor einen betrieg-
lichen irrgeiſt halten muͤſten/ oder in einigen dingen etwas eines goͤttlichen liechts
in ihm erkennen ſollen. Daher mir lieb geweſen/ als Herr D. Hinckelmann
40. fragen heraus gegeben: auff welche einer zwahr eine antwort ertheilet/ die
ich nicht weiß/ ob ſie von allen des autoris liebhabern vor genehm gehalten werde
werden: ein ander aber hat allein noch auff dir 10. erſten geantwortet/ auff
ſolche art/ daß ich geſtehe/ faſt in einigem ſtutzig worden zuſeyn/ ob nicht Jacob
Boͤhmen insgemein unrecht geſchehen moͤchte. Jedoch hat auch darauff ein
ander etwas herauß gegeben. Wo alle 40 fragen ſo fleißig unterſuchet wer-
den (dann ich wuͤnſche daß Herr D. Hinckelmann ſich auch mit weiterer ant-
wort heraus laſſe) wolte ich hoffen/ meines wunſches/ daß die ſache zu einer
mehrern gewißheit kaͤme/ gewaͤhret zu werden. Davor ich gewiß goͤttliche guͤ-
te demuͤthigſt preiſen wuͤrde. Wo nun der mir unbekante freund alle des
autoris ſachen mit unſrer Evangeliſchen analogia fidei zu conciliiren
getrauet/ ſolte etwa nicht undienlich ſeyn/ wann er auch das vornehmſte/
ſonderlich uͤber die puncten, darvon jetzt manchmal geſtritten wird/ dem
publico darlegte. Was zwar die angedeutete hypotheſin anlangt/ daß der grund
der Boͤhmiſchen Theoſophiæ ſtehe in dem temperament des guten und des boͤſen/
worinnen alle creaturen und alſo auch der menſch vor dem fall erſchaffen worden
ſeye/ und daß das boͤſe von dem guten in krafft ſolches temperaments abſorbiret
worden/ und in ewiger ſtille wuͤrde geblieben ſeyn/ dafern es nicht durch den ab-
fall auffgewickelt und in actum gefuͤhret worden waͤre/ bekenne/ daß mir ſolche
allerdings kein genuͤgen thun/ und mich an dem autore nur mehr irre mache. Wie
dann mein werther Herr wol bemercket/ daß kein temperament aus zweyen con-
trariis beſtehen koͤnne/ deren eines bloß in potentia remotiſſima ſtuͤnde/ daß an-
dre actu verhanden waͤre. Darneben erwege ich billich/ daß nichts boͤſes/ weil
daſſelbige goͤttlichem willen und heiligkeit muß entgegen ſtehen (dann ſonſt wuͤ-
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/949>, abgerufen am 16.06.2024. |