das Zimmer wieder eine Zeit lang schweigend fort, dann blieb er abermals vor Melitta stehen, und sagte:
"Ich habe mich noch tiefer gedemüthigt. Ich habe gesehen, daß das Weib, nach der sich meine Seele sehnt, wie der Gekreuzigte nach einem Labetrunk, von einem andern geliebt wird; habe gesehen, daß sie diesen Andern wieder liebt mit jener Liebe, um die ich Gott auf meinen Knieen tausend und tausendmal mit heißen Thränen gebeten habe -- und habe nicht mit der Wimper gezuckt; ich habe der Schlange Eifer¬ sucht den Kopf zertreten -- ja, und mehr! ich habe redlich versucht, diesen Glücklichen nicht zu hassen, ich bin ihm entgegengekommen mit Gruß und Handschlag, ich habe mir sein Vertrauen, seine Liebe zu erwerben gesucht, nicht um zum Verräther an ihm und an Dir zu werden, sondern weil ich fühlte, daß mir Dein Glück theurer war, als Alles, und daß der, welchen Du liebtest, auch von mir geliebt werden oder von meiner Hand sterben müsse."
"Sie sind fürchterlich, Oldenburg!" rief Melitta, sich halb vom Stuhle erhebend; "soll denn nicht der geheimste Winkel meines Herzens vor Ihnen verbor¬ gen bleiben?"
"Ich bin nicht fürchterlich," sagte der Baron; "ich bin nur unbequem; das ist das Recht des Freundes.
das Zimmer wieder eine Zeit lang ſchweigend fort, dann blieb er abermals vor Melitta ſtehen, und ſagte:
„Ich habe mich noch tiefer gedemüthigt. Ich habe geſehen, daß das Weib, nach der ſich meine Seele ſehnt, wie der Gekreuzigte nach einem Labetrunk, von einem andern geliebt wird; habe geſehen, daß ſie dieſen Andern wieder liebt mit jener Liebe, um die ich Gott auf meinen Knieen tauſend und tauſendmal mit heißen Thränen gebeten habe — und habe nicht mit der Wimper gezuckt; ich habe der Schlange Eifer¬ ſucht den Kopf zertreten — ja, und mehr! ich habe redlich verſucht, dieſen Glücklichen nicht zu haſſen, ich bin ihm entgegengekommen mit Gruß und Handſchlag, ich habe mir ſein Vertrauen, ſeine Liebe zu erwerben geſucht, nicht um zum Verräther an ihm und an Dir zu werden, ſondern weil ich fühlte, daß mir Dein Glück theurer war, als Alles, und daß der, welchen Du liebteſt, auch von mir geliebt werden oder von meiner Hand ſterben müſſe.“
„Sie ſind fürchterlich, Oldenburg!“ rief Melitta, ſich halb vom Stuhle erhebend; „ſoll denn nicht der geheimſte Winkel meines Herzens vor Ihnen verbor¬ gen bleiben?“
„Ich bin nicht fürchterlich,“ ſagte der Baron; „ich bin nur unbequem; das iſt das Recht des Freundes.
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das Zimmer wieder eine Zeit lang ſchweigend fort,
dann blieb er abermals vor Melitta ſtehen, und ſagte:
„Ich habe mich noch tiefer gedemüthigt. Ich
habe geſehen, daß das Weib, nach der ſich meine
Seele ſehnt, wie der Gekreuzigte nach einem Labetrunk,
von einem andern geliebt wird; habe geſehen, daß ſie
dieſen Andern wieder liebt mit jener Liebe, um die
ich Gott auf meinen Knieen tauſend und tauſendmal
mit heißen Thränen gebeten habe — und habe nicht
mit der Wimper gezuckt; ich habe der Schlange Eifer¬
ſucht den Kopf zertreten — ja, und mehr! ich habe
redlich verſucht, dieſen Glücklichen nicht zu haſſen, ich
bin ihm entgegengekommen mit Gruß und Handſchlag,
ich habe mir ſein Vertrauen, ſeine Liebe zu erwerben
geſucht, nicht um zum Verräther an ihm und an Dir
zu werden, ſondern weil ich fühlte, daß mir Dein
Glück theurer war, als Alles, und daß der, welchen
Du liebteſt, auch von mir geliebt werden oder von
meiner Hand ſterben müſſe.“
„Sie ſind fürchterlich, Oldenburg!“ rief Melitta,
ſich halb vom Stuhle erhebend; „ſoll denn nicht der
geheimſte Winkel meines Herzens vor Ihnen verbor¬
gen bleiben?“
„Ich bin nicht fürchterlich,“ ſagte der Baron; „ich
bin nur unbequem; das iſt das Recht des Freundes.
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/206>, abgerufen am 18.06.2024.
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