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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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Ich erzählte der alten Tante sogleich alles,
und bat sie dringend, auf Rettungsmittel zu den-
ken, sie versprachs, und forderte nur, daß ich
noch am nämlichen Tage meine Wohnung im Klo-
ster nehmen solle, weil die Monarchin sehr streng
über den untadelhaften Ruf eines Mädchens wa-
che, und nur diese freiwillig gewählte Wohnung
mich vor ihrem immer regen Argwohne schützen
könne. Ich gehorchte ihrem Rathe, und zog so-
gleich in's Kloster. Am dritten Tage meldete mir
die Pförtnerin, daß eine Kammerfrau der Kaise-
rin mich zu sprechen verlange, ich staunte hoch,
als diese mir erzählte, daß sie von der Monar-
chin den Auftrag habe, mich in die Burg zu füh-
ren. Sorgen Sie nicht, fügte sie hinzu, als sie
meine Todesblässe sah. Ihre Tante ist bei der
Monarchin, und hat mir aufgetragen, Ihnen zu
sagen, daß alles gut gehen werde.

Ungeachtet dieser trostvollen Versicherung zit-
terte und bebte ich doch, und war kaum fähig,
mich anzukleiden. Ich war einer Ohnmacht na-
he, als ich zur Monarchin eingeführt wurde, sie
sah meine Angst und sprach gnädig und liebreich
mit mir. Sie fragte mich vieles, ich konnte nur
mit einem zitternden Ja und Nein antworten,
als sie aber forderte, daß ich ihr aufrichtig be-
kennen möchte: ob ich meinen Karl von ganzem
Herzen liebe, und ihn zu heirathen entschlossen

Erst. Bändch. M

Ich erzaͤhlte der alten Tante ſogleich alles,
und bat ſie dringend, auf Rettungsmittel zu den-
ken, ſie verſprachs, und forderte nur, daß ich
noch am naͤmlichen Tage meine Wohnung im Klo-
ſter nehmen ſolle, weil die Monarchin ſehr ſtreng
uͤber den untadelhaften Ruf eines Maͤdchens wa-
che, und nur dieſe freiwillig gewaͤhlte Wohnung
mich vor ihrem immer regen Argwohne ſchuͤtzen
koͤnne. Ich gehorchte ihrem Rathe, und zog ſo-
gleich in's Kloſter. Am dritten Tage meldete mir
die Pfoͤrtnerin, daß eine Kammerfrau der Kaiſe-
rin mich zu ſprechen verlange, ich ſtaunte hoch,
als dieſe mir erzaͤhlte, daß ſie von der Monar-
chin den Auftrag habe, mich in die Burg zu fuͤh-
ren. Sorgen Sie nicht, fuͤgte ſie hinzu, als ſie
meine Todesblaͤſſe ſah. Ihre Tante iſt bei der
Monarchin, und hat mir aufgetragen, Ihnen zu
ſagen, daß alles gut gehen werde.

Ungeachtet dieſer troſtvollen Verſicherung zit-
terte und bebte ich doch, und war kaum faͤhig,
mich anzukleiden. Ich war einer Ohnmacht na-
he, als ich zur Monarchin eingefuͤhrt wurde, ſie
ſah meine Angſt und ſprach gnaͤdig und liebreich
mit mir. Sie fragte mich vieles, ich konnte nur
mit einem zitternden Ja und Nein antworten,
als ſie aber forderte, daß ich ihr aufrichtig be-
kennen moͤchte: ob ich meinen Karl von ganzem
Herzen liebe, und ihn zu heirathen entſchloſſen

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[177/0191] Ich erzaͤhlte der alten Tante ſogleich alles, und bat ſie dringend, auf Rettungsmittel zu den- ken, ſie verſprachs, und forderte nur, daß ich noch am naͤmlichen Tage meine Wohnung im Klo- ſter nehmen ſolle, weil die Monarchin ſehr ſtreng uͤber den untadelhaften Ruf eines Maͤdchens wa- che, und nur dieſe freiwillig gewaͤhlte Wohnung mich vor ihrem immer regen Argwohne ſchuͤtzen koͤnne. Ich gehorchte ihrem Rathe, und zog ſo- gleich in's Kloſter. Am dritten Tage meldete mir die Pfoͤrtnerin, daß eine Kammerfrau der Kaiſe- rin mich zu ſprechen verlange, ich ſtaunte hoch, als dieſe mir erzaͤhlte, daß ſie von der Monar- chin den Auftrag habe, mich in die Burg zu fuͤh- ren. Sorgen Sie nicht, fuͤgte ſie hinzu, als ſie meine Todesblaͤſſe ſah. Ihre Tante iſt bei der Monarchin, und hat mir aufgetragen, Ihnen zu ſagen, daß alles gut gehen werde. Ungeachtet dieſer troſtvollen Verſicherung zit- terte und bebte ich doch, und war kaum faͤhig, mich anzukleiden. Ich war einer Ohnmacht na- he, als ich zur Monarchin eingefuͤhrt wurde, ſie ſah meine Angſt und ſprach gnaͤdig und liebreich mit mir. Sie fragte mich vieles, ich konnte nur mit einem zitternden Ja und Nein antworten, als ſie aber forderte, daß ich ihr aufrichtig be- kennen moͤchte: ob ich meinen Karl von ganzem Herzen liebe, und ihn zu heirathen entſchloſſen Erſt. Baͤndch. M

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/191>, abgerufen am 30.04.2024.