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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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sich mit vielfachen Interessen verknüpfen: er macht vor allem den Zweifel
an der Identität seiner Persönlichkeit möglich; für dritte aber ist die
Kenntniß des Aufenthalts an sich in vielen Fällen die erste Bedingung
für die Geltendmachung vielfacher Rechte, für die Sorge der wichtigsten
Interessen. Andererseits enthält jener Wechsel die durch den Einzelnen
vermittelte Berührung des Lebens verschiedener Orte, Länder, Reiche,
geistig sowohl als wirthschaftlich. In dieser Berührung entsteht nun
ein doppeltes Verhältniß. Einerseits bleibt der Einheimische mit
seinem ganzen Leben und Recht auch in der Fremde ein Theil und
Glied seines eignen Staates, und hat daher nicht bloß das Recht zu
fordern, daß sein Staat ihn schütze und vertrete, sondern der eigne
Staat muß das seinem Wesen nach thun; denn auch in der Fremde
ist die Wohlfahrt des einzelnen Staatsangehörigen ein Theil und eine
Bedingung der Wohlfahrt des Ganzen. Andererseits behält wieder der
Auswärtige, der mit dem eigenen Lande und seinen Angehörigen in
Berührung tritt, in und für diese Berührungen wenigstens zum Theil
das Recht seiner Heimath; er bildet nicht bloß mit seiner physischen
Person, sondern auch mit seiner ganzen Rechtssphäre ein, dem eignen
Lande nicht angehöriges, also dem eignen Rechtsleben nicht ganz unter-
worfenes Dasein: er ist ein fremdes Element. Es ist möglich, daß
er indifferent, es ist möglich, daß er nützlich und fördernd, es ist aber
auch möglich, daß er gefährlich ist, ja daß Verbrechen an ihm haften.
Die Gefahren, die er bringt, können wiederum den Einzelnen bedrohen,
sie können aber auch das Ganze treffen. Der Fremde kann der mate-
riellen Existenz des Staates, er kann auch dem geistigen Leben desselben
unmittelbar feindlich sein. Der Auswärtige, in so fern er in dieser
Weise seinem eignen Staate auch in dem andern noch angehört, heißt
nun der "Fremde." Die ganze örtliche Bewegung erscheint daher
stets in drei Grundformen: sie ist entweder die Reise des Fremden im
Inlande, oder die Reise des Inländers nach dem Auslande, oder die
Reise des Inländers im Inlande. Alle diese Formen haben nun die
obigen Beziehungen im Wesentlichen gemeinsam; und es ergibt sich
daher zunächst und im Allgemeinen, daß der örtliche Wechsel des Auf-
enthalts überhaupt der Verwaltung nicht gleichgültig sein kann. Sie
hat nach der Natur der obigen Verhältnisse nicht erst zu warten, bis
eine bestimmte That des Einzelnen sie in irgend einer Weise zum Ein-
schreiten durch Polizei oder Gericht veranlaßt; es ist vielmehr klar, daß
es die Thatsache des Aufenthaltes des Einzelnen an einem fremden
Ort an sich ist, welche von der Verwaltung fordert, daß sie sich in
irgend ein Verhältniß zu derselben setze. Und die Frage ist daher
im Grunde gar nicht mehr die, ob die Verwaltung für den Wechsel

ſich mit vielfachen Intereſſen verknüpfen: er macht vor allem den Zweifel
an der Identität ſeiner Perſönlichkeit möglich; für dritte aber iſt die
Kenntniß des Aufenthalts an ſich in vielen Fällen die erſte Bedingung
für die Geltendmachung vielfacher Rechte, für die Sorge der wichtigſten
Intereſſen. Andererſeits enthält jener Wechſel die durch den Einzelnen
vermittelte Berührung des Lebens verſchiedener Orte, Länder, Reiche,
geiſtig ſowohl als wirthſchaftlich. In dieſer Berührung entſteht nun
ein doppeltes Verhältniß. Einerſeits bleibt der Einheimiſche mit
ſeinem ganzen Leben und Recht auch in der Fremde ein Theil und
Glied ſeines eignen Staates, und hat daher nicht bloß das Recht zu
fordern, daß ſein Staat ihn ſchütze und vertrete, ſondern der eigne
Staat muß das ſeinem Weſen nach thun; denn auch in der Fremde
iſt die Wohlfahrt des einzelnen Staatsangehörigen ein Theil und eine
Bedingung der Wohlfahrt des Ganzen. Andererſeits behält wieder der
Auswärtige, der mit dem eigenen Lande und ſeinen Angehörigen in
Berührung tritt, in und für dieſe Berührungen wenigſtens zum Theil
das Recht ſeiner Heimath; er bildet nicht bloß mit ſeiner phyſiſchen
Perſon, ſondern auch mit ſeiner ganzen Rechtsſphäre ein, dem eignen
Lande nicht angehöriges, alſo dem eignen Rechtsleben nicht ganz unter-
worfenes Daſein: er iſt ein fremdes Element. Es iſt möglich, daß
er indifferent, es iſt möglich, daß er nützlich und fördernd, es iſt aber
auch möglich, daß er gefährlich iſt, ja daß Verbrechen an ihm haften.
Die Gefahren, die er bringt, können wiederum den Einzelnen bedrohen,
ſie können aber auch das Ganze treffen. Der Fremde kann der mate-
riellen Exiſtenz des Staates, er kann auch dem geiſtigen Leben deſſelben
unmittelbar feindlich ſein. Der Auswärtige, in ſo fern er in dieſer
Weiſe ſeinem eignen Staate auch in dem andern noch angehört, heißt
nun der „Fremde.“ Die ganze örtliche Bewegung erſcheint daher
ſtets in drei Grundformen: ſie iſt entweder die Reiſe des Fremden im
Inlande, oder die Reiſe des Inländers nach dem Auslande, oder die
Reiſe des Inländers im Inlande. Alle dieſe Formen haben nun die
obigen Beziehungen im Weſentlichen gemeinſam; und es ergibt ſich
daher zunächſt und im Allgemeinen, daß der örtliche Wechſel des Auf-
enthalts überhaupt der Verwaltung nicht gleichgültig ſein kann. Sie
hat nach der Natur der obigen Verhältniſſe nicht erſt zu warten, bis
eine beſtimmte That des Einzelnen ſie in irgend einer Weiſe zum Ein-
ſchreiten durch Polizei oder Gericht veranlaßt; es iſt vielmehr klar, daß
es die Thatſache des Aufenthaltes des Einzelnen an einem fremden
Ort an ſich iſt, welche von der Verwaltung fordert, daß ſie ſich in
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im Grunde gar nicht mehr die, ob die Verwaltung für den Wechſel

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[248/0270] ſich mit vielfachen Intereſſen verknüpfen: er macht vor allem den Zweifel an der Identität ſeiner Perſönlichkeit möglich; für dritte aber iſt die Kenntniß des Aufenthalts an ſich in vielen Fällen die erſte Bedingung für die Geltendmachung vielfacher Rechte, für die Sorge der wichtigſten Intereſſen. Andererſeits enthält jener Wechſel die durch den Einzelnen vermittelte Berührung des Lebens verſchiedener Orte, Länder, Reiche, geiſtig ſowohl als wirthſchaftlich. In dieſer Berührung entſteht nun ein doppeltes Verhältniß. Einerſeits bleibt der Einheimiſche mit ſeinem ganzen Leben und Recht auch in der Fremde ein Theil und Glied ſeines eignen Staates, und hat daher nicht bloß das Recht zu fordern, daß ſein Staat ihn ſchütze und vertrete, ſondern der eigne Staat muß das ſeinem Weſen nach thun; denn auch in der Fremde iſt die Wohlfahrt des einzelnen Staatsangehörigen ein Theil und eine Bedingung der Wohlfahrt des Ganzen. Andererſeits behält wieder der Auswärtige, der mit dem eigenen Lande und ſeinen Angehörigen in Berührung tritt, in und für dieſe Berührungen wenigſtens zum Theil das Recht ſeiner Heimath; er bildet nicht bloß mit ſeiner phyſiſchen Perſon, ſondern auch mit ſeiner ganzen Rechtsſphäre ein, dem eignen Lande nicht angehöriges, alſo dem eignen Rechtsleben nicht ganz unter- worfenes Daſein: er iſt ein fremdes Element. Es iſt möglich, daß er indifferent, es iſt möglich, daß er nützlich und fördernd, es iſt aber auch möglich, daß er gefährlich iſt, ja daß Verbrechen an ihm haften. Die Gefahren, die er bringt, können wiederum den Einzelnen bedrohen, ſie können aber auch das Ganze treffen. Der Fremde kann der mate- riellen Exiſtenz des Staates, er kann auch dem geiſtigen Leben deſſelben unmittelbar feindlich ſein. Der Auswärtige, in ſo fern er in dieſer Weiſe ſeinem eignen Staate auch in dem andern noch angehört, heißt nun der „Fremde.“ Die ganze örtliche Bewegung erſcheint daher ſtets in drei Grundformen: ſie iſt entweder die Reiſe des Fremden im Inlande, oder die Reiſe des Inländers nach dem Auslande, oder die Reiſe des Inländers im Inlande. Alle dieſe Formen haben nun die obigen Beziehungen im Weſentlichen gemeinſam; und es ergibt ſich daher zunächſt und im Allgemeinen, daß der örtliche Wechſel des Auf- enthalts überhaupt der Verwaltung nicht gleichgültig ſein kann. Sie hat nach der Natur der obigen Verhältniſſe nicht erſt zu warten, bis eine beſtimmte That des Einzelnen ſie in irgend einer Weiſe zum Ein- ſchreiten durch Polizei oder Gericht veranlaßt; es iſt vielmehr klar, daß es die Thatſache des Aufenthaltes des Einzelnen an einem fremden Ort an ſich iſt, welche von der Verwaltung fordert, daß ſie ſich in irgend ein Verhältniß zu derſelben ſetze. Und die Frage iſt daher im Grunde gar nicht mehr die, ob die Verwaltung für den Wechſel

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/270>, abgerufen am 30.04.2024.