"L'enseignement officiel n'a d'autre but, ici que de venir en aide a l'enseignement libre; aussi lorsque dans une localite il est suffisam- ment pourvu aux lections de l'enseignement primaire par les ecoles privees, la commune peut etre dispensee de l'obligation d'etablir elle meme une ecole." Gesetz von 1842 (Art. 1. 2. 3); de Fooz, Administration Belge IV. Tom. II. §. IV. Darüber entscheidet die Deputation; jedoch stellt die Gemeinde die Lehrer in den öffentlichen Volksschulen an, was schon das Gemeindegesetz (Art. 84) ihr zugesprochen hatte. Auch hat die Gemeinde sowohl die Oberaufsicht über die Lehrord- nung als über die Verwaltung; jedoch haben die Geistlichen zu aller Zeit das Recht, die Schulen zu besuchen. Auf diese Weise unterscheidet sich das belgische Volksschulwesen wie das gesammte belgische Bildungs- wesen von dem französischen dadurch, daß wir hier beide Systeme auch formell als gleichberechtigt neben einander auftreten sehen; das System der freien Schulen mit dem Recht die öffentlichen Schulen zu vertreten, und das der Gemeindeschulen; und die belgischen Verhältnisse bringen es mit sich, daß die ersteren meist von den geist- lichen Körperschaften ausgehen. Beide Systeme bekämpfen sich seit 1830 aufs hartnäckigste, und einer der großen Unterschiede des ganzen belgischen Lebens und Rechts von dem holländischen besteht eben in dieser Anerkennung der Macht der Geistlichkeit, von der sich Holland in der neuesten Zeit ganz freigemacht hat. -- Gleichfalls dem französischen Vorbilde entsprechend sind die Ecoles primaires superieures, Bürger- schulen mit der Unklarheit ihrer Stellung; ebenso die Ecoles normales, welche die Lehrerseminarien vertreten (s. unten). Die Gesetze und Ver- ordnungen, welche dem Gesetze von 1832 folgen, haben an diesem Charakter nichts Wesentliches geändert. Belgien ist, und wohl auf lange Zeit, dasjenige Land, in welchem die Frage nach der Stellung der Geistlichkeit zur Volksschule einfach durch die Scheidung der geistlichen von der weltlichen Volksschule erledigt ist, ohne daß jedoch die letztere damit ganz von der geistlichen Oberaufsicht und Ein- wirkung befreit wäre.
II. Eine formell noch klarere und ausgebildetere Nachahmung des französischen Systems tritt uns in dem allerdings noch sehr jungen, und für den größten Theil des neuen Reiches noch ganz auf dem Papier stehenden Volksschulwesen Italiens entgegen. Wir haben den Cha- rakter des italienischen Bildungswesens schon oben bezeichnet. Vergleicht man damit speziell das Volksschulwesen, so muß man sagen, daß während die gelehrte Bildung wesentlich auf dem System der alten Universitäten, die wirthschaftliche auf dem der deutschen Vorbilder be- ruht, der Gang des Volksschulwesens sich allerdings der Form nach dem
„L’enseignement officiel n’a d’autre but, ici que de venir en aide à l’enseignement libre; aussi lorsque dans une localité il est suffisam- ment pourvu aux lections de l’enseignement primaire par les écoles privées, la commune peut être dispensée dé l’obligation d’établir elle même une école.“ Geſetz von 1842 (Art. 1. 2. 3); de Fooz, Administration Belge IV. Tom. II. §. IV. Darüber entſcheidet die Deputation; jedoch ſtellt die Gemeinde die Lehrer in den öffentlichen Volksſchulen an, was ſchon das Gemeindegeſetz (Art. 84) ihr zugeſprochen hatte. Auch hat die Gemeinde ſowohl die Oberaufſicht über die Lehrord- nung als über die Verwaltung; jedoch haben die Geiſtlichen zu aller Zeit das Recht, die Schulen zu beſuchen. Auf dieſe Weiſe unterſcheidet ſich das belgiſche Volksſchulweſen wie das geſammte belgiſche Bildungs- weſen von dem franzöſiſchen dadurch, daß wir hier beide Syſteme auch formell als gleichberechtigt neben einander auftreten ſehen; das Syſtem der freien Schulen mit dem Recht die öffentlichen Schulen zu vertreten, und das der Gemeindeſchulen; und die belgiſchen Verhältniſſe bringen es mit ſich, daß die erſteren meiſt von den geiſt- lichen Körperſchaften ausgehen. Beide Syſteme bekämpfen ſich ſeit 1830 aufs hartnäckigſte, und einer der großen Unterſchiede des ganzen belgiſchen Lebens und Rechts von dem holländiſchen beſteht eben in dieſer Anerkennung der Macht der Geiſtlichkeit, von der ſich Holland in der neueſten Zeit ganz freigemacht hat. — Gleichfalls dem franzöſiſchen Vorbilde entſprechend ſind die Écoles primaires supérieures, Bürger- ſchulen mit der Unklarheit ihrer Stellung; ebenſo die Écoles normales, welche die Lehrerſeminarien vertreten (ſ. unten). Die Geſetze und Ver- ordnungen, welche dem Geſetze von 1832 folgen, haben an dieſem Charakter nichts Weſentliches geändert. Belgien iſt, und wohl auf lange Zeit, dasjenige Land, in welchem die Frage nach der Stellung der Geiſtlichkeit zur Volksſchule einfach durch die Scheidung der geiſtlichen von der weltlichen Volksſchule erledigt iſt, ohne daß jedoch die letztere damit ganz von der geiſtlichen Oberaufſicht und Ein- wirkung befreit wäre.
II. Eine formell noch klarere und ausgebildetere Nachahmung des franzöſiſchen Syſtems tritt uns in dem allerdings noch ſehr jungen, und für den größten Theil des neuen Reiches noch ganz auf dem Papier ſtehenden Volksſchulweſen Italiens entgegen. Wir haben den Cha- rakter des italieniſchen Bildungsweſens ſchon oben bezeichnet. Vergleicht man damit ſpeziell das Volksſchulweſen, ſo muß man ſagen, daß während die gelehrte Bildung weſentlich auf dem Syſtem der alten Univerſitäten, die wirthſchaftliche auf dem der deutſchen Vorbilder be- ruht, der Gang des Volksſchulweſens ſich allerdings der Form nach dem
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l’enseignement libre; aussi lorsque dans une localité il est suffisam-
ment pourvu aux lections de l’enseignement primaire par les écoles
privées, la commune peut être dispensée dé l’obligation d’établir
elle même une école.“ Geſetz von 1842 (Art. 1. 2. 3); de Fooz,
Administration Belge IV. Tom. II. §. IV. Darüber entſcheidet die
Deputation; jedoch ſtellt die Gemeinde die Lehrer in den öffentlichen
Volksſchulen an, was ſchon das Gemeindegeſetz (Art. 84) ihr zugeſprochen
hatte. Auch hat die Gemeinde ſowohl die Oberaufſicht über die Lehrord-
nung als über die Verwaltung; jedoch haben die Geiſtlichen zu aller
Zeit das Recht, die Schulen zu beſuchen. Auf dieſe Weiſe unterſcheidet
ſich das belgiſche Volksſchulweſen wie das geſammte belgiſche Bildungs-
weſen von dem franzöſiſchen dadurch, daß wir hier beide Syſteme
auch formell als gleichberechtigt neben einander auftreten ſehen;
das Syſtem der freien Schulen mit dem Recht die öffentlichen Schulen
zu vertreten, und das der Gemeindeſchulen; und die belgiſchen
Verhältniſſe bringen es mit ſich, daß die erſteren meiſt von den geiſt-
lichen Körperſchaften ausgehen. Beide Syſteme bekämpfen ſich ſeit
1830 aufs hartnäckigſte, und einer der großen Unterſchiede des ganzen
belgiſchen Lebens und Rechts von dem holländiſchen beſteht eben in dieſer
Anerkennung der Macht der Geiſtlichkeit, von der ſich Holland in der
neueſten Zeit ganz freigemacht hat. — Gleichfalls dem franzöſiſchen
Vorbilde entſprechend ſind die Écoles primaires supérieures, Bürger-
ſchulen mit der Unklarheit ihrer Stellung; ebenſo die Écoles normales,
welche die Lehrerſeminarien vertreten (ſ. unten). Die Geſetze und Ver-
ordnungen, welche dem Geſetze von 1832 folgen, haben an dieſem
Charakter nichts Weſentliches geändert. Belgien iſt, und wohl auf
lange Zeit, dasjenige Land, in welchem die Frage nach der Stellung
der Geiſtlichkeit zur Volksſchule einfach durch die Scheidung der
geiſtlichen von der weltlichen Volksſchule erledigt iſt, ohne daß
jedoch die letztere damit ganz von der geiſtlichen Oberaufſicht und Ein-
wirkung befreit wäre.
II. Eine formell noch klarere und ausgebildetere Nachahmung des
franzöſiſchen Syſtems tritt uns in dem allerdings noch ſehr jungen,
und für den größten Theil des neuen Reiches noch ganz auf dem Papier
ſtehenden Volksſchulweſen Italiens entgegen. Wir haben den Cha-
rakter des italieniſchen Bildungsweſens ſchon oben bezeichnet. Vergleicht
man damit ſpeziell das Volksſchulweſen, ſo muß man ſagen, daß
während die gelehrte Bildung weſentlich auf dem Syſtem der alten
Univerſitäten, die wirthſchaftliche auf dem der deutſchen Vorbilder be-
ruht, der Gang des Volksſchulweſens ſich allerdings der Form nach dem
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/138>, abgerufen am 13.05.2024.
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