wir ein solches Überladen schwacher Fassungskräfte mit Räthseln über Räthsel dem weisen pädagogischen Grund- satze nicht angemessen finden, welchen dasselbe Evange- lium, 16, 12. Jesu in den Mund legt. Das kann nicht spornen, sondern nur verwirren heissen, wenn einem sol- chen, der den bekannten Tropus von der Wiedergeburt beharrlich nicht versteht, zugemuthet wird, die unerhörte Vergleichung des Messias mit der ehernen Schlange auf dessen Tod zu beziehen, und diese Vorstellung sofort mit seinen jüdischen Begriffen zu vereinigen 16). Ganz anders verfährt Jesus in den drei ersten Evangelien: wenn sich hier von Seiten der Jünger ein Nichtverstehen zeigt, so bleibt er, wo er nicht überhaupt abbricht, oder die Re- ferenten offenbar unhistorisch bildliche Reden zusammen- häufen, mit ächtpädagogischer Assiduität eben an jenem Punkte stehen, bis er ihn völlig aufgeklärt hat, und geht erst dann, immer Schritt für Schritt, zu weiteren Beleh- rungen fort (so Matth. 13, 10 ff. 36 ff. 15, 16. 16, 8 ff.). Diess ist das Verfahren eines weisen Lehrers: die desul- torische, überladende und überspannende Manier dagegen, in welcher der vierte Evangelist ihn reden lässt, kann nur aus dem Interesse eines Darstellers erklärt werden, wel- cher den schon Anfangs angelegten Contrast zwischen der Weisheit des Lehrers und dem Unverstand des Schülers dadurch auf die effektvollste Weise steigern zu können glaubt, dass er vor demjenigen, welcher schon bei dem Leichtesten unverständige Fragen that, nun auch das Schwerste aufhäufen, und ihm diesem gegenüber vollends alle Gedanken vergehen lässt.
Von V. 16. an geht jezt selbst denjenigen Auslegern, die sich sonst in diesem Fache etwas zuzumuthen pflegen, der Glaube, dass auch das Folgende noch von Jesu so ge- sprochen sein könne, aus, was hier nicht blos Paulus, son-
16) vgl. Bretschneider, a. a. O.
Zweiter Abschnitt.
wir ein solches Überladen schwacher Fassungskräfte mit Räthseln über Räthsel dem weisen pädagogischen Grund- satze nicht angemessen finden, welchen dasselbe Evange- lium, 16, 12. Jesu in den Mund legt. Das kann nicht spornen, sondern nur verwirren heiſsen, wenn einem sol- chen, der den bekannten Tropus von der Wiedergeburt beharrlich nicht versteht, zugemuthet wird, die unerhörte Vergleichung des Messias mit der ehernen Schlange auf dessen Tod zu beziehen, und diese Vorstellung sofort mit seinen jüdischen Begriffen zu vereinigen 16). Ganz anders verfährt Jesus in den drei ersten Evangelien: wenn sich hier von Seiten der Jünger ein Nichtverstehen zeigt, so bleibt er, wo er nicht überhaupt abbricht, oder die Re- ferenten offenbar unhistorisch bildliche Reden zusammen- häufen, mit ächtpädagogischer Assiduität eben an jenem Punkte stehen, bis er ihn völlig aufgeklärt hat, und geht erst dann, immer Schritt für Schritt, zu weiteren Beleh- rungen fort (so Matth. 13, 10 ff. 36 ff. 15, 16. 16, 8 ff.). Dieſs ist das Verfahren eines weisen Lehrers: die desul- torische, überladende und überspannende Manier dagegen, in welcher der vierte Evangelist ihn reden läſst, kann nur aus dem Interesse eines Darstellers erklärt werden, wel- cher den schon Anfangs angelegten Contrast zwischen der Weisheit des Lehrers und dem Unverstand des Schülers dadurch auf die effektvollste Weise steigern zu können glaubt, daſs er vor demjenigen, welcher schon bei dem Leichtesten unverständige Fragen that, nun auch das Schwerste aufhäufen, und ihm diesem gegenüber vollends alle Gedanken vergehen läſst.
Von V. 16. an geht jezt selbst denjenigen Auslegern, die sich sonst in diesem Fache etwas zuzumuthen pflegen, der Glaube, daſs auch das Folgende noch von Jesu so ge- sprochen sein könne, aus, was hier nicht blos Paulus, son-
16) vgl. Bretschneider, a. a. O.
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Zweiter Abschnitt.
wir ein solches Überladen schwacher Fassungskräfte mit
Räthseln über Räthsel dem weisen pädagogischen Grund-
satze nicht angemessen finden, welchen dasselbe Evange-
lium, 16, 12. Jesu in den Mund legt. Das kann nicht
spornen, sondern nur verwirren heiſsen, wenn einem sol-
chen, der den bekannten Tropus von der Wiedergeburt
beharrlich nicht versteht, zugemuthet wird, die unerhörte
Vergleichung des Messias mit der ehernen Schlange auf
dessen Tod zu beziehen, und diese Vorstellung sofort mit
seinen jüdischen Begriffen zu vereinigen 16). Ganz anders
verfährt Jesus in den drei ersten Evangelien: wenn sich
hier von Seiten der Jünger ein Nichtverstehen zeigt, so
bleibt er, wo er nicht überhaupt abbricht, oder die Re-
ferenten offenbar unhistorisch bildliche Reden zusammen-
häufen, mit ächtpädagogischer Assiduität eben an jenem
Punkte stehen, bis er ihn völlig aufgeklärt hat, und geht
erst dann, immer Schritt für Schritt, zu weiteren Beleh-
rungen fort (so Matth. 13, 10 ff. 36 ff. 15, 16. 16, 8 ff.).
Dieſs ist das Verfahren eines weisen Lehrers: die desul-
torische, überladende und überspannende Manier dagegen,
in welcher der vierte Evangelist ihn reden läſst, kann nur
aus dem Interesse eines Darstellers erklärt werden, wel-
cher den schon Anfangs angelegten Contrast zwischen der
Weisheit des Lehrers und dem Unverstand des Schülers
dadurch auf die effektvollste Weise steigern zu können
glaubt, daſs er vor demjenigen, welcher schon bei dem
Leichtesten unverständige Fragen that, nun auch das
Schwerste aufhäufen, und ihm diesem gegenüber vollends
alle Gedanken vergehen läſst.
Von V. 16. an geht jezt selbst denjenigen Auslegern,
die sich sonst in diesem Fache etwas zuzumuthen pflegen,
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16) vgl. Bretschneider, a. a. O.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/666>, abgerufen am 18.06.2024.
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