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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Erstes Kapitel. §. 108.
nicht besser, als durch eine solche Vorherverkündigung,
geschehen konnte. Denn wie das Unbedeutendste, prophe-
tisch vorausverkündigt, durch solche Aufnahme in den Zu-
sammenhang eines höheren Wissens Bedeutung gewinnt:
so hört das Schmählichste, sobald es als Moment ei-
nes göttlichen Heilplans vorhergesagt wird, auf, schmäh-
lich zu sein, und wenn dann vollends eben derjeni-
ge, über welchen es verhängt ist, zugleich den propheti-
schen Geist besizt, es vorauszusehen und vorauszusagen:
so beweist er sich, indem er nicht bloss leidet, sondern auch
das göttliche Wissen um sein Leiden ist, als die ideale
Macht über dasselbe. Noch weiter ist hierin der vierte
Evangelist gegangen, indem er es der Ehre Jesu schuldig
zu sein glaubte, ihn auch als die reale Macht über sein
Leiden, als denjenigen, welchem nicht fremde Gewalt die
psukhe entreisse, sondern der sie mit freiem Willen hinge-
be, darzustellen (10, 17 f.), eine Darstellung, zu welcher
übrigens Matth. 26, 53, wo Jesus die Möglichkeit behaup-
tet, zu Abwendung seines Leidens den Vater um Engelle-
gionen zu bitten, bereits ein Ansaz ist.

§. 108.
Jesu Todesverkündigung im Allgemeinen; ihr Verhältniss zu den
jüdischen Messiasbegriffen; Aussprüche Jesu über den Zweck
und die Wirkungen seines Todes.

Ziehen wir auf diese Weise von den Äusserungen,
welche die Evangelisten Jesu über sein bevorstehendes Schick-
sal in den Mund legen, alles dasjenige ab, was die nähere
Bestimmtheit dieser Katastrophe betrifft: so bleibt uns doch
noch so viel, dass Jesus überhaupt vorherverkündigt habe,
ihm stehe Leiden und Tod bevor, und zwar insofern in
den A. T.lichen Orakeln dem Messias ein solches Schick-
sal vorausbestimmt sei. Da nun aber die angeführten A.-
T.lichen Hauptstellen, welche von Leiden und Tod handeln,
nur mit Unrecht auf den Messias bezogen werden, und

Erstes Kapitel. §. 108.
nicht besser, als durch eine solche Vorherverkündigung,
geschehen konnte. Denn wie das Unbedeutendste, prophe-
tisch vorausverkündigt, durch solche Aufnahme in den Zu-
sammenhang eines höheren Wissens Bedeutung gewinnt:
so hört das Schmählichste, sobald es als Moment ei-
nes göttlichen Heilplans vorhergesagt wird, auf, schmäh-
lich zu sein, und wenn dann vollends eben derjeni-
ge, über welchen es verhängt ist, zugleich den propheti-
schen Geist besizt, es vorauszusehen und vorauszusagen:
so beweist er sich, indem er nicht bloſs leidet, sondern auch
das göttliche Wissen um sein Leiden ist, als die ideale
Macht über dasselbe. Noch weiter ist hierin der vierte
Evangelist gegangen, indem er es der Ehre Jesu schuldig
zu sein glaubte, ihn auch als die reale Macht über sein
Leiden, als denjenigen, welchem nicht fremde Gewalt die
ψυχὴ entreisse, sondern der sie mit freiem Willen hinge-
be, darzustellen (10, 17 f.), eine Darstellung, zu welcher
übrigens Matth. 26, 53, wo Jesus die Möglichkeit behaup-
tet, zu Abwendung seines Leidens den Vater um Engelle-
gionen zu bitten, bereits ein Ansaz ist.

§. 108.
Jesu Todesverkündigung im Allgemeinen; ihr Verhältniss zu den
jüdischen Messiasbegriffen; Aussprüche Jesu über den Zweck
und die Wirkungen seines Todes.

Ziehen wir auf diese Weise von den Äusserungen,
welche die Evangelisten Jesu über sein bevorstehendes Schick-
sal in den Mund legen, alles dasjenige ab, was die nähere
Bestimmtheit dieser Katastrophe betrifft: so bleibt uns doch
noch so viel, daſs Jesus überhaupt vorherverkündigt habe,
ihm stehe Leiden und Tod bevor, und zwar insofern in
den A. T.lichen Orakeln dem Messias ein solches Schick-
sal vorausbestimmt sei. Da nun aber die angeführten A.-
T.lichen Hauptstellen, welche von Leiden und Tod handeln,
nur mit Unrecht auf den Messias bezogen werden, und

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[311/0330] Erstes Kapitel. §. 108. nicht besser, als durch eine solche Vorherverkündigung, geschehen konnte. Denn wie das Unbedeutendste, prophe- tisch vorausverkündigt, durch solche Aufnahme in den Zu- sammenhang eines höheren Wissens Bedeutung gewinnt: so hört das Schmählichste, sobald es als Moment ei- nes göttlichen Heilplans vorhergesagt wird, auf, schmäh- lich zu sein, und wenn dann vollends eben derjeni- ge, über welchen es verhängt ist, zugleich den propheti- schen Geist besizt, es vorauszusehen und vorauszusagen: so beweist er sich, indem er nicht bloſs leidet, sondern auch das göttliche Wissen um sein Leiden ist, als die ideale Macht über dasselbe. Noch weiter ist hierin der vierte Evangelist gegangen, indem er es der Ehre Jesu schuldig zu sein glaubte, ihn auch als die reale Macht über sein Leiden, als denjenigen, welchem nicht fremde Gewalt die ψυχὴ entreisse, sondern der sie mit freiem Willen hinge- be, darzustellen (10, 17 f.), eine Darstellung, zu welcher übrigens Matth. 26, 53, wo Jesus die Möglichkeit behaup- tet, zu Abwendung seines Leidens den Vater um Engelle- gionen zu bitten, bereits ein Ansaz ist. §. 108. Jesu Todesverkündigung im Allgemeinen; ihr Verhältniss zu den jüdischen Messiasbegriffen; Aussprüche Jesu über den Zweck und die Wirkungen seines Todes. Ziehen wir auf diese Weise von den Äusserungen, welche die Evangelisten Jesu über sein bevorstehendes Schick- sal in den Mund legen, alles dasjenige ab, was die nähere Bestimmtheit dieser Katastrophe betrifft: so bleibt uns doch noch so viel, daſs Jesus überhaupt vorherverkündigt habe, ihm stehe Leiden und Tod bevor, und zwar insofern in den A. T.lichen Orakeln dem Messias ein solches Schick- sal vorausbestimmt sei. Da nun aber die angeführten A.- T.lichen Hauptstellen, welche von Leiden und Tod handeln, nur mit Unrecht auf den Messias bezogen werden, und

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/330>, abgerufen am 30.04.2024.