sen sei, welcher durch dasselbe theils seine Lehre von Je- sus als dem fleischgewordenen logos bestätigen, theils das Ansehen der Apostel befestigen wollte 15)? In dieser Aus- stellung liegt das Richtige, dass das fragliche Schlussgebet nicht als ein unmittelbarer Erguss, sondern als Produkt der Reflexion, eher als eine Rede über Jesum, denn als eine Rede von ihm erscheint. Überall zeigt sich in dem- selben das Denken eines solchen, der schon weit vorwärts im Erfolge steht, und desswegen die Gestalt Jesu bereits in fernem, verklärendem Duft erblickt, ein Zauber, wel- chen er dadurch vermehrt, dass er seine, auf der Höhe einer fortgeschrittenen Entwicklung der christlichen Ge- meinde entsprungenen Gedanken von dem Gründer dersel- ben schon vor ihrer eigentlichen Entstehung ausgesprochen sein lässt. Aber auch in den vorhergehenden Abschiedsre- den erscheint Manches aus dem Erfolg heraus gesprochen. Der ganze Ton derselben erklärt sich doch am natürlich- sten, wenn die Reden Werk eines solchen sind, welchem der Tod Jesu bereits ein Vergangenes war, dessen Schreck- lichkeit in den segensreichen Folgen und der andächtigen Betrachtungsweise der Gemeinde sich gelind aufgelöst hat- te. Im Einzelnen ist, abgesehen von dem über die Wieder- kunft Gesagten, auch diejenige Wendung der christlichen Sache, welche man als Sendung des heiligen Geistes zu bezeichnen pflegt, in den Äusserungen über den Paraklet und dessen über die Welt zu haltendes Gericht (14, 16 ff. 25 f. 15, 26. 16, 7 ff. 13 ff.) mit einer Bestimmtheit voraus- gesagt, welche auf die Zeit nach dem Erfolge hinzuwei- sen scheint.
Indem aber auch von dem nächstbevorstehenden Er- folge, dem Leiden und Tod Jesu, das bestimmte Voraus- wissen in diesen Abschiedsreden liegt (13, 18 ff. 33. 38. 14, 30 f. 16, 5 ff. 16. 32 f.), tritt die johanneische Darstel-
15) a. a. O.
Drittes Kapitel. §. 122.
sen sei, welcher durch dasselbe theils seine Lehre von Je- sus als dem fleischgewordenen λόγος bestätigen, theils das Ansehen der Apostel befestigen wollte 15)? In dieser Aus- stellung liegt das Richtige, daſs das fragliche Schluſsgebet nicht als ein unmittelbarer Erguſs, sondern als Produkt der Reflexion, eher als eine Rede über Jesum, denn als eine Rede von ihm erscheint. Überall zeigt sich in dem- selben das Denken eines solchen, der schon weit vorwärts im Erfolge steht, und deſswegen die Gestalt Jesu bereits in fernem, verklärendem Duft erblickt, ein Zauber, wel- chen er dadurch vermehrt, daſs er seine, auf der Höhe einer fortgeschrittenen Entwicklung der christlichen Ge- meinde entsprungenen Gedanken von dem Gründer dersel- ben schon vor ihrer eigentlichen Entstehung ausgesprochen sein läſst. Aber auch in den vorhergehenden Abschiedsre- den erscheint Manches aus dem Erfolg heraus gesprochen. Der ganze Ton derselben erklärt sich doch am natürlich- sten, wenn die Reden Werk eines solchen sind, welchem der Tod Jesu bereits ein Vergangenes war, dessen Schreck- lichkeit in den segensreichen Folgen und der andächtigen Betrachtungsweise der Gemeinde sich gelind aufgelöst hat- te. Im Einzelnen ist, abgesehen von dem über die Wieder- kunft Gesagten, auch diejenige Wendung der christlichen Sache, welche man als Sendung des heiligen Geistes zu bezeichnen pflegt, in den Äusserungen über den Paraklet und dessen über die Welt zu haltendes Gericht (14, 16 ff. 25 f. 15, 26. 16, 7 ff. 13 ff.) mit einer Bestimmtheit voraus- gesagt, welche auf die Zeit nach dem Erfolge hinzuwei- sen scheint.
Indem aber auch von dem nächstbevorstehenden Er- folge, dem Leiden und Tod Jesu, das bestimmte Voraus- wissen in diesen Abschiedsreden liegt (13, 18 ff. 33. 38. 14, 30 f. 16, 5 ff. 16. 32 f.), tritt die johanneische Darstel-
15) a. a. O.
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Drittes Kapitel. §. 122.
sen sei, welcher durch dasselbe theils seine Lehre von Je-
sus als dem fleischgewordenen λόγος bestätigen, theils das
Ansehen der Apostel befestigen wollte 15)? In dieser Aus-
stellung liegt das Richtige, daſs das fragliche Schluſsgebet
nicht als ein unmittelbarer Erguſs, sondern als Produkt
der Reflexion, eher als eine Rede über Jesum, denn als
eine Rede von ihm erscheint. Überall zeigt sich in dem-
selben das Denken eines solchen, der schon weit vorwärts
im Erfolge steht, und deſswegen die Gestalt Jesu bereits
in fernem, verklärendem Duft erblickt, ein Zauber, wel-
chen er dadurch vermehrt, daſs er seine, auf der Höhe
einer fortgeschrittenen Entwicklung der christlichen Ge-
meinde entsprungenen Gedanken von dem Gründer dersel-
ben schon vor ihrer eigentlichen Entstehung ausgesprochen
sein läſst. Aber auch in den vorhergehenden Abschiedsre-
den erscheint Manches aus dem Erfolg heraus gesprochen.
Der ganze Ton derselben erklärt sich doch am natürlich-
sten, wenn die Reden Werk eines solchen sind, welchem
der Tod Jesu bereits ein Vergangenes war, dessen Schreck-
lichkeit in den segensreichen Folgen und der andächtigen
Betrachtungsweise der Gemeinde sich gelind aufgelöst hat-
te. Im Einzelnen ist, abgesehen von dem über die Wieder-
kunft Gesagten, auch diejenige Wendung der christlichen
Sache, welche man als Sendung des heiligen Geistes zu
bezeichnen pflegt, in den Äusserungen über den Paraklet
und dessen über die Welt zu haltendes Gericht (14, 16 ff.
25 f. 15, 26. 16, 7 ff. 13 ff.) mit einer Bestimmtheit voraus-
gesagt, welche auf die Zeit nach dem Erfolge hinzuwei-
sen scheint.
Indem aber auch von dem nächstbevorstehenden Er-
folge, dem Leiden und Tod Jesu, das bestimmte Voraus-
wissen in diesen Abschiedsreden liegt (13, 18 ff. 33. 38.
14, 30 f. 16, 5 ff. 16. 32 f.), tritt die johanneische Darstel-
15) a. a. O.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/488>, abgerufen am 13.06.2024.
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