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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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den, diesem Dichter einen Theil abgeben sollten.
Ganze Staaten waren stolz darauf, wenn er in sei-
nen Oden sie gelobt hatte. Für einige Verse, die
er zum Lob der Athenienser gemacht hatte, wurd er
nicht nur von dieser Stadt reichlich beschenkt; son-
dern sie ließ ihm auch noch eine eherne Statue sezen:
und als Alexander in dem heftigsten Zorn Theben,
Pindars Geburthsstadt, zerstöhren ließ, befahl er,
daß das Haus darin der Dichter ehemals gewohnt
hatte, verschont werde, und nahm dessen Familie
in seinen Schuz. So dachten die Griechen von dem
Dichter.

Horaz bezeuget bey jeder Gelegenheit, wie sehr
er ihn verehre. Er vergleicht seinen Gesang einem
gewaltigen von starkem Regen aufgeschwollenen
Bergstrohm, der mit unwiederstehlicher Gewalt alles
mit sich fortreißt. Ein andrer sehr feiner römischer
Kunstrichter urtheilet also von ihm. "Von den
neuen lyrischen Dichtern ist Pindar weit der erste.
Durch seinen hohen Geist, durch seine erhabene Pracht,
durch seine Figur- und Spruchreiche Schreibart über-
trift er alle andere. Er ist von einer so glüklichen,
so reichen und wie ein voller Strohm fließenden Be-
redsamkeit, daß Horaz ihn deshalb für unnachahm-
lich hält." (*) Horaz schäzet die Ehre von Pindar
besungen zu werden, höher, als wenn man durch
hundert Statuen belohnt würde.

-- Et centum potiore signis
Munere denat.
(*)

Dieser große Dichter lebte zu Theben in Böotien
ohngefehr zwischen der 65 und 85 Olympias. Von
seiner Erziehung, den Veranlassungen und Ursachen
der Entwiklung und Ausbildung seines poetischen
Genies ist uns wenig bekannt: aber dieses wenige
verdienet mit Aufmerksamkeit erwogen zu werden.
Sein Vater soll ein Flöthenspiehler gewesen seyn,
und den Sohn in seiner Kunst unterrichtet haben;
von einem gewissen Lasus aber soll er die Kunst die
Leyer zu spiehlen gelernt haben. Das fleißige Sin-
gen fremder Lieder mag sein eigenes dichterisches
Feuer angefacht haben. Wenn es wahr ist, was
Plutarchus von ihm und der Corinna erzählt; so
scheinet es, er habe anfänglich in seinen Gedichten
mehr auf den Ausdruk, als auf die Erfindung ge-
dacht. Denn diese schöne Dichterin soll ihm vorge-
worfen haben, daß er in seinen Gedichten mehr be-
redten Ausdruk, als Dichtungskraft zeige: und
darauf soll er ein Lied gemacht haben, darin er
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seiner dichterischen Phantasie nur zu sehr den Lauf
gelassen. (*) Man meldet von ihm, er habe an der
pythagorischen Philosophie Geschmak gefunden. Da-
rin konnte seine von Natur schon enthusiastische Ge-
müthsart starke Nahrung sinden. Noch zu des Erd-
beschreibers Pausanias Zeiten, zeigte man in dem Tem-
pel zu Delfi einen Seßel auf welchem Pindar, so oft er
dahin gekommen, seine Päane soll abgesungen haben.

Außer den Oden, davon wir noch eine beträcht-
liche Sammlung haben, hat Pindar noch sehr viel
andre Gedichte, Päanen, Bacchische Oden, Hym-
nen, Dithyramben, Elegien, Trauerspiehle u. a.
geschrieben. Die bis auf unsre Zeiten gekommenen
Oden haben überhaupt nur eine Gattung des Stoffs.
Der Dichter besingt darin das Lob derer, die zu sei-
ner Zeit in den verschiedenen öffentlichen Wettspieh-
len gesieget haben. Solche Siege waren damals
höchst wichtig "die höchste Ehre im Volke war ein
Olympischer Sieger zu seyn, und es wurde dieselbe
für eine Seeligkeit gehalten: denn die ganze Stadt
des Siegers hielte sich (dadurch) Heil wiederfahren;
daher diese Personen aus den gemeinen Einkünften
unterhalten wurden, und die Ehrenbezeugungen er-
strekten sich auf ihre Kinder; ja jene erhielten von
ihrer Stadt ein prächtiges Begräbnis. Es nahmen
folglich alle Mitbürger Theil an ihrer Statue, zu
welcher sie die Kosten aufbrachten, und der Künst-
ler derselben, hatte es mit dem ganzen Volke zu
thun." (*) Diese Sieger also beehrte Pindar mit
seinen Gesängen.

Für uns sind jene Spiehle ganz fremde Gegen-
stände, und die Sieger völlig gleichgültige Personen.
Aber die Art, wie der Dichter seinen Gegenstand je-
desmal besingt; die Größe und Stärke seiner Bered-
samkeit; die Wichtigkeit und das Tiefgedachte der
eingestreuten Anmerkungen und Denksprüche, und
der hohe Ton der Begeisterung, der selbst den ge-
meinesten Sachen ein großes Gewicht giebt, und
gemeine Gegenstände in einem merkwürdigen Lichte
darstellt; dieses macht auch uns den Dichter höchst
schäzbar.

Es gehörte unendlich mehr Kenntnis der griechi-
schen Sprache, und der griechischen Litteratur über-
haupt, als ich besize, dazu, um zu zeigen, was für
ein hohes und wunderbares Genie überall aus dem
Ton, aus der Sezung der Wörter, aus der Wen-
dung der Gedanken, aus dem oft schnell abgebro-
chenen Ausdruk und aus dem, diesem Dichter ganz

eigenen
(*) Quint.
Inst. L. X.
(*) Od.
L. IV.
2.
(*) Plut. in
dem Trak-
tat: ob die
Athenien-
ser im
Krieg
oder im
Frieden
größer
gewesen.
(*) Win-
kelm An-
merk über
die Ge-
schichte der
Kunst.
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den, dieſem Dichter einen Theil abgeben ſollten.
Ganze Staaten waren ſtolz darauf, wenn er in ſei-
nen Oden ſie gelobt hatte. Fuͤr einige Verſe, die
er zum Lob der Athenienſer gemacht hatte, wurd er
nicht nur von dieſer Stadt reichlich beſchenkt; ſon-
dern ſie ließ ihm auch noch eine eherne Statue ſezen:
und als Alexander in dem heftigſten Zorn Theben,
Pindars Geburthsſtadt, zerſtoͤhren ließ, befahl er,
daß das Haus darin der Dichter ehemals gewohnt
hatte, verſchont werde, und nahm deſſen Familie
in ſeinen Schuz. So dachten die Griechen von dem
Dichter.

Horaz bezeuget bey jeder Gelegenheit, wie ſehr
er ihn verehre. Er vergleicht ſeinen Geſang einem
gewaltigen von ſtarkem Regen aufgeſchwollenen
Bergſtrohm, der mit unwiederſtehlicher Gewalt alles
mit ſich fortreißt. Ein andrer ſehr feiner roͤmiſcher
Kunſtrichter urtheilet alſo von ihm. „Von den
neuen lyriſchen Dichtern iſt Pindar weit der erſte.
Durch ſeinen hohen Geiſt, durch ſeine erhabene Pracht,
durch ſeine Figur- und Spruchreiche Schreibart uͤber-
trift er alle andere. Er iſt von einer ſo gluͤklichen,
ſo reichen und wie ein voller Strohm fließenden Be-
redſamkeit, daß Horaz ihn deshalb fuͤr unnachahm-
lich haͤlt.“ (*) Horaz ſchaͤzet die Ehre von Pindar
beſungen zu werden, hoͤher, als wenn man durch
hundert Statuen belohnt wuͤrde.

Et centum potiore ſignis
Munere denat.
(*)

Dieſer große Dichter lebte zu Theben in Boͤotien
ohngefehr zwiſchen der 65 und 85 Olympias. Von
ſeiner Erziehung, den Veranlaſſungen und Urſachen
der Entwiklung und Ausbildung ſeines poetiſchen
Genies iſt uns wenig bekannt: aber dieſes wenige
verdienet mit Aufmerkſamkeit erwogen zu werden.
Sein Vater ſoll ein Floͤthenſpiehler geweſen ſeyn,
und den Sohn in ſeiner Kunſt unterrichtet haben;
von einem gewiſſen Laſus aber ſoll er die Kunſt die
Leyer zu ſpiehlen gelernt haben. Das fleißige Sin-
gen fremder Lieder mag ſein eigenes dichteriſches
Feuer angefacht haben. Wenn es wahr iſt, was
Plutarchus von ihm und der Corinna erzaͤhlt; ſo
ſcheinet es, er habe anfaͤnglich in ſeinen Gedichten
mehr auf den Ausdruk, als auf die Erfindung ge-
dacht. Denn dieſe ſchoͤne Dichterin ſoll ihm vorge-
worfen haben, daß er in ſeinen Gedichten mehr be-
redten Ausdruk, als Dichtungskraft zeige: und
darauf ſoll er ein Lied gemacht haben, darin er
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ſeiner dichteriſchen Phantaſie nur zu ſehr den Lauf
gelaſſen. (*) Man meldet von ihm, er habe an der
pythagoriſchen Philoſophie Geſchmak gefunden. Da-
rin konnte ſeine von Natur ſchon enthuſiaſtiſche Ge-
muͤthsart ſtarke Nahrung ſinden. Noch zu des Erd-
beſchreibers Pauſanias Zeiten, zeigte man in dem Tem-
pel zu Delfi einen Seßel auf welchem Pindar, ſo oft er
dahin gekommen, ſeine Paͤane ſoll abgeſungen haben.

Außer den Oden, davon wir noch eine betraͤcht-
liche Sammlung haben, hat Pindar noch ſehr viel
andre Gedichte, Paͤanen, Bacchiſche Oden, Hym-
nen, Dithyramben, Elegien, Trauerſpiehle u. a.
geſchrieben. Die bis auf unſre Zeiten gekommenen
Oden haben uͤberhaupt nur eine Gattung des Stoffs.
Der Dichter beſingt darin das Lob derer, die zu ſei-
ner Zeit in den verſchiedenen oͤffentlichen Wettſpieh-
len geſieget haben. Solche Siege waren damals
hoͤchſt wichtig „die hoͤchſte Ehre im Volke war ein
Olympiſcher Sieger zu ſeyn, und es wurde dieſelbe
fuͤr eine Seeligkeit gehalten: denn die ganze Stadt
des Siegers hielte ſich (dadurch) Heil wiederfahren;
daher dieſe Perſonen aus den gemeinen Einkuͤnften
unterhalten wurden, und die Ehrenbezeugungen er-
ſtrekten ſich auf ihre Kinder; ja jene erhielten von
ihrer Stadt ein praͤchtiges Begraͤbnis. Es nahmen
folglich alle Mitbuͤrger Theil an ihrer Statue, zu
welcher ſie die Koſten aufbrachten, und der Kuͤnſt-
ler derſelben, hatte es mit dem ganzen Volke zu
thun.“ (*) Dieſe Sieger alſo beehrte Pindar mit
ſeinen Geſaͤngen.

Fuͤr uns ſind jene Spiehle ganz fremde Gegen-
ſtaͤnde, und die Sieger voͤllig gleichguͤltige Perſonen.
Aber die Art, wie der Dichter ſeinen Gegenſtand je-
desmal beſingt; die Groͤße und Staͤrke ſeiner Bered-
ſamkeit; die Wichtigkeit und das Tiefgedachte der
eingeſtreuten Anmerkungen und Denkſpruͤche, und
der hohe Ton der Begeiſterung, der ſelbſt den ge-
meineſten Sachen ein großes Gewicht giebt, und
gemeine Gegenſtaͤnde in einem merkwuͤrdigen Lichte
darſtellt; dieſes macht auch uns den Dichter hoͤchſt
ſchaͤzbar.

Es gehoͤrte unendlich mehr Kenntnis der griechi-
ſchen Sprache, und der griechiſchen Litteratur uͤber-
haupt, als ich beſize, dazu, um zu zeigen, was fuͤr
ein hohes und wunderbares Genie uͤberall aus dem
Ton, aus der Sezung der Woͤrter, aus der Wen-
dung der Gedanken, aus dem oft ſchnell abgebro-
chenen Ausdruk und aus dem, dieſem Dichter ganz

eigenen
(*) Quint.
Inſt. L. X.
(*) Od.
L. IV.
2.
(*) Plut. in
dem Trak-
tat: ob die
Athenien-
ſer im
Krieg
oder im
Frieden
groͤßer
geweſen.
(*) Win-
kelm An-
merk uͤber
die Ge-
ſchichte der
Kunſt.
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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 903[885]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/321>, abgerufen am 30.04.2024.