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Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Vierdter Theil. Halle, 1725.

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Maaß mir beywohnenden Begriff nach unverhalten. Und zwar da (1)ersten Frage mit Unterscheid. gefraget wird: Ob nicht ein jeder Mensch es lebe derselbe bey denen Lutherischen oder bey denen Catholischen wann er Christum nach dem geoffenbahrten Wort, für das Mittel der Seeligkeit hält, dessen Verdienst und Gerechtigkeit durch den wahren Glauben ergreiffet, und ihn appliciret, das ewige Leben erlange? So erachte in unterthänigster Unmaßgeblichkeit, daß freylich der inwendige Glaubens-Ergriff des H. Verdienstes Christi den Menschen für GOttes Gericht rechtfertige; Doch solchergestalt, daß sothaner Ergriff mit der Thätlichkeit des Glaubens aus und in Christo vergesellschaftet seyn müsse. Zuförderst will das Christliche Religions-und Glaubens-Wesen, wie nach Fügung Göttlicher Providence in menschlichen Societäten und Christlichen Gemeinden, so nach denen Satzungen GOttes und CHristi auch in äusserlichen unbefleckten Wesen und Gottesdiensten sich geführet wissen. Dahin denn ohnzweiffentlich mit gehöret die reineste (so viel in dieser Unvollkommenheit müglich ist) und unbefleckteste Kirche, darinn man seinem GOtt den unbefleckten heiligen Dienst hier auf Erden, biß man zu der Gesellschafft der vollkommenen Geister in der triumphirenden Kirche hinan komme, halte. Da ist nun zwar kein Zweiffel, der gütige GOtt werde mit denen Heerden und derer armen Schaaffen, die auf keine andere Weyde geführet sind, väterliche Gedult tragen; solten aber diejenigen Lämmer, welche er in seinen Busen getragen, dieselbe zu den frischen Wassern und grünen Auen des Lebens geführet, vorsetziglich auf die Moräste oder dürre Hayden lauffen, da hätte es wohl eine andere Aussicht. Die Catholische Kirche demnach betreffend, so kan nicht geläugnet werden, daß der Eckstein Zions und der Grund der Seeligkeit darinn nicht gantz aufgehoben sey: Doch ists offenbahr, daß auf diesen Grundstein viel Heu und Stoppeln aufgebauet; das Feuer aber wirds verzehren, und wo man ein Gebäude von Perlen und Edelgesteinen haben kan, wer wolte des andern? Immittelst ist das ohne Zweiffel, GOTT dulte Heu und Stoppeln an Gebäuden, die nicht anderst aus Mangel und Schwachheit erbauet, jedennoch, wie solte er ihm gefallen lassen, daß man die Perlen, die er mit göttlicher Sorgfalt an sein heiliges Gebäude gesetzet, ausreiste und Stoppeln an ihre Stelle setzte? Oder auch, wer wolte aus einen Fürstlichen saubern Pallast in eine unrendliche Bauer-Hütte ziehen? Und wann dieses in himmlischen Sachen geschehen würde, dürffte es zweiffels frey dem heiligen reinen GOtt nicht sonderlich gefallen. Diesemnach ermesse, meinem geringen Begriff nach, nicht irraisonable zu

Maaß mir beywohnenden Begriff nach unverhalten. Und zwar da (1)ersten Frage mit Unterscheid. gefraget wird: Ob nicht ein jeder Mensch es lebe derselbe bey denen Lutherischen oder bey denen Catholischen wann er Christum nach dem geoffenbahrten Wort, für das Mittel der Seeligkeit hält, dessen Verdienst und Gerechtigkeit durch den wahren Glauben ergreiffet, und ihn appliciret, das ewige Leben erlange? So erachte in unterthänigster Unmaßgeblichkeit, daß freylich der inwendige Glaubens-Ergriff des H. Verdienstes Christi den Menschen für GOttes Gericht rechtfertige; Doch solchergestalt, daß sothaner Ergriff mit der Thätlichkeit des Glaubens aus und in Christo vergesellschaftet seyn müsse. Zuförderst will das Christliche Religions-und Glaubens-Wesen, wie nach Fügung Göttlicher Providence in menschlichen Societäten und Christlichen Gemeinden, so nach denen Satzungen GOttes und CHristi auch in äusserlichen unbefleckten Wesen und Gottesdiensten sich geführet wissen. Dahin denn ohnzweiffentlich mit gehöret die reineste (so viel in dieser Unvollkommenheit müglich ist) und unbefleckteste Kirche, darinn man seinem GOtt den unbefleckten heiligen Dienst hier auf Erden, biß man zu der Gesellschafft der vollkommenen Geister in der triumphirenden Kirche hinan komme, halte. Da ist nun zwar kein Zweiffel, der gütige GOtt werde mit denen Heerden und derer armen Schaaffen, die auf keine andere Weyde geführet sind, väterliche Gedult tragen; solten aber diejenigen Lämmer, welche er in seinen Busen getragen, dieselbe zu den frischen Wassern und grünen Auen des Lebens geführet, vorsetziglich auf die Moräste oder dürre Hayden lauffen, da hätte es wohl eine andere Aussicht. Die Catholische Kirche demnach betreffend, so kan nicht geläugnet werden, daß der Eckstein Zions und der Grund der Seeligkeit darinn nicht gantz aufgehoben sey: Doch ists offenbahr, daß auf diesen Grundstein viel Heu und Stoppeln aufgebauet; das Feuer aber wirds verzehren, und wo man ein Gebäude von Perlen und Edelgesteinen haben kan, wer wolte des andern? Immittelst ist das ohne Zweiffel, GOTT dulte Heu und Stoppeln an Gebäuden, die nicht anderst aus Mangel und Schwachheit erbauet, jedennoch, wie solte er ihm gefallen lassen, daß man die Perlen, die er mit göttlicher Sorgfalt an sein heiliges Gebäude gesetzet, ausreiste und Stoppeln an ihre Stelle setzte? Oder auch, wer wolte aus einen Fürstlichen saubern Pallast in eine unrendliche Bauer-Hütte ziehen? Und wann dieses in himmlischen Sachen geschehen würde, dürffte es zweiffels frey dem heiligen reinen GOtt nicht sonderlich gefallen. Diesemnach ermesse, meinem geringen Begriff nach, nicht irraisonable zu

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[27/0035] Maaß mir beywohnenden Begriff nach unverhalten. Und zwar da (1) gefraget wird: Ob nicht ein jeder Mensch es lebe derselbe bey denen Lutherischen oder bey denen Catholischen wann er Christum nach dem geoffenbahrten Wort, für das Mittel der Seeligkeit hält, dessen Verdienst und Gerechtigkeit durch den wahren Glauben ergreiffet, und ihn appliciret, das ewige Leben erlange? So erachte in unterthänigster Unmaßgeblichkeit, daß freylich der inwendige Glaubens-Ergriff des H. Verdienstes Christi den Menschen für GOttes Gericht rechtfertige; Doch solchergestalt, daß sothaner Ergriff mit der Thätlichkeit des Glaubens aus und in Christo vergesellschaftet seyn müsse. Zuförderst will das Christliche Religions-und Glaubens-Wesen, wie nach Fügung Göttlicher Providence in menschlichen Societäten und Christlichen Gemeinden, so nach denen Satzungen GOttes und CHristi auch in äusserlichen unbefleckten Wesen und Gottesdiensten sich geführet wissen. Dahin denn ohnzweiffentlich mit gehöret die reineste (so viel in dieser Unvollkommenheit müglich ist) und unbefleckteste Kirche, darinn man seinem GOtt den unbefleckten heiligen Dienst hier auf Erden, biß man zu der Gesellschafft der vollkommenen Geister in der triumphirenden Kirche hinan komme, halte. Da ist nun zwar kein Zweiffel, der gütige GOtt werde mit denen Heerden und derer armen Schaaffen, die auf keine andere Weyde geführet sind, väterliche Gedult tragen; solten aber diejenigen Lämmer, welche er in seinen Busen getragen, dieselbe zu den frischen Wassern und grünen Auen des Lebens geführet, vorsetziglich auf die Moräste oder dürre Hayden lauffen, da hätte es wohl eine andere Aussicht. Die Catholische Kirche demnach betreffend, so kan nicht geläugnet werden, daß der Eckstein Zions und der Grund der Seeligkeit darinn nicht gantz aufgehoben sey: Doch ists offenbahr, daß auf diesen Grundstein viel Heu und Stoppeln aufgebauet; das Feuer aber wirds verzehren, und wo man ein Gebäude von Perlen und Edelgesteinen haben kan, wer wolte des andern? Immittelst ist das ohne Zweiffel, GOTT dulte Heu und Stoppeln an Gebäuden, die nicht anderst aus Mangel und Schwachheit erbauet, jedennoch, wie solte er ihm gefallen lassen, daß man die Perlen, die er mit göttlicher Sorgfalt an sein heiliges Gebäude gesetzet, ausreiste und Stoppeln an ihre Stelle setzte? Oder auch, wer wolte aus einen Fürstlichen saubern Pallast in eine unrendliche Bauer-Hütte ziehen? Und wann dieses in himmlischen Sachen geschehen würde, dürffte es zweiffels frey dem heiligen reinen GOtt nicht sonderlich gefallen. Diesemnach ermesse, meinem geringen Begriff nach, nicht irraisonable zu ersten Frage mit Unterscheid.

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Vierdter Theil. Halle, 1725, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte04_1725/35>, abgerufen am 30.04.2024.