Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schwindelnd nach, staunend, welchen fremden Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage euch, Theuerste, er wälzt unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht entschließen! Habt ihr es wohl je schon erwogen (aber in eurem Leichtsinn denkt ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspective liegt dort neben Perspective, und Berg und Thal und Fluß, und weite, unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am Besten, und daher meine Verehrung vor Denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme. Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder nach schwindelnd nach, staunend, welchen fremden Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage euch, Theuerste, er wälzt unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht entschließen! Habt ihr es wohl je schon erwogen (aber in eurem Leichtsinn denkt ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspective liegt dort neben Perspective, und Berg und Thal und Fluß, und weite, unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am Besten, und daher meine Verehrung vor Denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme. Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder nach <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0100"/> schwindelnd nach, staunend, welchen fremden Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage euch, Theuerste, er wälzt unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht entschließen! Habt ihr es wohl je schon erwogen (aber in eurem Leichtsinn denkt ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspective liegt dort neben Perspective, und Berg und Thal und Fluß, und weite, unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am Besten, und daher meine Verehrung vor Denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme.</p><lb/> <p>Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder nach<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
schwindelnd nach, staunend, welchen fremden Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage euch, Theuerste, er wälzt unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht entschließen! Habt ihr es wohl je schon erwogen (aber in eurem Leichtsinn denkt ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspective liegt dort neben Perspective, und Berg und Thal und Fluß, und weite, unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am Besten, und daher meine Verehrung vor Denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme.
Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder nach
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/100>, abgerufen am 17.06.2024. |