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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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in die verschleierte Welt hinein; -- es giebt
nichts mehr, das mich entsetzt; und das macht
mich betrübt. Der menschliche Geist kann alle
Ideen sehr schnell erschöpfen, weil er nur weni-
ge fassen kann. Er hat wie ein Monochord nur
sehr wenige Töne.

Lebe wohl, wenn es in dieser Welt möglich
ist; sei recht glücklich, mag ich nicht hinzufügen,
weil es kein Glück giebt, als zu sterben, und ich
weiß, daß Du den Tod fürchtest. -- Ich habe
schon oft heimliche Verwünschungen ausgestoßen
und gräßliche Sprüche versucht, um die Gegen-
stände um mich her in andre zu verwandeln.
Aber noch hat sich mir kein Geheimniß enthüllt,
noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun-
gen geantwortet: -- es ist gräßlich, nichts mehr
zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, --
ich muß fort, in die Wildnisse der Appenninen
und Pyrenäen hinein, -- oder einen noch kür-
zern Weg in das kalte würmervolle Grab.



in die verſchleierte Welt hinein; — es giebt
nichts mehr, das mich entſetzt; und das macht
mich betruͤbt. Der menſchliche Geiſt kann alle
Ideen ſehr ſchnell erſchoͤpfen, weil er nur weni-
ge faſſen kann. Er hat wie ein Monochord nur
ſehr wenige Toͤne.

Lebe wohl, wenn es in dieſer Welt moͤglich
iſt; ſei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen,
weil es kein Gluͤck giebt, als zu ſterben, und ich
weiß, daß Du den Tod fuͤrchteſt. — Ich habe
ſchon oft heimliche Verwuͤnſchungen ausgeſtoßen
und graͤßliche Spruͤche verſucht, um die Gegen-
ſtaͤnde um mich her in andre zu verwandeln.
Aber noch hat ſich mir kein Geheimniß enthuͤllt,
noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun-
gen geantwortet: — es iſt graͤßlich, nichts mehr
zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, —
ich muß fort, in die Wildniſſe der Appenninen
und Pyrenaͤen hinein, — oder einen noch kuͤr-
zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab.



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[41/0047] in die verſchleierte Welt hinein; — es giebt nichts mehr, das mich entſetzt; und das macht mich betruͤbt. Der menſchliche Geiſt kann alle Ideen ſehr ſchnell erſchoͤpfen, weil er nur weni- ge faſſen kann. Er hat wie ein Monochord nur ſehr wenige Toͤne. Lebe wohl, wenn es in dieſer Welt moͤglich iſt; ſei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen, weil es kein Gluͤck giebt, als zu ſterben, und ich weiß, daß Du den Tod fuͤrchteſt. — Ich habe ſchon oft heimliche Verwuͤnſchungen ausgeſtoßen und graͤßliche Spruͤche verſucht, um die Gegen- ſtaͤnde um mich her in andre zu verwandeln. Aber noch hat ſich mir kein Geheimniß enthuͤllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun- gen geantwortet: — es iſt graͤßlich, nichts mehr zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, — ich muß fort, in die Wildniſſe der Appenninen und Pyrenaͤen hinein, — oder einen noch kuͤr- zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/47>, abgerufen am 30.04.2024.