Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Erste Abtheilung. triotismus und die alten verstorbenen Tugenden,die den Aufgeklärteren ja auch nur Aberglaube waren, wieder aufzupflanzen. Ich möchte mir doch nur das Böse nennen und aufzeigen lassen, welches diese unschuldigen Poesien schon hervor- gebracht haben. Oder hätten diese Herren diese Bücher vielleicht gar nicht gelesen? Der Druck ist nicht der beste, die Vignetten sind nicht in punktirter Manier, auch hat sich weder Petrarka noch ein andrer berühmter Name bei ihrer Her- ausgabe genannt, und das ist freilich verdächtig genug. Sollten denn wirklich etwa die paar freien Späße im Eulenspiegel und den Schild- bürgern die Nation verderben können? Wird man denn die Schenken verschließen, oder einen Polizeiwächter hinein setzen, der jeden nicht sitt- lichen Spaß eines lustigen Bruders aufzeichnet und der Behörde einreicht? Oder hofft man wirklich durch das alberne moralische Gewäsch, welches sie jetzt als Volksbücher drucken lassen, von gutgearteten Gatten und saubern Kindern, Birnenmost, Giftkräutern und Wohlthätigkeit, die niederen Stände so tief in die edle Gesinnung hin- ein und unterzutauchen, daß keiner mehr eine Zwei- oder Eindeutigkeit spricht und denkt? O der glorreichen Ausscht in das künftige Jahr- hundert! Suchte man nur etwa, sagte Wilibald, die Erſte Abtheilung. triotismus und die alten verſtorbenen Tugenden,die den Aufgeklaͤrteren ja auch nur Aberglaube waren, wieder aufzupflanzen. Ich moͤchte mir doch nur das Boͤſe nennen und aufzeigen laſſen, welches dieſe unſchuldigen Poeſien ſchon hervor- gebracht haben. Oder haͤtten dieſe Herren dieſe Buͤcher vielleicht gar nicht geleſen? Der Druck iſt nicht der beſte, die Vignetten ſind nicht in punktirter Manier, auch hat ſich weder Petrarka noch ein andrer beruͤhmter Name bei ihrer Her- ausgabe genannt, und das iſt freilich verdaͤchtig genug. Sollten denn wirklich etwa die paar freien Spaͤße im Eulenſpiegel und den Schild- buͤrgern die Nation verderben koͤnnen? Wird man denn die Schenken verſchließen, oder einen Polizeiwaͤchter hinein ſetzen, der jeden nicht ſitt- lichen Spaß eines luſtigen Bruders aufzeichnet und der Behoͤrde einreicht? Oder hofft man wirklich durch das alberne moraliſche Gewaͤſch, welches ſie jetzt als Volksbuͤcher drucken laſſen, von gutgearteten Gatten und ſaubern Kindern, Birnenmoſt, Giftkraͤutern und Wohlthaͤtigkeit, die niederen Staͤnde ſo tief in die edle Geſinnung hin- ein und unterzutauchen, daß keiner mehr eine Zwei- oder Eindeutigkeit ſpricht und denkt? O der glorreichen Ausſcht in das kuͤnftige Jahr- hundert! Suchte man nur etwa, ſagte Wilibald, die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0409" n="398"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/> triotismus und die alten verſtorbenen Tugenden,<lb/> die den Aufgeklaͤrteren ja auch nur Aberglaube<lb/> waren, wieder aufzupflanzen. Ich moͤchte mir<lb/> doch nur das Boͤſe nennen und aufzeigen laſſen,<lb/> welches dieſe unſchuldigen Poeſien ſchon hervor-<lb/> gebracht haben. Oder haͤtten dieſe Herren dieſe<lb/> Buͤcher vielleicht gar nicht geleſen? Der Druck<lb/> iſt nicht der beſte, die Vignetten ſind nicht in<lb/> punktirter Manier, auch hat ſich weder Petrarka<lb/> noch ein andrer beruͤhmter Name bei ihrer Her-<lb/> ausgabe genannt, und das iſt freilich verdaͤchtig<lb/> genug. Sollten denn wirklich etwa die paar<lb/> freien Spaͤße im Eulenſpiegel und den Schild-<lb/> buͤrgern die Nation verderben koͤnnen? Wird<lb/> man denn die Schenken verſchließen, oder einen<lb/> Polizeiwaͤchter hinein ſetzen, der jeden nicht ſitt-<lb/> lichen Spaß eines luſtigen Bruders aufzeichnet<lb/> und der Behoͤrde einreicht? Oder hofft man<lb/> wirklich durch das alberne moraliſche Gewaͤſch,<lb/> welches ſie jetzt als Volksbuͤcher drucken laſſen,<lb/> von gutgearteten Gatten und ſaubern Kindern,<lb/> Birnenmoſt, Giftkraͤutern und Wohlthaͤtigkeit, die<lb/> niederen Staͤnde ſo tief in die edle Geſinnung hin-<lb/> ein und unterzutauchen, daß keiner mehr eine<lb/> Zwei- oder Eindeutigkeit ſpricht und denkt? O<lb/> der glorreichen Ausſcht in das kuͤnftige Jahr-<lb/> hundert!</p><lb/> <p>Suchte man nur etwa, ſagte Wilibald, die<lb/> aſtrologiſchen und Zauberbuͤcher, deren es noch hie<lb/> und da, aber auch nur ſelten giebt, zu verban-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [398/0409]
Erſte Abtheilung.
triotismus und die alten verſtorbenen Tugenden,
die den Aufgeklaͤrteren ja auch nur Aberglaube
waren, wieder aufzupflanzen. Ich moͤchte mir
doch nur das Boͤſe nennen und aufzeigen laſſen,
welches dieſe unſchuldigen Poeſien ſchon hervor-
gebracht haben. Oder haͤtten dieſe Herren dieſe
Buͤcher vielleicht gar nicht geleſen? Der Druck
iſt nicht der beſte, die Vignetten ſind nicht in
punktirter Manier, auch hat ſich weder Petrarka
noch ein andrer beruͤhmter Name bei ihrer Her-
ausgabe genannt, und das iſt freilich verdaͤchtig
genug. Sollten denn wirklich etwa die paar
freien Spaͤße im Eulenſpiegel und den Schild-
buͤrgern die Nation verderben koͤnnen? Wird
man denn die Schenken verſchließen, oder einen
Polizeiwaͤchter hinein ſetzen, der jeden nicht ſitt-
lichen Spaß eines luſtigen Bruders aufzeichnet
und der Behoͤrde einreicht? Oder hofft man
wirklich durch das alberne moraliſche Gewaͤſch,
welches ſie jetzt als Volksbuͤcher drucken laſſen,
von gutgearteten Gatten und ſaubern Kindern,
Birnenmoſt, Giftkraͤutern und Wohlthaͤtigkeit, die
niederen Staͤnde ſo tief in die edle Geſinnung hin-
ein und unterzutauchen, daß keiner mehr eine
Zwei- oder Eindeutigkeit ſpricht und denkt? O
der glorreichen Ausſcht in das kuͤnftige Jahr-
hundert!
Suchte man nur etwa, ſagte Wilibald, die
aſtrologiſchen und Zauberbuͤcher, deren es noch hie
und da, aber auch nur ſelten giebt, zu verban-
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/409>, abgerufen am 14.06.2024. |