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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Neutralität Norddeutschlands.
friedensselige Thatenscheu allein hielt das nordische Neutralitätsbündniß
zusammen; wurde der Schirmherr Norddeutschlands in einen neuen Krieg
mit Frankreich verwickelt, so mußte dieser Bund, der jedes sittlichen In-
haltes, jedes positiven Zweckes entbehrte, augenblicklich zusammenbrechen,
der Abfall der kleinen Genossen von dem besiegten Preußen stand dann un-
vermeidlich bevor. Nicht einmal die dauernde Unterordnung der kleinen
norddeutschen Contingente unter Preußens Oberbefehl war von der Selbst-
sucht dieser Höfe zu erlangen. Die Gedankenarmuth der Berliner Politik
versuchte kaum ernstlich, die thatsächliche Herrschaft, welche der Staat im
Norden besaß, zu einer staatsrechtlichen Hegemonie auszubilden; und doch
ließ sich der Friedensschluß nur dann entschuldigen, wenn man ihn benutzte
um in Norddeutschland die Politik des Fürstenbundes wieder aufzunehmen.

Die Trennung des Nordens von dem Süden hatte der alte König
immer unerbittlich zurückgewiesen so oft Kaiser Joseph sie zu Oesterreichs
Vortheil durchsetzen wollte; jetzt wurde die Theilung Deutschlands ver-
wirklicht zu Frankreichs Vortheil. Sobald Preußen sich in das Stillleben
der norddeutschen Neutralität zurückzog, ging der beste politische Gewinn,
welchen die Wiedererwerbung der fränkischen Stammlande den Hohen-
zollern verhieß, unrettbar verloren; der kräftige Schritt mittenhinein in
das oberdeutsche Leben war umsonst gethan. Unter den Süddeutschen
bestanden fortan nur noch zwei Parteien: eine französische und eine öster-
reichische -- soweit dies ermüdete Geschlecht überhaupt noch politische Ge-
sinnung besaß. Das Volk wußte nichts von den Hintergedanken der Hof-
burg, sah die kaiserlichen Truppen noch jahrelang gegen den Reichsfeind
fechten, während Preußen thatlos zur Seite stand, und ehrte sie als die
letzten treuen Beschützer des heimischen Bodens. Im Herbst 1795 focht
der Landsturm der Bauern auf dem Taunus und dem Westerwalde mit
den Oesterreichern vereinigt gegen die plündernde Löffelgarde der Sans-
culotten. Als Oesterreich dann in dem jungen Erzherzog Karl wieder
einen Helden fand, da gewann der seit Langem fast verschollene Name
des Kaiserhauses bei den Oberdeutschen wieder einen hellen Klang; noch
heute erinnern alte Holzschnitte in den Bauernhäusern des Schwarzwalds
an die Schlachten des kaiserlichen Oberfeldherrn. In jenen Jahren bildete
sich grade unter den besten Deutschen des Oberlandes eine österreichische
Geschichtsüberlieferung, die noch durch Jahrzehnte mächtig fortgewirkt hat;
damals, da die Szekler und Kroaten im Neckarthale standen, empfing
der junge Ludwig Uhland die bestimmenden politischen Eindrücke seines
Lebens. Preußen aber, das den Oberdeutschen niemals recht vertraut
gewesen, verfiel jetzt auf lange hinaus der allgemeinen Mißachtung. Also
wirkten die Baseler Verträge nach allen Seiten hin verderblich; und wenn
Hardenberg erwartete, der Friede werde seinem Staate eine lange Reihe
innerer Reformen, die Einführung der berechtigten Gedanken der Re-
volution ermöglichen, so sollte auch diese Hoffnung trügen. Der neu-

Neutralität Norddeutſchlands.
friedensſelige Thatenſcheu allein hielt das nordiſche Neutralitätsbündniß
zuſammen; wurde der Schirmherr Norddeutſchlands in einen neuen Krieg
mit Frankreich verwickelt, ſo mußte dieſer Bund, der jedes ſittlichen In-
haltes, jedes poſitiven Zweckes entbehrte, augenblicklich zuſammenbrechen,
der Abfall der kleinen Genoſſen von dem beſiegten Preußen ſtand dann un-
vermeidlich bevor. Nicht einmal die dauernde Unterordnung der kleinen
norddeutſchen Contingente unter Preußens Oberbefehl war von der Selbſt-
ſucht dieſer Höfe zu erlangen. Die Gedankenarmuth der Berliner Politik
verſuchte kaum ernſtlich, die thatſächliche Herrſchaft, welche der Staat im
Norden beſaß, zu einer ſtaatsrechtlichen Hegemonie auszubilden; und doch
ließ ſich der Friedensſchluß nur dann entſchuldigen, wenn man ihn benutzte
um in Norddeutſchland die Politik des Fürſtenbundes wieder aufzunehmen.

Die Trennung des Nordens von dem Süden hatte der alte König
immer unerbittlich zurückgewieſen ſo oft Kaiſer Joſeph ſie zu Oeſterreichs
Vortheil durchſetzen wollte; jetzt wurde die Theilung Deutſchlands ver-
wirklicht zu Frankreichs Vortheil. Sobald Preußen ſich in das Stillleben
der norddeutſchen Neutralität zurückzog, ging der beſte politiſche Gewinn,
welchen die Wiedererwerbung der fränkiſchen Stammlande den Hohen-
zollern verhieß, unrettbar verloren; der kräftige Schritt mittenhinein in
das oberdeutſche Leben war umſonſt gethan. Unter den Süddeutſchen
beſtanden fortan nur noch zwei Parteien: eine franzöſiſche und eine öſter-
reichiſche — ſoweit dies ermüdete Geſchlecht überhaupt noch politiſche Ge-
ſinnung beſaß. Das Volk wußte nichts von den Hintergedanken der Hof-
burg, ſah die kaiſerlichen Truppen noch jahrelang gegen den Reichsfeind
fechten, während Preußen thatlos zur Seite ſtand, und ehrte ſie als die
letzten treuen Beſchützer des heimiſchen Bodens. Im Herbſt 1795 focht
der Landſturm der Bauern auf dem Taunus und dem Weſterwalde mit
den Oeſterreichern vereinigt gegen die plündernde Löffelgarde der Sans-
culotten. Als Oeſterreich dann in dem jungen Erzherzog Karl wieder
einen Helden fand, da gewann der ſeit Langem faſt verſchollene Name
des Kaiſerhauſes bei den Oberdeutſchen wieder einen hellen Klang; noch
heute erinnern alte Holzſchnitte in den Bauernhäuſern des Schwarzwalds
an die Schlachten des kaiſerlichen Oberfeldherrn. In jenen Jahren bildete
ſich grade unter den beſten Deutſchen des Oberlandes eine öſterreichiſche
Geſchichtsüberlieferung, die noch durch Jahrzehnte mächtig fortgewirkt hat;
damals, da die Szekler und Kroaten im Neckarthale ſtanden, empfing
der junge Ludwig Uhland die beſtimmenden politiſchen Eindrücke ſeines
Lebens. Preußen aber, das den Oberdeutſchen niemals recht vertraut
geweſen, verfiel jetzt auf lange hinaus der allgemeinen Mißachtung. Alſo
wirkten die Baſeler Verträge nach allen Seiten hin verderblich; und wenn
Hardenberg erwartete, der Friede werde ſeinem Staate eine lange Reihe
innerer Reformen, die Einführung der berechtigten Gedanken der Re-
volution ermöglichen, ſo ſollte auch dieſe Hoffnung trügen. Der neu-

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[141/0157] Neutralität Norddeutſchlands. friedensſelige Thatenſcheu allein hielt das nordiſche Neutralitätsbündniß zuſammen; wurde der Schirmherr Norddeutſchlands in einen neuen Krieg mit Frankreich verwickelt, ſo mußte dieſer Bund, der jedes ſittlichen In- haltes, jedes poſitiven Zweckes entbehrte, augenblicklich zuſammenbrechen, der Abfall der kleinen Genoſſen von dem beſiegten Preußen ſtand dann un- vermeidlich bevor. Nicht einmal die dauernde Unterordnung der kleinen norddeutſchen Contingente unter Preußens Oberbefehl war von der Selbſt- ſucht dieſer Höfe zu erlangen. Die Gedankenarmuth der Berliner Politik verſuchte kaum ernſtlich, die thatſächliche Herrſchaft, welche der Staat im Norden beſaß, zu einer ſtaatsrechtlichen Hegemonie auszubilden; und doch ließ ſich der Friedensſchluß nur dann entſchuldigen, wenn man ihn benutzte um in Norddeutſchland die Politik des Fürſtenbundes wieder aufzunehmen. Die Trennung des Nordens von dem Süden hatte der alte König immer unerbittlich zurückgewieſen ſo oft Kaiſer Joſeph ſie zu Oeſterreichs Vortheil durchſetzen wollte; jetzt wurde die Theilung Deutſchlands ver- wirklicht zu Frankreichs Vortheil. Sobald Preußen ſich in das Stillleben der norddeutſchen Neutralität zurückzog, ging der beſte politiſche Gewinn, welchen die Wiedererwerbung der fränkiſchen Stammlande den Hohen- zollern verhieß, unrettbar verloren; der kräftige Schritt mittenhinein in das oberdeutſche Leben war umſonſt gethan. Unter den Süddeutſchen beſtanden fortan nur noch zwei Parteien: eine franzöſiſche und eine öſter- reichiſche — ſoweit dies ermüdete Geſchlecht überhaupt noch politiſche Ge- ſinnung beſaß. Das Volk wußte nichts von den Hintergedanken der Hof- burg, ſah die kaiſerlichen Truppen noch jahrelang gegen den Reichsfeind fechten, während Preußen thatlos zur Seite ſtand, und ehrte ſie als die letzten treuen Beſchützer des heimiſchen Bodens. Im Herbſt 1795 focht der Landſturm der Bauern auf dem Taunus und dem Weſterwalde mit den Oeſterreichern vereinigt gegen die plündernde Löffelgarde der Sans- culotten. Als Oeſterreich dann in dem jungen Erzherzog Karl wieder einen Helden fand, da gewann der ſeit Langem faſt verſchollene Name des Kaiſerhauſes bei den Oberdeutſchen wieder einen hellen Klang; noch heute erinnern alte Holzſchnitte in den Bauernhäuſern des Schwarzwalds an die Schlachten des kaiſerlichen Oberfeldherrn. In jenen Jahren bildete ſich grade unter den beſten Deutſchen des Oberlandes eine öſterreichiſche Geſchichtsüberlieferung, die noch durch Jahrzehnte mächtig fortgewirkt hat; damals, da die Szekler und Kroaten im Neckarthale ſtanden, empfing der junge Ludwig Uhland die beſtimmenden politiſchen Eindrücke ſeines Lebens. Preußen aber, das den Oberdeutſchen niemals recht vertraut geweſen, verfiel jetzt auf lange hinaus der allgemeinen Mißachtung. Alſo wirkten die Baſeler Verträge nach allen Seiten hin verderblich; und wenn Hardenberg erwartete, der Friede werde ſeinem Staate eine lange Reihe innerer Reformen, die Einführung der berechtigten Gedanken der Re- volution ermöglichen, ſo ſollte auch dieſe Hoffnung trügen. Der neu-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/157>, abgerufen am 30.04.2024.