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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
die gemeinsame Gefahr, die von der Weltmacht im Westen drohe, und
gelobten einander feste Treue. Auf den noch knabenhaft unreifen Czaren
machte die ritterliche ernsthafte Haltung des Königs und die bezaubernde
Anmuth der Königin lebhaften Eindruck, soweit sein aus Schwärmerei,
Selbstbetrug und Schlauheit seltsam gemischter Charakter tiefer Empfin-
dungen fähig war; und immer wieder klagte sein polnischer Freund Czar-
toryski, der unversöhnliche Gegner Preußens: dieser Tag von Memel sei
der Anfang alles Unheils. Friedrich Wilhelm aber hing an dem neuen
Freunde mit der unwandelbaren Treue seines ehrlichen Herzens. Persön-
liche Neigung bestärkte ihn in dem Entschlusse, den sein gerader Verstand
gefunden hatte: nur im Bunde mit Rußland wollte er einen Krieg gegen
Frankreich wagen. Er drängte den russischen Hof, an den Verhandlungen
über die deutschen Entschädigungsfragen theilzunehmen, damit Frankreich
nicht der alleinige Schiedsrichter im Reiche sei.

Wie der König also sich insgeheim den Rücken zu decken suchte für
einen möglichen Krieg gegen Frankreich, so verfolgte auch seine deutsche
Politik Gedanken, welche den Plänen des ersten Consuls schnurstracks
zuwiderliefen; es war nur die Folge der verworrenen Parteiungen des
Augenblicks, daß der preußische Hof eine Zeit lang mit dem französischen
Cabinette Hand in Hand zu gehen schien. Die allgemeine Secularisation
konnte dem preußischen Staate nur willkommen sein sobald einmal die
Abtretung der Rheinlande entschieden war. Alle seine protestantischen
Ueberlieferungen wiesen ihn auf dies Ziel hin. Zudem herrschte damals
in der aufgeklärten Welt die Lehre von der Allmacht des Staates, die
alle Kirchengüter von Rechtswegen der Nation zuwies; Stephani's Buch
über "die absolute Einheit von Staat und Kirche" machte die Runde im
deutschen Norden. Der König von Preußen war selber von diesen An-
schauungen durchdrungen, ließ eben jetzt in seinem Cabinet einen um-
fassenden Plan für die Einziehung des gesammten preußischen Kirchenguts
ausarbeiten. Desgleichen glaubte er ganz im Sinne seines Großoheims
zu handeln, wenn er sich auf die Seite Baierns und der neuen Mittel-
staaten stellte; auch Friedrich hatte ja bei seinen Reichsreformplänen die
Verstärkung der größeren weltlichen Reichsstände immer im Auge gehabt.
Bonaparte begünstigte die Mittelstaaten, weil er sich aus ihnen den Stamm
einer französischen Partei bilden wollte; der preußische Hof unterstützte
diese Politik, weil er umgekehrt hoffte durch die Vernichtung der aller-
unbrauchbarsten Kleinstaaten die Widerstandskraft des Reiches gegen Frank-
reich zu erhöhen. Unumwunden erklärte Haugwitz dem österreichischen
Gesandten Stadion, dies sei schon seit Jahren die feststehende Ansicht
seines Hofes. Im gleichen Sinne ließ Rußland dem Wiener Hofe aus-
sprechen, man habe aus den preußischen Staatsschriften die Ueberzeugung
gewonnen, daß die allgemeine Secularisation zur Kräftigung des deutschen
Westens nothwendig sei. Und wieder mit den nämlichen Gründen recht-

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die gemeinſame Gefahr, die von der Weltmacht im Weſten drohe, und
gelobten einander feſte Treue. Auf den noch knabenhaft unreifen Czaren
machte die ritterliche ernſthafte Haltung des Königs und die bezaubernde
Anmuth der Königin lebhaften Eindruck, ſoweit ſein aus Schwärmerei,
Selbſtbetrug und Schlauheit ſeltſam gemiſchter Charakter tiefer Empfin-
dungen fähig war; und immer wieder klagte ſein polniſcher Freund Czar-
toryski, der unverſöhnliche Gegner Preußens: dieſer Tag von Memel ſei
der Anfang alles Unheils. Friedrich Wilhelm aber hing an dem neuen
Freunde mit der unwandelbaren Treue ſeines ehrlichen Herzens. Perſön-
liche Neigung beſtärkte ihn in dem Entſchluſſe, den ſein gerader Verſtand
gefunden hatte: nur im Bunde mit Rußland wollte er einen Krieg gegen
Frankreich wagen. Er drängte den ruſſiſchen Hof, an den Verhandlungen
über die deutſchen Entſchädigungsfragen theilzunehmen, damit Frankreich
nicht der alleinige Schiedsrichter im Reiche ſei.

Wie der König alſo ſich insgeheim den Rücken zu decken ſuchte für
einen möglichen Krieg gegen Frankreich, ſo verfolgte auch ſeine deutſche
Politik Gedanken, welche den Plänen des erſten Conſuls ſchnurſtracks
zuwiderliefen; es war nur die Folge der verworrenen Parteiungen des
Augenblicks, daß der preußiſche Hof eine Zeit lang mit dem franzöſiſchen
Cabinette Hand in Hand zu gehen ſchien. Die allgemeine Seculariſation
konnte dem preußiſchen Staate nur willkommen ſein ſobald einmal die
Abtretung der Rheinlande entſchieden war. Alle ſeine proteſtantiſchen
Ueberlieferungen wieſen ihn auf dies Ziel hin. Zudem herrſchte damals
in der aufgeklärten Welt die Lehre von der Allmacht des Staates, die
alle Kirchengüter von Rechtswegen der Nation zuwies; Stephani’s Buch
über „die abſolute Einheit von Staat und Kirche“ machte die Runde im
deutſchen Norden. Der König von Preußen war ſelber von dieſen An-
ſchauungen durchdrungen, ließ eben jetzt in ſeinem Cabinet einen um-
faſſenden Plan für die Einziehung des geſammten preußiſchen Kirchenguts
ausarbeiten. Desgleichen glaubte er ganz im Sinne ſeines Großoheims
zu handeln, wenn er ſich auf die Seite Baierns und der neuen Mittel-
ſtaaten ſtellte; auch Friedrich hatte ja bei ſeinen Reichsreformplänen die
Verſtärkung der größeren weltlichen Reichsſtände immer im Auge gehabt.
Bonaparte begünſtigte die Mittelſtaaten, weil er ſich aus ihnen den Stamm
einer franzöſiſchen Partei bilden wollte; der preußiſche Hof unterſtützte
dieſe Politik, weil er umgekehrt hoffte durch die Vernichtung der aller-
unbrauchbarſten Kleinſtaaten die Widerſtandskraft des Reiches gegen Frank-
reich zu erhöhen. Unumwunden erklärte Haugwitz dem öſterreichiſchen
Geſandten Stadion, dies ſei ſchon ſeit Jahren die feſtſtehende Anſicht
ſeines Hofes. Im gleichen Sinne ließ Rußland dem Wiener Hofe aus-
ſprechen, man habe aus den preußiſchen Staatsſchriften die Ueberzeugung
gewonnen, daß die allgemeine Seculariſation zur Kräftigung des deutſchen
Weſtens nothwendig ſei. Und wieder mit den nämlichen Gründen recht-

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[180/0196] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. die gemeinſame Gefahr, die von der Weltmacht im Weſten drohe, und gelobten einander feſte Treue. Auf den noch knabenhaft unreifen Czaren machte die ritterliche ernſthafte Haltung des Königs und die bezaubernde Anmuth der Königin lebhaften Eindruck, ſoweit ſein aus Schwärmerei, Selbſtbetrug und Schlauheit ſeltſam gemiſchter Charakter tiefer Empfin- dungen fähig war; und immer wieder klagte ſein polniſcher Freund Czar- toryski, der unverſöhnliche Gegner Preußens: dieſer Tag von Memel ſei der Anfang alles Unheils. Friedrich Wilhelm aber hing an dem neuen Freunde mit der unwandelbaren Treue ſeines ehrlichen Herzens. Perſön- liche Neigung beſtärkte ihn in dem Entſchluſſe, den ſein gerader Verſtand gefunden hatte: nur im Bunde mit Rußland wollte er einen Krieg gegen Frankreich wagen. Er drängte den ruſſiſchen Hof, an den Verhandlungen über die deutſchen Entſchädigungsfragen theilzunehmen, damit Frankreich nicht der alleinige Schiedsrichter im Reiche ſei. Wie der König alſo ſich insgeheim den Rücken zu decken ſuchte für einen möglichen Krieg gegen Frankreich, ſo verfolgte auch ſeine deutſche Politik Gedanken, welche den Plänen des erſten Conſuls ſchnurſtracks zuwiderliefen; es war nur die Folge der verworrenen Parteiungen des Augenblicks, daß der preußiſche Hof eine Zeit lang mit dem franzöſiſchen Cabinette Hand in Hand zu gehen ſchien. Die allgemeine Seculariſation konnte dem preußiſchen Staate nur willkommen ſein ſobald einmal die Abtretung der Rheinlande entſchieden war. Alle ſeine proteſtantiſchen Ueberlieferungen wieſen ihn auf dies Ziel hin. Zudem herrſchte damals in der aufgeklärten Welt die Lehre von der Allmacht des Staates, die alle Kirchengüter von Rechtswegen der Nation zuwies; Stephani’s Buch über „die abſolute Einheit von Staat und Kirche“ machte die Runde im deutſchen Norden. Der König von Preußen war ſelber von dieſen An- ſchauungen durchdrungen, ließ eben jetzt in ſeinem Cabinet einen um- faſſenden Plan für die Einziehung des geſammten preußiſchen Kirchenguts ausarbeiten. Desgleichen glaubte er ganz im Sinne ſeines Großoheims zu handeln, wenn er ſich auf die Seite Baierns und der neuen Mittel- ſtaaten ſtellte; auch Friedrich hatte ja bei ſeinen Reichsreformplänen die Verſtärkung der größeren weltlichen Reichsſtände immer im Auge gehabt. Bonaparte begünſtigte die Mittelſtaaten, weil er ſich aus ihnen den Stamm einer franzöſiſchen Partei bilden wollte; der preußiſche Hof unterſtützte dieſe Politik, weil er umgekehrt hoffte durch die Vernichtung der aller- unbrauchbarſten Kleinſtaaten die Widerſtandskraft des Reiches gegen Frank- reich zu erhöhen. Unumwunden erklärte Haugwitz dem öſterreichiſchen Geſandten Stadion, dies ſei ſchon ſeit Jahren die feſtſtehende Anſicht ſeines Hofes. Im gleichen Sinne ließ Rußland dem Wiener Hofe aus- ſprechen, man habe aus den preußiſchen Staatsſchriften die Ueberzeugung gewonnen, daß die allgemeine Seculariſation zur Kräftigung des deutſchen Weſtens nothwendig ſei. Und wieder mit den nämlichen Gründen recht-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/196>, abgerufen am 30.04.2024.