Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Die Mitteldeutschen in Cassel. Hause des Erbprinzen; die Leute drohten auszuwandern, wenn der Fürstnicht fest zu dem mitteldeutschen Vereine stehe. Das sächsische Oppositions- blatt "die Biene" vertheidigte warm die hochherzige Absicht der sächsischen Krone, die Unabhängigkeit "unseres Vaterlandes" zu retten; das Erz- gebirge müsse ja unfehlbar zu Grunde gehen, wenn die preußischen Zölle die Getreideeinfuhr aus Böhmen verhinderten -- diese preußischen Zölle, die den Getreideverkehr fast gar nicht belasteten! Weithin erklang der Jubelruf der Liberalen über die schmachvolle Niederlage des preußischen Absolutismus: Preußens Herrschsucht ist gedemüthigt, das Gleichgewicht der Mächte in Deutschland wiederhergestellt! Selbst in Baiern und Württemberg, deren eigenes Zollsystem doch durch den mitteldeutschen Verein bedroht wurde, vertheidigte die Presse den neuen Handelsbund. Der bairische Hesperus donnerte gegen Darmstadt, das einen industriellen Selbstmord begangen, den Schwaben und Baiern "einen Theil des Segens edler Fürsten" geraubt habe. Die Neckarzeitung begrüßte den Verein als ein Zeugniß der Bundestreue, als einen letzten Versuch die Verheißungen der Bundesacte ins Leben zu führen. Sogar innerhalb der bairischen Regierung fand sich eine Partei bereit die sächsisch-englischen Entwürfe zu unterstützen; Lerchenfeld und Oberkamp, die gesammte Bun- destagsgesandtschaft König Ludwig's, blieben mit Lindenau in vertrautem Verkehr. Nur Wenige verstanden den festen patriotischen Stolz des Frei- herrn vom Stein, der voll Verachtung auf die Vasallen der englischen Handelspolitik niederschaute und an Gagern schrieb: "es ist den erbärm- lichen, neidischen, antinationalen Absichten unserer kleinen Cabinette an- gemessen, sich an das Ausland zu schließen, sich lieber von Fremden peitschen zu lassen, als dem allgemeinen Nationalinteresse die Befriedigung kleinlichen Neides aufzuopfern." Am 21. Mai 1828 hatten die Verbündeten zu Frankfurt einen Prä- Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 42
Die Mitteldeutſchen in Caſſel. Hauſe des Erbprinzen; die Leute drohten auszuwandern, wenn der Fürſtnicht feſt zu dem mitteldeutſchen Vereine ſtehe. Das ſächſiſche Oppoſitions- blatt „die Biene“ vertheidigte warm die hochherzige Abſicht der ſächſiſchen Krone, die Unabhängigkeit „unſeres Vaterlandes“ zu retten; das Erz- gebirge müſſe ja unfehlbar zu Grunde gehen, wenn die preußiſchen Zölle die Getreideeinfuhr aus Böhmen verhinderten — dieſe preußiſchen Zölle, die den Getreideverkehr faſt gar nicht belaſteten! Weithin erklang der Jubelruf der Liberalen über die ſchmachvolle Niederlage des preußiſchen Abſolutismus: Preußens Herrſchſucht iſt gedemüthigt, das Gleichgewicht der Mächte in Deutſchland wiederhergeſtellt! Selbſt in Baiern und Württemberg, deren eigenes Zollſyſtem doch durch den mitteldeutſchen Verein bedroht wurde, vertheidigte die Preſſe den neuen Handelsbund. Der bairiſche Hesperus donnerte gegen Darmſtadt, das einen induſtriellen Selbſtmord begangen, den Schwaben und Baiern „einen Theil des Segens edler Fürſten“ geraubt habe. Die Neckarzeitung begrüßte den Verein als ein Zeugniß der Bundestreue, als einen letzten Verſuch die Verheißungen der Bundesacte ins Leben zu führen. Sogar innerhalb der bairiſchen Regierung fand ſich eine Partei bereit die ſächſiſch-engliſchen Entwürfe zu unterſtützen; Lerchenfeld und Oberkamp, die geſammte Bun- destagsgeſandtſchaft König Ludwig’s, blieben mit Lindenau in vertrautem Verkehr. Nur Wenige verſtanden den feſten patriotiſchen Stolz des Frei- herrn vom Stein, der voll Verachtung auf die Vaſallen der engliſchen Handelspolitik niederſchaute und an Gagern ſchrieb: „es iſt den erbärm- lichen, neidiſchen, antinationalen Abſichten unſerer kleinen Cabinette an- gemeſſen, ſich an das Ausland zu ſchließen, ſich lieber von Fremden peitſchen zu laſſen, als dem allgemeinen Nationalintereſſe die Befriedigung kleinlichen Neides aufzuopfern.“ Am 21. Mai 1828 hatten die Verbündeten zu Frankfurt einen Prä- Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 42
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Die Mitteldeutſchen in Caſſel.
Hauſe des Erbprinzen; die Leute drohten auszuwandern, wenn der Fürſt
nicht feſt zu dem mitteldeutſchen Vereine ſtehe. Das ſächſiſche Oppoſitions-
blatt „die Biene“ vertheidigte warm die hochherzige Abſicht der ſächſiſchen
Krone, die Unabhängigkeit „unſeres Vaterlandes“ zu retten; das Erz-
gebirge müſſe ja unfehlbar zu Grunde gehen, wenn die preußiſchen
Zölle die Getreideeinfuhr aus Böhmen verhinderten — dieſe preußiſchen
Zölle, die den Getreideverkehr faſt gar nicht belaſteten! Weithin erklang
der Jubelruf der Liberalen über die ſchmachvolle Niederlage des preußiſchen
Abſolutismus: Preußens Herrſchſucht iſt gedemüthigt, das Gleichgewicht
der Mächte in Deutſchland wiederhergeſtellt! Selbſt in Baiern und
Württemberg, deren eigenes Zollſyſtem doch durch den mitteldeutſchen
Verein bedroht wurde, vertheidigte die Preſſe den neuen Handelsbund.
Der bairiſche Hesperus donnerte gegen Darmſtadt, das einen induſtriellen
Selbſtmord begangen, den Schwaben und Baiern „einen Theil des
Segens edler Fürſten“ geraubt habe. Die Neckarzeitung begrüßte den
Verein als ein Zeugniß der Bundestreue, als einen letzten Verſuch die
Verheißungen der Bundesacte ins Leben zu führen. Sogar innerhalb
der bairiſchen Regierung fand ſich eine Partei bereit die ſächſiſch-engliſchen
Entwürfe zu unterſtützen; Lerchenfeld und Oberkamp, die geſammte Bun-
destagsgeſandtſchaft König Ludwig’s, blieben mit Lindenau in vertrautem
Verkehr. Nur Wenige verſtanden den feſten patriotiſchen Stolz des Frei-
herrn vom Stein, der voll Verachtung auf die Vaſallen der engliſchen
Handelspolitik niederſchaute und an Gagern ſchrieb: „es iſt den erbärm-
lichen, neidiſchen, antinationalen Abſichten unſerer kleinen Cabinette an-
gemeſſen, ſich an das Ausland zu ſchließen, ſich lieber von Fremden
peitſchen zu laſſen, als dem allgemeinen Nationalintereſſe die Befriedigung
kleinlichen Neides aufzuopfern.“
Am 21. Mai 1828 hatten die Verbündeten zu Frankfurt einen Prä-
liminarvertrag geſchloſſen. Am 22. Auguſt, nachdem unterdeſſen der Ver-
ein vollzählig geworden, verſammelten ſich die Bevollmächtigten in Caſſel,
und ſchon am 24. September kam der endgiltige Vertrag zu Stande.
Solche Schnelligkeit der Berathung ſtach von den Gewohnheiten der Staats-
männer des Bundestags auffällig ab; ſie bewies deutlich, daß man Ge-
fahr im Verzuge glaubte und mehr einen diplomatiſchen Schachzug als ein
dauerhaftes Werk beabſichtigte. Der Vertrag, in Dresden entworfen,
ſprach die feindſelige, aggreſſive Richtung gegen Preußen noch weit offener
aus als die Oberſchönaer Punctation. Der Verein iſt beſtimmt, den
freien Verkehr im Sinne des Art. 19 der Bundesacte zu befördern und
„die Vortheile, welche in dieſer Hinſicht dem einzelnen Staate durch ſeine
geographiſche Lage und ſonſt gewährt ſind, auf das Ganze zu übertragen,
auch daneben ſich jene Vortheile zu erhalten und ſicher zu ſtellen.“ Die
Verbündeten verpflichten ſich, bis zum 31. Decbr. 1834 — d. h. bis zu
dem Zeitpunkt, wo der preußiſch-heſſiſche Vertrag ablief — keinem aus-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 42
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