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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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während unverständlichen Leiden und Schmerzen; damit auch
schon jetzt für mein Bewußtsein welches daraus entstehe.
Anders weiß ich Gott nicht zu dienen; mich nicht aus der
Verzweiflung zu ziehen: von den schweren, schlechtern, wirk-
lich nur Nebenmomenten, wag' ich dich nicht zu unterhalten:
die sind keine Resultate, keine Stufen meiner Ausbildung,
sondern die harten Knorren darauf. Hier hast du deine Freun-
din ganz in Skitze. -- Den 4. Oktober kam Gr. Bentheim
von Kulm zurück, und errichtete hier als General die deutsche
Legion; bis vor kurzem. Der war mein Trost. Er behan-
delte mich, wie einen Brüder behandeln sollten. Bis den
Oktober war Ludwig Robert hier, den ich von Reinerz aus
mitgenommen hatte, und der jetzt mit dem Grafen Goloffkin
ganz brillant in Stuttgart lebt. Varnhagen ist russischer
Hauptmann, beim General Tettenborn; lebt nur in mir: und
sagt's der ganzen Welt. Wie er's mir zeigt und sagt, sollst
du aus seinen Briefen sehen, von mir hören; und wie er sich
geändert hat, und vervollkommnet, selbst beurtheilen. Läßt
mir Gott dies Glück, einen solchen Freund zu behalten; so
darf ich nicht mehr klagen, wenn auch nur ein Viertel noch
von mir lebt. -- Schreib mir, was du beginnst. Und was
Goethe vornimmt. Denn diesen Schutz der Erde auch nur noch
Einmal mit meinen Augen zu erreichen, heilt mich, ich weiß
es. Und etwas Trost muß ich jetzt haben, sonst sterbe ich
wahr und wahrhaftig. Zu viel kam, zu viel hinter einander.
Seit zwanzig Jahren crescendo, und - - dissime. Gestern
schrieb mir Frau von Humboldt, sie bliebe nur bis zum Mai
in Wien, und machte dann eine Reise, oder ginge nach einem

während unverſtändlichen Leiden und Schmerzen; damit auch
ſchon jetzt für mein Bewußtſein welches daraus entſtehe.
Anders weiß ich Gott nicht zu dienen; mich nicht aus der
Verzweiflung zu ziehen: von den ſchweren, ſchlechtern, wirk-
lich nur Nebenmomenten, wag’ ich dich nicht zu unterhalten:
die ſind keine Reſultate, keine Stufen meiner Ausbildung,
ſondern die harten Knorren darauf. Hier haſt du deine Freun-
din ganz in Skitze. — Den 4. Oktober kam Gr. Bentheim
von Kulm zurück, und errichtete hier als General die deutſche
Legion; bis vor kurzem. Der war mein Troſt. Er behan-
delte mich, wie einen Brüder behandeln ſollten. Bis den
Oktober war Ludwig Robert hier, den ich von Reinerz aus
mitgenommen hatte, und der jetzt mit dem Grafen Goloffkin
ganz brillant in Stuttgart lebt. Varnhagen iſt ruſſiſcher
Hauptmann, beim General Tettenborn; lebt nur in mir: und
ſagt’s der ganzen Welt. Wie er’s mir zeigt und ſagt, ſollſt
du aus ſeinen Briefen ſehen, von mir hören; und wie er ſich
geändert hat, und vervollkommnet, ſelbſt beurtheilen. Läßt
mir Gott dies Glück, einen ſolchen Freund zu behalten; ſo
darf ich nicht mehr klagen, wenn auch nur ein Viertel noch
von mir lebt. — Schreib mir, was du beginnſt. Und was
Goethe vornimmt. Denn dieſen Schutz der Erde auch nur noch
Einmal mit meinen Augen zu erreichen, heilt mich, ich weiß
es. Und etwas Troſt muß ich jetzt haben, ſonſt ſterbe ich
wahr und wahrhaftig. Zu viel kam, zu viel hinter einander.
Seit zwanzig Jahren crescendo, und ‒ ‒ dissime. Geſtern
ſchrieb mir Frau von Humboldt, ſie bliebe nur bis zum Mai
in Wien, und machte dann eine Reiſe, oder ginge nach einem

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[168/0176] während unverſtändlichen Leiden und Schmerzen; damit auch ſchon jetzt für mein Bewußtſein welches daraus entſtehe. Anders weiß ich Gott nicht zu dienen; mich nicht aus der Verzweiflung zu ziehen: von den ſchweren, ſchlechtern, wirk- lich nur Nebenmomenten, wag’ ich dich nicht zu unterhalten: die ſind keine Reſultate, keine Stufen meiner Ausbildung, ſondern die harten Knorren darauf. Hier haſt du deine Freun- din ganz in Skitze. — Den 4. Oktober kam Gr. Bentheim von Kulm zurück, und errichtete hier als General die deutſche Legion; bis vor kurzem. Der war mein Troſt. Er behan- delte mich, wie einen Brüder behandeln ſollten. Bis den Oktober war Ludwig Robert hier, den ich von Reinerz aus mitgenommen hatte, und der jetzt mit dem Grafen Goloffkin ganz brillant in Stuttgart lebt. Varnhagen iſt ruſſiſcher Hauptmann, beim General Tettenborn; lebt nur in mir: und ſagt’s der ganzen Welt. Wie er’s mir zeigt und ſagt, ſollſt du aus ſeinen Briefen ſehen, von mir hören; und wie er ſich geändert hat, und vervollkommnet, ſelbſt beurtheilen. Läßt mir Gott dies Glück, einen ſolchen Freund zu behalten; ſo darf ich nicht mehr klagen, wenn auch nur ein Viertel noch von mir lebt. — Schreib mir, was du beginnſt. Und was Goethe vornimmt. Denn dieſen Schutz der Erde auch nur noch Einmal mit meinen Augen zu erreichen, heilt mich, ich weiß es. Und etwas Troſt muß ich jetzt haben, ſonſt ſterbe ich wahr und wahrhaftig. Zu viel kam, zu viel hinter einander. Seit zwanzig Jahren crescendo, und ‒ ‒ dissime. Geſtern ſchrieb mir Frau von Humboldt, ſie bliebe nur bis zum Mai in Wien, und machte dann eine Reiſe, oder ginge nach einem

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/176>, abgerufen am 30.04.2024.