legte sich zwischen ihnen hervor wie ein langer Frack über die Bühne. Im damaligen Publikum gab es keinen Zuschauer, der den Ton nicht ganz gut kannte; von unsern heutigen Lesern kennen wohl nur wenige den Ruf der Rohrdommel so gut, sie hätten erst warten müssen, bis dieser Wasservogel, der Selinur heilig, nun in Person auf der Bühne erschien und seinen unheimlichen Geisterruf wiederholte, nicht in Einem nur, sondern in sechs Exemplaren, die gravitätisch wie Soldaten eintraten, sich in drei und drei theilten und nun wie beorderte Leibwachen freien Raum für eine noch unsichtbare, ehrfurchtsvoll erwartete Persönlichkeit herstellten. Die übrigen Thiere drängten sich willig hinter diesen lebendigen Spalieren zusammen. Die gelben, schwarzgefleckten Bewohner des Röhrichts ließen hier¬ auf wieder ihren seltsamen Brüll- und Klageruf ver¬ nehmen, reckten dabei die dicken Hälse lang vorwärts, zogen sie dann ein und stellten die Köpfe, die jetzt halslos auf dem Rumpfe zu ruhen schienen, steil auf¬ wärts, daß der Schnabel zum Himmel sah, und so standen sie nun als unbewegte Schildwachen, aller¬ dings nur auf Einem Bein oder vielmehr "Ständer", wie der schulgerechte Jäger sagt. -- Stumme, erwar¬ tungsvolle Pause. Da wandelt aus dem Wald eine schneeweiße Kuh hervor und stellt sich mitten in die Oeffnung der zwei von hier in die Breite der Bühne auslaufenden Spalierradien. Sie blickt sanft und groß.
legte ſich zwiſchen ihnen hervor wie ein langer Frack über die Bühne. Im damaligen Publikum gab es keinen Zuſchauer, der den Ton nicht ganz gut kannte; von unſern heutigen Leſern kennen wohl nur wenige den Ruf der Rohrdommel ſo gut, ſie hätten erſt warten müſſen, bis dieſer Waſſervogel, der Selinur heilig, nun in Perſon auf der Bühne erſchien und ſeinen unheimlichen Geiſterruf wiederholte, nicht in Einem nur, ſondern in ſechs Exemplaren, die gravitätiſch wie Soldaten eintraten, ſich in drei und drei theilten und nun wie beorderte Leibwachen freien Raum für eine noch unſichtbare, ehrfurchtsvoll erwartete Perſönlichkeit herſtellten. Die übrigen Thiere drängten ſich willig hinter dieſen lebendigen Spalieren zuſammen. Die gelben, ſchwarzgefleckten Bewohner des Röhrichts ließen hier¬ auf wieder ihren ſeltſamen Brüll- und Klageruf ver¬ nehmen, reckten dabei die dicken Hälſe lang vorwärts, zogen ſie dann ein und ſtellten die Köpfe, die jetzt halslos auf dem Rumpfe zu ruhen ſchienen, ſteil auf¬ wärts, daß der Schnabel zum Himmel ſah, und ſo ſtanden ſie nun als unbewegte Schildwachen, aller¬ dings nur auf Einem Bein oder vielmehr „Ständer“, wie der ſchulgerechte Jäger ſagt. — Stumme, erwar¬ tungsvolle Pauſe. Da wandelt aus dem Wald eine ſchneeweiße Kuh hervor und ſtellt ſich mitten in die Oeffnung der zwei von hier in die Breite der Bühne auslaufenden Spalierradien. Sie blickt ſanft und groß.
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[352/0365]
legte ſich zwiſchen ihnen hervor wie ein langer Frack
über die Bühne. Im damaligen Publikum gab es
keinen Zuſchauer, der den Ton nicht ganz gut kannte;
von unſern heutigen Leſern kennen wohl nur wenige
den Ruf der Rohrdommel ſo gut, ſie hätten erſt warten
müſſen, bis dieſer Waſſervogel, der Selinur heilig,
nun in Perſon auf der Bühne erſchien und ſeinen
unheimlichen Geiſterruf wiederholte, nicht in Einem
nur, ſondern in ſechs Exemplaren, die gravitätiſch wie
Soldaten eintraten, ſich in drei und drei theilten und
nun wie beorderte Leibwachen freien Raum für eine
noch unſichtbare, ehrfurchtsvoll erwartete Perſönlichkeit
herſtellten. Die übrigen Thiere drängten ſich willig hinter
dieſen lebendigen Spalieren zuſammen. Die gelben,
ſchwarzgefleckten Bewohner des Röhrichts ließen hier¬
auf wieder ihren ſeltſamen Brüll- und Klageruf ver¬
nehmen, reckten dabei die dicken Hälſe lang vorwärts,
zogen ſie dann ein und ſtellten die Köpfe, die jetzt
halslos auf dem Rumpfe zu ruhen ſchienen, ſteil auf¬
wärts, daß der Schnabel zum Himmel ſah, und ſo
ſtanden ſie nun als unbewegte Schildwachen, aller¬
dings nur auf Einem Bein oder vielmehr „Ständer“,
wie der ſchulgerechte Jäger ſagt. — Stumme, erwar¬
tungsvolle Pauſe. Da wandelt aus dem Wald eine
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/365>, abgerufen am 31.10.2024.
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