Was er als Phantasieschein betreiben darf und soll, das betreibt er nun lehrhaft, scheinlos, physikalisch oder eigentlich hyperphysikalisch. Der Dichter läßt das Cen¬ trum alles Daseins aus den Dingen, den Wesen, her¬ ausscheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit ge¬ schieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für diesen Zweck je nach Bedürfniß die naturgesetzlichen Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die Geliebte magisch in die Ferne wirken. Der Gemein¬ spruch von der Beseelung der Natur durch die Phantasie ist ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahr¬ heit, daß der Geist schon in der Natur schlummert, durch Phantasiemystik. Dieß Alles wird pure, auf Kosten des freien Phantasiespiels geschäftlich betriebene Prosa, wenn man sich ernstlich auf den Wunder- und Geisterglauben einläßt, und jede Viertelstunde, die ein Dichter diesem traurigen Ernste widmet, stiehlt er seinem höheren Thun, wo er denselben Stoff frei symbolisch, im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols allerdings, zu behandeln hat. -- Nicht zu reden davon, wie dick man angelogen wird, wenn man sich einmal auf das Zeug einläßt.
Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorlesung über die Beweise vom Dasein Gottes halte, und sagt zu Ecker¬ mann, "dergleichen sei nicht mehr an der Zeit." Das
Was er als Phantaſieſchein betreiben darf und ſoll, das betreibt er nun lehrhaft, ſcheinlos, phyſikaliſch oder eigentlich hyperphyſikaliſch. Der Dichter läßt das Cen¬ trum alles Daſeins aus den Dingen, den Weſen, her¬ ausſcheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit ge¬ ſchieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für dieſen Zweck je nach Bedürfniß die naturgeſetzlichen Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die Geliebte magiſch in die Ferne wirken. Der Gemein¬ ſpruch von der Beſeelung der Natur durch die Phantaſie iſt ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahr¬ heit, daß der Geiſt ſchon in der Natur ſchlummert, durch Phantaſiemyſtik. Dieß Alles wird pure, auf Koſten des freien Phantaſieſpiels geſchäftlich betriebene Proſa, wenn man ſich ernſtlich auf den Wunder- und Geiſterglauben einläßt, und jede Viertelſtunde, die ein Dichter dieſem traurigen Ernſte widmet, ſtiehlt er ſeinem höheren Thun, wo er denſelben Stoff frei ſymboliſch, im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols allerdings, zu behandeln hat. — Nicht zu reden davon, wie dick man angelogen wird, wenn man ſich einmal auf das Zeug einläßt.
Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorleſung über die Beweiſe vom Daſein Gottes halte, und ſagt zu Ecker¬ mann, „dergleichen ſei nicht mehr an der Zeit.“ Das
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Was er als Phantaſieſchein betreiben darf und ſoll,
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trum alles Daſeins aus den Dingen, den Weſen, her¬
ausſcheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit ge¬
ſchieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für
dieſen Zweck je nach Bedürfniß die naturgeſetzlichen
Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die
Geliebte magiſch in die Ferne wirken. Der Gemein¬
ſpruch von der Beſeelung der Natur durch die Phantaſie
iſt ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahr¬
heit, daß der Geiſt ſchon in der Natur ſchlummert,
durch Phantaſiemyſtik. Dieß Alles wird pure, auf
Koſten des freien Phantaſieſpiels geſchäftlich betriebene
Proſa, wenn man ſich ernſtlich auf den Wunder- und
Geiſterglauben einläßt, und jede Viertelſtunde, die ein
Dichter dieſem traurigen Ernſte widmet, ſtiehlt er ſeinem
höheren Thun, wo er denſelben Stoff frei ſymboliſch,
im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols
allerdings, zu behandeln hat. — Nicht zu reden davon,
wie dick man angelogen wird, wenn man ſich einmal
auf das Zeug einläßt.
Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorleſung über die
Beweiſe vom Daſein Gottes halte, und ſagt zu Ecker¬
mann, „dergleichen ſei nicht mehr an der Zeit.“ Das
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/138>, abgerufen am 10.11.2024.
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