Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Was er als Phantasieschein betreiben darf und soll,
das betreibt er nun lehrhaft, scheinlos, physikalisch oder
eigentlich hyperphysikalisch. Der Dichter läßt das Cen¬
trum alles Daseins aus den Dingen, den Wesen, her¬
ausscheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit ge¬
schieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für
diesen Zweck je nach Bedürfniß die naturgesetzlichen
Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die
Geliebte magisch in die Ferne wirken. Der Gemein¬
spruch von der Beseelung der Natur durch die Phantasie
ist ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahr¬
heit, daß der Geist schon in der Natur schlummert,
durch Phantasiemystik. Dieß Alles wird pure, auf
Kosten des freien Phantasiespiels geschäftlich betriebene
Prosa, wenn man sich ernstlich auf den Wunder- und
Geisterglauben einläßt, und jede Viertelstunde, die ein
Dichter diesem traurigen Ernste widmet, stiehlt er seinem
höheren Thun, wo er denselben Stoff frei symbolisch,
im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols
allerdings, zu behandeln hat. -- Nicht zu reden davon,
wie dick man angelogen wird, wenn man sich einmal
auf das Zeug einläßt.


Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorlesung über die
Beweise vom Dasein Gottes halte, und sagt zu Ecker¬
mann, "dergleichen sei nicht mehr an der Zeit." Das

Was er als Phantaſieſchein betreiben darf und ſoll,
das betreibt er nun lehrhaft, ſcheinlos, phyſikaliſch oder
eigentlich hyperphyſikaliſch. Der Dichter läßt das Cen¬
trum alles Daſeins aus den Dingen, den Weſen, her¬
ausſcheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit ge¬
ſchieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für
dieſen Zweck je nach Bedürfniß die naturgeſetzlichen
Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die
Geliebte magiſch in die Ferne wirken. Der Gemein¬
ſpruch von der Beſeelung der Natur durch die Phantaſie
iſt ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahr¬
heit, daß der Geiſt ſchon in der Natur ſchlummert,
durch Phantaſiemyſtik. Dieß Alles wird pure, auf
Koſten des freien Phantaſieſpiels geſchäftlich betriebene
Proſa, wenn man ſich ernſtlich auf den Wunder- und
Geiſterglauben einläßt, und jede Viertelſtunde, die ein
Dichter dieſem traurigen Ernſte widmet, ſtiehlt er ſeinem
höheren Thun, wo er denſelben Stoff frei ſymboliſch,
im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols
allerdings, zu behandeln hat. — Nicht zu reden davon,
wie dick man angelogen wird, wenn man ſich einmal
auf das Zeug einläßt.


Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorleſung über die
Beweiſe vom Daſein Gottes halte, und ſagt zu Ecker¬
mann, „dergleichen ſei nicht mehr an der Zeit.“ Das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0138" n="125"/>
Was er als Phanta&#x017F;ie&#x017F;chein betreiben darf und &#x017F;oll,<lb/>
das betreibt er nun lehrhaft, &#x017F;cheinlos, phy&#x017F;ikali&#x017F;ch oder<lb/>
eigentlich hyperphy&#x017F;ikali&#x017F;ch. Der Dichter läßt das Cen¬<lb/>
trum alles Da&#x017F;eins aus den Dingen, den We&#x017F;en, her¬<lb/>
aus&#x017F;cheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit ge¬<lb/>
&#x017F;chieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für<lb/>
die&#x017F;en Zweck je nach Bedürfniß die naturge&#x017F;etzlichen<lb/>
Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die<lb/>
Geliebte magi&#x017F;ch in die Ferne wirken. Der Gemein¬<lb/>
&#x017F;pruch von der Be&#x017F;eelung der Natur durch die Phanta&#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahr¬<lb/>
heit, daß der Gei&#x017F;t &#x017F;chon in der Natur &#x017F;chlummert,<lb/>
durch Phanta&#x017F;iemy&#x017F;tik. Dieß Alles wird pure, auf<lb/>
Ko&#x017F;ten des freien Phanta&#x017F;ie&#x017F;piels ge&#x017F;chäftlich betriebene<lb/>
Pro&#x017F;a, wenn man &#x017F;ich ern&#x017F;tlich auf den Wunder- und<lb/>
Gei&#x017F;terglauben einläßt, und jede Viertel&#x017F;tunde, die ein<lb/>
Dichter die&#x017F;em traurigen Ern&#x017F;te widmet, &#x017F;tiehlt er &#x017F;einem<lb/>
höheren Thun, wo er den&#x017F;elben Stoff frei &#x017F;ymboli&#x017F;ch,<lb/>
im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols<lb/>
allerdings, zu behandeln hat. &#x2014; Nicht zu reden davon,<lb/>
wie dick man angelogen wird, wenn man &#x017F;ich einmal<lb/>
auf das Zeug einläßt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorle&#x017F;ung über die<lb/>
Bewei&#x017F;e vom Da&#x017F;ein Gottes halte, und &#x017F;agt zu Ecker¬<lb/>
mann, &#x201E;dergleichen &#x017F;ei nicht mehr an der Zeit.&#x201C; Das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0138] Was er als Phantaſieſchein betreiben darf und ſoll, das betreibt er nun lehrhaft, ſcheinlos, phyſikaliſch oder eigentlich hyperphyſikaliſch. Der Dichter läßt das Cen¬ trum alles Daſeins aus den Dingen, den Weſen, her¬ ausſcheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit ge¬ ſchieht; in freiem, idealem Spiele durchbricht er für dieſen Zweck je nach Bedürfniß die naturgeſetzlichen Schranken und läßt z. B. inniges Andenken an die Geliebte magiſch in die Ferne wirken. Der Gemein¬ ſpruch von der Beſeelung der Natur durch die Phantaſie iſt ja auch nichts Anderes, als Aufhöhung der Wahr¬ heit, daß der Geiſt ſchon in der Natur ſchlummert, durch Phantaſiemyſtik. Dieß Alles wird pure, auf Koſten des freien Phantaſieſpiels geſchäftlich betriebene Proſa, wenn man ſich ernſtlich auf den Wunder- und Geiſterglauben einläßt, und jede Viertelſtunde, die ein Dichter dieſem traurigen Ernſte widmet, ſtiehlt er ſeinem höheren Thun, wo er denſelben Stoff frei ſymboliſch, im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols allerdings, zu behandeln hat. — Nicht zu reden davon, wie dick man angelogen wird, wenn man ſich einmal auf das Zeug einläßt. Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorleſung über die Beweiſe vom Daſein Gottes halte, und ſagt zu Ecker¬ mann, „dergleichen ſei nicht mehr an der Zeit.“ Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/138
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/138>, abgerufen am 10.11.2024.