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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Dann bereite dir Zehrung, und hebe sie auf in Gefäßen: 290
Wein in irdenen Krügen, und Mehl, das Mark der Männer,
In dichtnäthigen Schläuchen. Ich will jezt unter dem Volke
Dir Freiwillige sammlen zu Ruderern. Viel sind der Schiffe
An der umfluteten Küste von Ithaka, neue bei alten;
Hiervon will ich für dich der treflichsten eines erlesen. 295
Hurtig rüsten wir dieses, und steuren ins offene Weltmeer.

Also sprach Athänaia, Kronions Tochter: und länger
Säumte Tälemachos nicht; er gehorchte der Stimme der Göttin,
Und ging wieder zu Hause mit tiefbekümmertem Herzen.
Alda fand er die Schaar der stolzen Freier: im Hofe 300
Streiften sie Ziegen ab, und sengten gemästete Schweine.
Und Antinoos kam ihm lachend entgegen gewandelt,
Faßte Tälemachos Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:

Jüngling von troziger Red' und verwegenem Mute, sei ruhig,
Und bekümmre dich nicht um böse Thaten und Worte! 305
Laß uns, künftig wie vor, in Wollust eßen und trinken:
Dieses alles besorgen dir schon die Achaier, ein schnelles
Schiff und erlesne Gefährten; damit du die göttliche Pülos
Bald erreichst, und Kunde vom treflichen Vater erforschest!

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen: 310
O wie ziemte mir das, Antinoos, unter euch Stolzen
Schweigend am Mahle zu sizen, und ruhig im Taumel der Freude?
Ist es euch nicht genung, ihr Freier, daß ihr so lange
Meine köstlichen Güter verschwelgt habt, da ich ein Kind war?
Jezt da ich größer bin, und tüchtig, Anderer Reden 315
Nachzuforschen, und höher der Mut im Busen mir steiget,
Werd' ich streben, auf euch des Todes Rache zu bringen,

Oduͤßee.
Dann bereite dir Zehrung, und hebe ſie auf in Gefaͤßen: 290
Wein in irdenen Kruͤgen, und Mehl, das Mark der Maͤnner,
In dichtnaͤthigen Schlaͤuchen. Ich will jezt unter dem Volke
Dir Freiwillige ſammlen zu Ruderern. Viel ſind der Schiffe
An der umfluteten Kuͤſte von Ithaka, neue bei alten;
Hiervon will ich fuͤr dich der treflichſten eines erleſen. 295
Hurtig ruͤſten wir dieſes, und ſteuren ins offene Weltmeer.

Alſo ſprach Athaͤnaia, Kronions Tochter: und laͤnger
Saͤumte Taͤlemachos nicht; er gehorchte der Stimme der Goͤttin,
Und ging wieder zu Hauſe mit tiefbekuͤmmertem Herzen.
Alda fand er die Schaar der ſtolzen Freier: im Hofe 300
Streiften ſie Ziegen ab, und ſengten gemaͤſtete Schweine.
Und Antinoos kam ihm lachend entgegen gewandelt,
Faßte Taͤlemachos Hand, und ſprach mit freundlicher Stimme:

Juͤngling von troziger Red' und verwegenem Mute, ſei ruhig,
Und bekuͤmmre dich nicht um boͤſe Thaten und Worte! 305
Laß uns, kuͤnftig wie vor, in Wolluſt eßen und trinken:
Dieſes alles beſorgen dir ſchon die Achaier, ein ſchnelles
Schiff und erleſne Gefaͤhrten; damit du die goͤttliche Puͤlos
Bald erreichſt, und Kunde vom treflichen Vater erforſcheſt!

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: 310
O wie ziemte mir das, Antinoos, unter euch Stolzen
Schweigend am Mahle zu ſizen, und ruhig im Taumel der Freude?
Iſt es euch nicht genung, ihr Freier, daß ihr ſo lange
Meine koͤſtlichen Guͤter verſchwelgt habt, da ich ein Kind war?
Jezt da ich groͤßer bin, und tuͤchtig, Anderer Reden 315
Nachzuforſchen, und hoͤher der Mut im Buſen mir ſteiget,
Werd' ich ſtreben, auf euch des Todes Rache zu bringen,

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[38/0044] Oduͤßee. Dann bereite dir Zehrung, und hebe ſie auf in Gefaͤßen: Wein in irdenen Kruͤgen, und Mehl, das Mark der Maͤnner, In dichtnaͤthigen Schlaͤuchen. Ich will jezt unter dem Volke Dir Freiwillige ſammlen zu Ruderern. Viel ſind der Schiffe An der umfluteten Kuͤſte von Ithaka, neue bei alten; Hiervon will ich fuͤr dich der treflichſten eines erleſen. Hurtig ruͤſten wir dieſes, und ſteuren ins offene Weltmeer. 290 295 Alſo ſprach Athaͤnaia, Kronions Tochter: und laͤnger Saͤumte Taͤlemachos nicht; er gehorchte der Stimme der Goͤttin, Und ging wieder zu Hauſe mit tiefbekuͤmmertem Herzen. Alda fand er die Schaar der ſtolzen Freier: im Hofe Streiften ſie Ziegen ab, und ſengten gemaͤſtete Schweine. Und Antinoos kam ihm lachend entgegen gewandelt, Faßte Taͤlemachos Hand, und ſprach mit freundlicher Stimme: 300 Juͤngling von troziger Red' und verwegenem Mute, ſei ruhig, Und bekuͤmmre dich nicht um boͤſe Thaten und Worte! Laß uns, kuͤnftig wie vor, in Wolluſt eßen und trinken: Dieſes alles beſorgen dir ſchon die Achaier, ein ſchnelles Schiff und erleſne Gefaͤhrten; damit du die goͤttliche Puͤlos Bald erreichſt, und Kunde vom treflichen Vater erforſcheſt! 305 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: O wie ziemte mir das, Antinoos, unter euch Stolzen Schweigend am Mahle zu ſizen, und ruhig im Taumel der Freude? Iſt es euch nicht genung, ihr Freier, daß ihr ſo lange Meine koͤſtlichen Guͤter verſchwelgt habt, da ich ein Kind war? Jezt da ich groͤßer bin, und tuͤchtig, Anderer Reden Nachzuforſchen, und hoͤher der Mut im Buſen mir ſteiget, Werd' ich ſtreben, auf euch des Todes Rache zu bringen, 310 315

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/44>, abgerufen am 30.04.2024.