pwa_244.001 waltet, in den Thatsachen die belebende und zusammenhaltende pwa_244.002 Idee zu erkennen, bei denen also auch nicht zu beklagen ist, dass pwa_244.003 stellenweise diess Bemühen immer ein unfruchtbares bleiben müsse. pwa_244.004 Solche niedrig gestellte, ideelose Geschichtswerke sind die Annalen pwa_244.005 oder Chroniken, wie sie bei allen Völkern des Alterthums und bei pwa_244.006 den neueren als die ersten rudimenta der eigentlichen Geschichtsschreibung pwa_244.007 vorgekommen sind. Diese Chroniken verzeichnen eben pwa_244.008 nur, was Jahr für Jahr, sei es in der ganzen Welt, sei es in einer pwa_244.009 einzelnen Stadt sich ereignet hat: Seuchen, Hungersnoth, Schlachten, pwa_244.010 Strassentumulte u. dgl., kurz lauter Einzelheiten, deren jede für sich pwa_244.011 wahr sein mag, die aber keine höhere Wahrheit der Idee zu einem pwa_244.012 organischen Ganzen verbindet und somit wahrhaft belebt. Solche niedrig pwa_244.013 gestellte Geschichtswerke sind aber ausserdem noch, damit wir pwa_244.014 nicht zu vornehm auf die Anfänge der Geschichtsschreibung hinabsehen, pwa_244.015 bei weitem die meisten, welche die letzten Jahrhunderte an pwa_244.016 den Tag gefördert haben, auch die meisten, die den vornehmen Titel pwa_244.017 pragmatisch an der Stirn tragen. Zwar begnügen sich diese nicht pwa_244.018 mit trockener Aufzählung, zwar suchen sie überall das Spätere durch pwa_244.019 das Frühere zu motivieren und bei jedem Ereigniss Ursache und Wirkung pwa_244.020 nachzuweisen: aber diese ursächlichen Verhältnisse sind gewöhnlich pwa_244.021 der alleräusserlichsten Art, und namentlich herrscht da ein thörichtes, pwa_244.022 man könnte auch sagen ein frevelhaftes Bestreben, das Allergrösste pwa_244.023 nicht bloss aus dem Allerkleinsten, sondern auch aus dem pwa_244.024 Allerkleinlichsten herzuleiten, wenn z. B. der Grund der Kreuzzüge pwa_244.025 in den Predigten eines Bettelmönches gesucht wird, oder der dreissigjährige pwa_244.026 Krieg dadurch soll verursacht worden sein, dass man zu Prag pwa_244.027 einige österreichische Beamte aus dem Fenster warf, oder die französische pwa_244.028 Revolution durch den ersten Schuss, der am 10. August 1792 pwa_244.029 fiel; kurz, es gilt da ein so mechanisches, jeder Idee entfremdetes pwa_244.030 Verfahren, dass man dergleichen Werke eher mit jedem beliebigen pwa_244.031 anderen Namen als mit dem einer pragmatischen Geschichte belegen pwa_244.032 kann. In dergleichen Erbärmlichkeiten liegt kein pragma: diess Wort pwa_244.033 bezeichnet ja nicht jedwedes, das geschieht, sondern etwas, das pwa_244.034 geschieht, weil es geschehen muss, und das wirksam ist, weil es pwa_244.035 geschieht. Die volle Nothwendigkeit aber und die wahre Wirksamkeit pwa_244.036 kann sich immer nur vom Standpuncte der Idee ergeben, und deshalb pwa_244.037 verdient auch nur jene Art von Geschichtsschreibung den Namen der pwa_244.038 pragmatischen, die wir neben das Epos gestellt haben als Nebenbuhlerin pwa_244.039 derselben in der Anschauung der Idee.
pwa_244.040 Daraus, dass die Geschichtsschreibung innerhalb des Verstandes pwa_244.041 beharren muss, und somit nicht überall die gegebene Wirklichkeit mit
pwa_244.001 waltet, in den Thatsachen die belebende und zusammenhaltende pwa_244.002 Idee zu erkennen, bei denen also auch nicht zu beklagen ist, dass pwa_244.003 stellenweise diess Bemühen immer ein unfruchtbares bleiben müsse. pwa_244.004 Solche niedrig gestellte, ideelose Geschichtswerke sind die Annalen pwa_244.005 oder Chroniken, wie sie bei allen Völkern des Alterthums und bei pwa_244.006 den neueren als die ersten rudimenta der eigentlichen Geschichtsschreibung pwa_244.007 vorgekommen sind. Diese Chroniken verzeichnen eben pwa_244.008 nur, was Jahr für Jahr, sei es in der ganzen Welt, sei es in einer pwa_244.009 einzelnen Stadt sich ereignet hat: Seuchen, Hungersnoth, Schlachten, pwa_244.010 Strassentumulte u. dgl., kurz lauter Einzelheiten, deren jede für sich pwa_244.011 wahr sein mag, die aber keine höhere Wahrheit der Idee zu einem pwa_244.012 organischen Ganzen verbindet und somit wahrhaft belebt. Solche niedrig pwa_244.013 gestellte Geschichtswerke sind aber ausserdem noch, damit wir pwa_244.014 nicht zu vornehm auf die Anfänge der Geschichtsschreibung hinabsehen, pwa_244.015 bei weitem die meisten, welche die letzten Jahrhunderte an pwa_244.016 den Tag gefördert haben, auch die meisten, die den vornehmen Titel pwa_244.017 pragmatisch an der Stirn tragen. Zwar begnügen sich diese nicht pwa_244.018 mit trockener Aufzählung, zwar suchen sie überall das Spätere durch pwa_244.019 das Frühere zu motivieren und bei jedem Ereigniss Ursache und Wirkung pwa_244.020 nachzuweisen: aber diese ursächlichen Verhältnisse sind gewöhnlich pwa_244.021 der alleräusserlichsten Art, und namentlich herrscht da ein thörichtes, pwa_244.022 man könnte auch sagen ein frevelhaftes Bestreben, das Allergrösste pwa_244.023 nicht bloss aus dem Allerkleinsten, sondern auch aus dem pwa_244.024 Allerkleinlichsten herzuleiten, wenn z. B. der Grund der Kreuzzüge pwa_244.025 in den Predigten eines Bettelmönches gesucht wird, oder der dreissigjährige pwa_244.026 Krieg dadurch soll verursacht worden sein, dass man zu Prag pwa_244.027 einige österreichische Beamte aus dem Fenster warf, oder die französische pwa_244.028 Revolution durch den ersten Schuss, der am 10. August 1792 pwa_244.029 fiel; kurz, es gilt da ein so mechanisches, jeder Idee entfremdetes pwa_244.030 Verfahren, dass man dergleichen Werke eher mit jedem beliebigen pwa_244.031 anderen Namen als mit dem einer pragmatischen Geschichte belegen pwa_244.032 kann. In dergleichen Erbärmlichkeiten liegt kein πρᾶγμα: diess Wort pwa_244.033 bezeichnet ja nicht jedwedes, das geschieht, sondern etwas, das pwa_244.034 geschieht, weil es geschehen muss, und das wirksam ist, weil es pwa_244.035 geschieht. Die volle Nothwendigkeit aber und die wahre Wirksamkeit pwa_244.036 kann sich immer nur vom Standpuncte der Idee ergeben, und deshalb pwa_244.037 verdient auch nur jene Art von Geschichtsschreibung den Namen der pwa_244.038 pragmatischen, die wir neben das Epos gestellt haben als Nebenbuhlerin pwa_244.039 derselben in der Anschauung der Idee.
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waltet, in den Thatsachen die belebende und zusammenhaltende pwa_244.002
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stellenweise diess Bemühen immer ein unfruchtbares bleiben müsse. pwa_244.004
Solche niedrig gestellte, ideelose Geschichtswerke sind die Annalen pwa_244.005
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vorgekommen sind. Diese Chroniken verzeichnen eben pwa_244.008
nur, was Jahr für Jahr, sei es in der ganzen Welt, sei es in einer pwa_244.009
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pragmatisch an der Stirn tragen. Zwar begnügen sich diese nicht pwa_244.018
mit trockener Aufzählung, zwar suchen sie überall das Spätere durch pwa_244.019
das Frühere zu motivieren und bei jedem Ereigniss Ursache und Wirkung pwa_244.020
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fiel; kurz, es gilt da ein so mechanisches, jeder Idee entfremdetes pwa_244.030
Verfahren, dass man dergleichen Werke eher mit jedem beliebigen pwa_244.031
anderen Namen als mit dem einer pragmatischen Geschichte belegen pwa_244.032
kann. In dergleichen Erbärmlichkeiten liegt kein πρᾶγμα: diess Wort pwa_244.033
bezeichnet ja nicht jedwedes, das geschieht, sondern etwas, das pwa_244.034
geschieht, weil es geschehen muss, und das wirksam ist, weil es pwa_244.035
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kann sich immer nur vom Standpuncte der Idee ergeben, und deshalb pwa_244.037
verdient auch nur jene Art von Geschichtsschreibung den Namen der pwa_244.038
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/262>, abgerufen am 27.05.2024.
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