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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, siebentes Capitel.
um die Vapeurs zu zerstreuen, die ihnen die Untreue
und die Betrachtungen unsers Helden verursachet
haben.

Woher es wol kommen mag, meine schönen Da-
men, daß die meisten unter Jhnen so viel geneigter
sind, uns alle Thorheiten, welche die Liebe nur im-
mer begehen machen kann, zu verzeihen, als die Wie-
derherstellung in den natürlichen Stand unsrer gesunden
Vernunft? Gestehen Sie, daß wir Jhnen desto lieber
sind, je besser wir durch die Schwachheiten, wozu Sie
uns bringen können, die Obermacht Jhrer Reizun-
gen über die Stärke der männlichen Weisheit bewei-
sen --- Was für ein interessantes Gemählde ist nicht
eine Deanira mit der Löwen-Haut ihres nervichten
Liebhabers umgeben, und mit seiner Keule auf der
Schulter, wie sie einen triumphierend-lächelnden Sei-
tenblik auf den Bezwinger der Riesen und Drachen
wirft, der, in ihre langen Kleider vermummt, mit-
ten unter ihren Mädchen mit ungeschikter Hand die wei-
bische Spindel dreht? --- Wir kennen eine oder zwoo,
auf welche diese kleine Exclamation nicht paßt; aber
wenn wir ohne Schmeicheley reden sollen, (welches
wir freylich nicht thun sollten, wenn wir die Klug-
heit zu Rathe zögen,) so zweifeln wir, ob die Weise-
ste unter allen, zu eben der Zeit, da sie sich bemüht,
den Thorheiten ihres Liebhabers Schranken zu sezen,
sich erwehren kan, eine solche kleine still-triumphierende
Freude darüber zu fühlen, daß sie liebenswürdig genug

ist,
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Achtes Buch, ſiebentes Capitel.
um die Vapeurs zu zerſtreuen, die ihnen die Untreue
und die Betrachtungen unſers Helden verurſachet
haben.

Woher es wol kommen mag, meine ſchoͤnen Da-
men, daß die meiſten unter Jhnen ſo viel geneigter
ſind, uns alle Thorheiten, welche die Liebe nur im-
mer begehen machen kann, zu verzeihen, als die Wie-
derherſtellung in den natuͤrlichen Stand unſrer geſunden
Vernunft? Geſtehen Sie, daß wir Jhnen deſto lieber
ſind, je beſſer wir durch die Schwachheiten, wozu Sie
uns bringen koͤnnen, die Obermacht Jhrer Reizun-
gen uͤber die Staͤrke der maͤnnlichen Weisheit bewei-
ſen ‒‒‒ Was fuͤr ein intereſſantes Gemaͤhlde iſt nicht
eine Deanira mit der Loͤwen-Haut ihres nervichten
Liebhabers umgeben, und mit ſeiner Keule auf der
Schulter, wie ſie einen triumphierend-laͤchelnden Sei-
tenblik auf den Bezwinger der Rieſen und Drachen
wirft, der, in ihre langen Kleider vermummt, mit-
ten unter ihren Maͤdchen mit ungeſchikter Hand die wei-
biſche Spindel dreht? ‒‒‒ Wir kennen eine oder zwoo,
auf welche dieſe kleine Exclamation nicht paßt; aber
wenn wir ohne Schmeicheley reden ſollen, (welches
wir freylich nicht thun ſollten, wenn wir die Klug-
heit zu Rathe zoͤgen,) ſo zweifeln wir, ob die Weiſe-
ſte unter allen, zu eben der Zeit, da ſie ſich bemuͤht,
den Thorheiten ihres Liebhabers Schranken zu ſezen,
ſich erwehren kan, eine ſolche kleine ſtill-triumphierende
Freude daruͤber zu fuͤhlen, daß ſie liebenswuͤrdig genug

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[69/0071] Achtes Buch, ſiebentes Capitel. um die Vapeurs zu zerſtreuen, die ihnen die Untreue und die Betrachtungen unſers Helden verurſachet haben. Woher es wol kommen mag, meine ſchoͤnen Da- men, daß die meiſten unter Jhnen ſo viel geneigter ſind, uns alle Thorheiten, welche die Liebe nur im- mer begehen machen kann, zu verzeihen, als die Wie- derherſtellung in den natuͤrlichen Stand unſrer geſunden Vernunft? Geſtehen Sie, daß wir Jhnen deſto lieber ſind, je beſſer wir durch die Schwachheiten, wozu Sie uns bringen koͤnnen, die Obermacht Jhrer Reizun- gen uͤber die Staͤrke der maͤnnlichen Weisheit bewei- ſen ‒‒‒ Was fuͤr ein intereſſantes Gemaͤhlde iſt nicht eine Deanira mit der Loͤwen-Haut ihres nervichten Liebhabers umgeben, und mit ſeiner Keule auf der Schulter, wie ſie einen triumphierend-laͤchelnden Sei- tenblik auf den Bezwinger der Rieſen und Drachen wirft, der, in ihre langen Kleider vermummt, mit- ten unter ihren Maͤdchen mit ungeſchikter Hand die wei- biſche Spindel dreht? ‒‒‒ Wir kennen eine oder zwoo, auf welche dieſe kleine Exclamation nicht paßt; aber wenn wir ohne Schmeicheley reden ſollen, (welches wir freylich nicht thun ſollten, wenn wir die Klug- heit zu Rathe zoͤgen,) ſo zweifeln wir, ob die Weiſe- ſte unter allen, zu eben der Zeit, da ſie ſich bemuͤht, den Thorheiten ihres Liebhabers Schranken zu ſezen, ſich erwehren kan, eine ſolche kleine ſtill-triumphierende Freude daruͤber zu fuͤhlen, daß ſie liebenswuͤrdig genug iſt, E 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/71>, abgerufen am 26.04.2024.