Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.26. Tief fühlt ihr beyd', in dieser jugendblühte,Daß abgeschiedenheit euch unnatürlich ist; Fühlt kraft zu edlerm thun in eurer brust, vermißt Des heldensinns, der unbegrenzten güte Gleich unbegrenzten kreis! -- Umsonst bemühn sie sich Die thräne, die dem abgewandten aug' entschlich, Dem alten Vater zu verheelen: Ihr lächeln täuscht ihn nicht, er ließt in ihren seelen. 27. Und ob ihm Diese welt gleich nichts mehr ist, doch stelltEr sich an ihren plaz, in das was sie verloren, Was ihnen zugehört, wozu sie sich geboren Empfinden -- fühlt aus Ihrer brust, und hält Die thräne für gerecht, die sie vor ihm aus liebe Verbergen, tadelt nicht die unfreywill'gen triebe, Und frischt sie nur, solang' als ihren lauf Das Schiksal hemmt, zu stillem hoffen auf. 28. An einem abend einst -- das tagwerk war vollbracht,Und alle drey, (Amande mit dem Knaben Auf ihrem schoos) um an der herrlichen pracht Des hellgestirnten Himmels sich zu laben, Sie saßen vor der hütt' auf einer rasenbank; Versenkten sich mit ahnungsvollem grauen In dieses Wundermeer, und blikten stillen dank Zu Ihm, der sie erschuf, gen himmel aufzuschauen: 29. Da P 2
26. Tief fuͤhlt ihr beyd', in dieſer jugendbluͤhte,Daß abgeſchiedenheit euch unnatuͤrlich iſt; Fuͤhlt kraft zu edlerm thun in eurer bruſt, vermißt Des heldenſinns, der unbegrenzten guͤte Gleich unbegrenzten kreis! — Umſonſt bemuͤhn ſie ſich Die thraͤne, die dem abgewandten aug' entſchlich, Dem alten Vater zu verheelen: Ihr laͤcheln taͤuſcht ihn nicht, er ließt in ihren ſeelen. 27. Und ob ihm Dieſe welt gleich nichts mehr iſt, doch ſtelltEr ſich an ihren plaz, in das was ſie verloren, Was ihnen zugehoͤrt, wozu ſie ſich geboren Empfinden — fuͤhlt aus Ihrer bruſt, und haͤlt Die thraͤne fuͤr gerecht, die ſie vor ihm aus liebe Verbergen, tadelt nicht die unfreywill'gen triebe, Und friſcht ſie nur, ſolang' als ihren lauf Das Schikſal hemmt, zu ſtillem hoffen auf. 28. An einem abend einſt — das tagwerk war vollbracht,Und alle drey, (Amande mit dem Knaben Auf ihrem ſchoos) um an der herrlichen pracht Des hellgeſtirnten Himmels ſich zu laben, Sie ſaßen vor der huͤtt' auf einer raſenbank; Verſenkten ſich mit ahnungsvollem grauen In dieſes Wundermeer, und blikten ſtillen dank Zu Ihm, der ſie erſchuf, gen himmel aufzuſchauen: 29. Da P 2
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26.
Tief fuͤhlt ihr beyd', in dieſer jugendbluͤhte,
Daß abgeſchiedenheit euch unnatuͤrlich iſt;
Fuͤhlt kraft zu edlerm thun in eurer bruſt, vermißt
Des heldenſinns, der unbegrenzten guͤte
Gleich unbegrenzten kreis! — Umſonſt bemuͤhn ſie ſich
Die thraͤne, die dem abgewandten aug' entſchlich,
Dem alten Vater zu verheelen:
Ihr laͤcheln taͤuſcht ihn nicht, er ließt in ihren ſeelen.
27.
Und ob ihm Dieſe welt gleich nichts mehr iſt, doch ſtellt
Er ſich an ihren plaz, in das was ſie verloren,
Was ihnen zugehoͤrt, wozu ſie ſich geboren
Empfinden — fuͤhlt aus Ihrer bruſt, und haͤlt
Die thraͤne fuͤr gerecht, die ſie vor ihm aus liebe
Verbergen, tadelt nicht die unfreywill'gen triebe,
Und friſcht ſie nur, ſolang' als ihren lauf
Das Schikſal hemmt, zu ſtillem hoffen auf.
28.
An einem abend einſt — das tagwerk war vollbracht,
Und alle drey, (Amande mit dem Knaben
Auf ihrem ſchoos) um an der herrlichen pracht
Des hellgeſtirnten Himmels ſich zu laben,
Sie ſaßen vor der huͤtt' auf einer raſenbank;
Verſenkten ſich mit ahnungsvollem grauen
In dieſes Wundermeer, und blikten ſtillen dank
Zu Ihm, der ſie erſchuf, gen himmel aufzuſchauen:
29. Da
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