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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Verhältnis zu Alexander. verhältnis zu Antipatros.
empfindlicher verletzt werden, weil er mit worten und gründen nicht
erwidern konnte. er fuhr in seinen taten unbeirrt, vielleicht leidenschaft-
licher und hastiger fort; dann verhinderte sein tod den austrag des sach-
lichen und des persönlichen zwistes. aber dass Aristoteles das geistige
haupt der opposition gewesen war, die Makedonen und Hellenen ihm
gemacht hatten, war so bekannt, dass Olympias bald darauf die lüge
verbreiten konnte, Aristoteles hätte das gift gemischt, das Iollas, der
sohn des Antipatros, dem könige gereicht hätte.39)

Olympias wollte mit dieser erfindung nicht den toten philosophen,Verhältnis
zu
Antipatros.

sondern den Antipatros und seine familie treffen und zog deshalb dessen
freund hinein. diese freundschaft ist das wertvollste was Aristoteles in
Makedonien gefunden hat. der nüchterne, besonnen wägende aber dann
rücksichtslos handelnde staatsmann hat zu dem jüngeren philosophen
ein auf der inneren verwandtschaft ihres wesens begründetes herzliches
verhältnis gewonnen, das bis zu ihrem tode ungetrübt geblieben ist,
und das beide ehrt. dass der freund des Aristoteles während der ganzen
zeit, die diesem als schulhaupt zu wirken vergönnt war, der herr der
Hellenen war und mit wunderbarem geschicke ordnung und ruhe fast
überall und immer zu erhalten wusste, hat notwendiger weise auch die
äussere stellung des philosophen gehoben. trotz der gegensätze, die
zwischen Alexandros und Antipatros entstanden waren, musste sich die

39) Die beurteilung dieser dinge wird erschwert durch die kärgliche und leider
zum teil apokryphe überlieferung. ein egkomion Alexandrou war unächt: dazu
reicht die probe hin, die der attische rhetor Gorgias mit so viel anderen falschen
stücken erhalten hat (649 R.). über die arabisch erhaltene schrift über das königtum
an Alexander halte ich nicht für nötig die verurteilung erst auszusprechen: worte
ohne gedanken machte Aristoteles nicht. sie gehört in eine kategorie mit den
secreta secretorum. am schlusse der dialoge stehn aber in der schriftentafel Ale-
xandros e peri apoikon und peri basileias, und aus einer dieser ächten schriften
führt Eratosthenes die berühmten worte über Hellenen und barbaren an (658, von
Rose falsch eingeordnet). dies wort kann erst 324 gesprochen sein, als der könig
seine plane ins werk zu setzen begonnen hatte. von den privatbriefen ist freilich
der über die akroamatischen schriften dumm gefälscht, aber er wird aus Aristonikos,
nicht aus der sammlung des Artemon citirt (662). natürlich fällt aber zumal auf
die in späten citaten vorliegenden stellen aus den briefen einiger verdacht. dagegen
trägt alles was aus den briefen an Antipatros erhalten ist den stempel der echtheit.
dazu gehört das schöne und dem vertrauten briefe angemessene wort, dass peri ton
theon a dei doxazein eben so hohes selbstgefühl verleihe, wie dem Alexandros die
weltherrschaft (664). das ist das athanata phronein, das doppelte, die überhebung
über das menschliche, und das emporstreben über das menschliche, wie es das
sprichwort verbietet, der Platoniker Aristoteles fordert, aber für den philosophen
fordert (Eth. X 1177b).
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Verhältnis zu Alexander. verhältnis zu Antipatros.
empfindlicher verletzt werden, weil er mit worten und gründen nicht
erwidern konnte. er fuhr in seinen taten unbeirrt, vielleicht leidenschaft-
licher und hastiger fort; dann verhinderte sein tod den austrag des sach-
lichen und des persönlichen zwistes. aber daſs Aristoteles das geistige
haupt der opposition gewesen war, die Makedonen und Hellenen ihm
gemacht hatten, war so bekannt, daſs Olympias bald darauf die lüge
verbreiten konnte, Aristoteles hätte das gift gemischt, das Iollas, der
sohn des Antipatros, dem könige gereicht hätte.39)

Olympias wollte mit dieser erfindung nicht den toten philosophen,Verhältnis
zu
Antipatros.

sondern den Antipatros und seine familie treffen und zog deshalb dessen
freund hinein. diese freundschaft ist das wertvollste was Aristoteles in
Makedonien gefunden hat. der nüchterne, besonnen wägende aber dann
rücksichtslos handelnde staatsmann hat zu dem jüngeren philosophen
ein auf der inneren verwandtschaft ihres wesens begründetes herzliches
verhältnis gewonnen, das bis zu ihrem tode ungetrübt geblieben ist,
und das beide ehrt. daſs der freund des Aristoteles während der ganzen
zeit, die diesem als schulhaupt zu wirken vergönnt war, der herr der
Hellenen war und mit wunderbarem geschicke ordnung und ruhe fast
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an Alexander halte ich nicht für nötig die verurteilung erst auszusprechen: worte
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ξανδϱος ἢ πεϱὶ ἀποίκων und πεϱὶ βασιλείας, und aus einer dieser ächten schriften
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Rose falsch eingeordnet). dies wort kann erst 324 gesprochen sein, als der könig
seine plane ins werk zu setzen begonnen hatte. von den privatbriefen ist freilich
der über die akroamatischen schriften dumm gefälscht, aber er wird aus Aristonikos,
nicht aus der sammlung des Artemon citirt (662). natürlich fällt aber zumal auf
die in späten citaten vorliegenden stellen aus den briefen einiger verdacht. dagegen
trägt alles was aus den briefen an Antipatros erhalten ist den stempel der echtheit.
dazu gehört das schöne und dem vertrauten briefe angemessene wort, daſs πεϱὶ τῶν
ϑεῶν ἃ δεῖ δοξάζειν eben so hohes selbstgefühl verleihe, wie dem Alexandros die
weltherrschaft (664). das ist das ἀϑάνατα φϱονεῖν, das doppelte, die überhebung
über das menschliche, und das emporstreben über das menschliche, wie es das
sprichwort verbietet, der Platoniker Aristoteles fordert, aber für den philosophen
fordert (Eth. X 1177b).
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[339/0353] Verhältnis zu Alexander. verhältnis zu Antipatros. empfindlicher verletzt werden, weil er mit worten und gründen nicht erwidern konnte. er fuhr in seinen taten unbeirrt, vielleicht leidenschaft- licher und hastiger fort; dann verhinderte sein tod den austrag des sach- lichen und des persönlichen zwistes. aber daſs Aristoteles das geistige haupt der opposition gewesen war, die Makedonen und Hellenen ihm gemacht hatten, war so bekannt, daſs Olympias bald darauf die lüge verbreiten konnte, Aristoteles hätte das gift gemischt, das Iollas, der sohn des Antipatros, dem könige gereicht hätte. 39) Olympias wollte mit dieser erfindung nicht den toten philosophen, sondern den Antipatros und seine familie treffen und zog deshalb dessen freund hinein. diese freundschaft ist das wertvollste was Aristoteles in Makedonien gefunden hat. der nüchterne, besonnen wägende aber dann rücksichtslos handelnde staatsmann hat zu dem jüngeren philosophen ein auf der inneren verwandtschaft ihres wesens begründetes herzliches verhältnis gewonnen, das bis zu ihrem tode ungetrübt geblieben ist, und das beide ehrt. daſs der freund des Aristoteles während der ganzen zeit, die diesem als schulhaupt zu wirken vergönnt war, der herr der Hellenen war und mit wunderbarem geschicke ordnung und ruhe fast überall und immer zu erhalten wuſste, hat notwendiger weise auch die äuſsere stellung des philosophen gehoben. trotz der gegensätze, die zwischen Alexandros und Antipatros entstanden waren, muſste sich die Verhältnis zu Antipatros. 39) Die beurteilung dieser dinge wird erschwert durch die kärgliche und leider zum teil apokryphe überlieferung. ein ἐγκώμιον Ἀλεξάνδϱου war unächt: dazu reicht die probe hin, die der attische rhetor Gorgias mit so viel anderen falschen stücken erhalten hat (649 R.). über die arabisch erhaltene schrift über das königtum an Alexander halte ich nicht für nötig die verurteilung erst auszusprechen: worte ohne gedanken machte Aristoteles nicht. sie gehört in eine kategorie mit den secreta secretorum. am schlusse der dialoge stehn aber in der schriftentafel Ἀλέ- ξανδϱος ἢ πεϱὶ ἀποίκων und πεϱὶ βασιλείας, und aus einer dieser ächten schriften führt Eratosthenes die berühmten worte über Hellenen und barbaren an (658, von Rose falsch eingeordnet). dies wort kann erst 324 gesprochen sein, als der könig seine plane ins werk zu setzen begonnen hatte. von den privatbriefen ist freilich der über die akroamatischen schriften dumm gefälscht, aber er wird aus Aristonikos, nicht aus der sammlung des Artemon citirt (662). natürlich fällt aber zumal auf die in späten citaten vorliegenden stellen aus den briefen einiger verdacht. dagegen trägt alles was aus den briefen an Antipatros erhalten ist den stempel der echtheit. dazu gehört das schöne und dem vertrauten briefe angemessene wort, daſs πεϱὶ τῶν ϑεῶν ἃ δεῖ δοξάζειν eben so hohes selbstgefühl verleihe, wie dem Alexandros die weltherrschaft (664). das ist das ἀϑάνατα φϱονεῖν, das doppelte, die überhebung über das menschliche, und das emporstreben über das menschliche, wie es das sprichwort verbietet, der Platoniker Aristoteles fordert, aber für den philosophen fordert (Eth. X 1177b). 22*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/353>, abgerufen am 30.04.2024.