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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Ion und seine söhne.
des Hoples heiratet, ohne nachkommenschaft, so ist das so kümmerlich,
dass man ruhig behaupten kann: die vier personen sind weder etwas ge-
wesen noch geworden als die singulare der 4 phylennamen, nicht einmal
deren rechte eponyme. Ion ist ihr vater, weil die phylen die der Ionier
sind; aber er hat mit Athen nichts zu tun. Euripides hat ihm zwar
die tochter des Erechtheus zur mutter gegeben, aber das erst im Ion:
im Erechtheus hat sicherlich keine tochter desselben den vater über-
lebt, und im Ion selbst war dem publicum der name Kreusa so wenig
vertraut, dass er ihn besonders einschärfen muss. 21) Kleidemos aber kennt
zwar eine Kreusa als frau des Xuthos, also vermutlich auch mutter des
Ion, aber sie ist die tochter des Kreon von Korinth (schol. Eur. Med. 19). 22)
Xuthos ist dem Herodotos der vater Ions (8, 44), wie er es jedem sein
musste, der der massgebenden hesiodischen genealogie folgte. auch nach
dem beschlusse des Apollon bei Euripides soll er es vor der welt bleiben.
mit andern worten: Euripides hat die hesiodische genealogie mit der
attischen verbunden und den Ion durch Kreusa gewaltsam zu einem
Erechthiden gemacht. Ion der sohn Apollons und vater der vier heroen
muss ja wol eine mutter gehabt haben, und es wird eine Athenerin
gewesen sein, aber einen namen scheint sie nicht besessen zu haben;
die mutter der vier ist überhaupt unbekannt. ein weiterer schluss ist,
dass Xuthos erst durch die hesiodische genealogie importirt ist, so dass
sich die schwierigkeit der beiden väter ergab, die Euripides lösen
will. 23) in der tat hat Xuthos in Athen keine stätte 24), und in der he-

21) Der prolog nennt den namen sechsmal und 57 würde er gewiss nicht
stehn, wenn er nicht eingeschärft werden sollte. auch vieles in dem gespräche
zwischen Ion und Kreusa dient der belehrung des publicums über den neuen mythos.
die interpolationsjäger sind besonders darauf aus, den namen Ions zu vertreiben,
und die stellen sind zum teil anstössig, d. h. nicht die abstracte poesie, sondern
die praktische rücksicht hat den dichter bestimmt.
22) Schwerlich mit recht folgt Panzer (de mythographo Homerico Greifswald
1892, s. 26) einer überlieferung, die Kreousa Erekhtheos als mutter Agamemnons
einführt, und sollte er mit der beurteilung der handschriften recht haben, so würde
es ein wertloses autoschediasma sein. wer die buhlerische Aerope nicht duldete,
holte eine beliebige 'prinzessin' Kreusa vor; aber mit Athen hatte sie nichts zu tun.
23) Mit den doppelten vätern wirklicher heroen hat dieser fall keine ähn-
lichkeit; an denen nimmt niemand anstoss. denn es ist ein anderes, wenn der
pater quem nuptiae demonstrant einen himmlischen neben sich hat, als wenn über
die vaterschaft eines unehelichen kindes disputirt wird. oder besser gesagt: in
Athen ist Ion sohn des Apollon, und da giebt es keinen Xuthos; in Ionien ist es
umgekehrt.
24) Xuthos in der tetrapolis (Strab. 383, mich dünkt, aus Ephoros), steht in

Ion und seine söhne.
des Hoples heiratet, ohne nachkommenschaft, so ist das so kümmerlich,
daſs man ruhig behaupten kann: die vier personen sind weder etwas ge-
wesen noch geworden als die singulare der 4 phylennamen, nicht einmal
deren rechte eponyme. Ion ist ihr vater, weil die phylen die der Ionier
sind; aber er hat mit Athen nichts zu tun. Euripides hat ihm zwar
die tochter des Erechtheus zur mutter gegeben, aber das erst im Ion:
im Erechtheus hat sicherlich keine tochter desselben den vater über-
lebt, und im Ion selbst war dem publicum der name Kreusa so wenig
vertraut, daſs er ihn besonders einschärfen muſs. 21) Kleidemos aber kennt
zwar eine Kreusa als frau des Xuthos, also vermutlich auch mutter des
Ion, aber sie ist die tochter des Kreon von Korinth (schol. Eur. Med. 19). 22)
Xuthos ist dem Herodotos der vater Ions (8, 44), wie er es jedem sein
muſste, der der maſsgebenden hesiodischen genealogie folgte. auch nach
dem beschlusse des Apollon bei Euripides soll er es vor der welt bleiben.
mit andern worten: Euripides hat die hesiodische genealogie mit der
attischen verbunden und den Ion durch Kreusa gewaltsam zu einem
Erechthiden gemacht. Ion der sohn Apollons und vater der vier heroen
muſs ja wol eine mutter gehabt haben, und es wird eine Athenerin
gewesen sein, aber einen namen scheint sie nicht besessen zu haben;
die mutter der vier ist überhaupt unbekannt. ein weiterer schluſs ist,
daſs Xuthos erst durch die hesiodische genealogie importirt ist, so daſs
sich die schwierigkeit der beiden väter ergab, die Euripides lösen
will. 23) in der tat hat Xuthos in Athen keine stätte 24), und in der he-

21) Der prolog nennt den namen sechsmal und 57 würde er gewiſs nicht
stehn, wenn er nicht eingeschärft werden sollte. auch vieles in dem gespräche
zwischen Ion und Kreusa dient der belehrung des publicums über den neuen mythos.
die interpolationsjäger sind besonders darauf aus, den namen Ions zu vertreiben,
und die stellen sind zum teil anstöſsig, d. h. nicht die abstracte poesie, sondern
die praktische rücksicht hat den dichter bestimmt.
22) Schwerlich mit recht folgt Panzer (de mythographo Homerico Greifswald
1892, s. 26) einer überlieferung, die Κϱέουσα Ἐϱεχϑέως als mutter Agamemnons
einführt, und sollte er mit der beurteilung der handschriften recht haben, so würde
es ein wertloses autoschediasma sein. wer die buhlerische Aerope nicht duldete,
holte eine beliebige ‘prinzessin’ Kreusa vor; aber mit Athen hatte sie nichts zu tun.
23) Mit den doppelten vätern wirklicher heroen hat dieser fall keine ähn-
lichkeit; an denen nimmt niemand anstoſs. denn es ist ein anderes, wenn der
pater quem nuptiae demonstrant einen himmlischen neben sich hat, als wenn über
die vaterschaft eines unehelichen kindes disputirt wird. oder besser gesagt: in
Athen ist Ion sohn des Apollon, und da giebt es keinen Xuthos; in Ionien ist es
umgekehrt.
24) Xuthos in der tetrapolis (Strab. 383, mich dünkt, aus Ephoros), steht in
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[137/0147] Ion und seine söhne. des Hoples heiratet, ohne nachkommenschaft, so ist das so kümmerlich, daſs man ruhig behaupten kann: die vier personen sind weder etwas ge- wesen noch geworden als die singulare der 4 phylennamen, nicht einmal deren rechte eponyme. Ion ist ihr vater, weil die phylen die der Ionier sind; aber er hat mit Athen nichts zu tun. Euripides hat ihm zwar die tochter des Erechtheus zur mutter gegeben, aber das erst im Ion: im Erechtheus hat sicherlich keine tochter desselben den vater über- lebt, und im Ion selbst war dem publicum der name Kreusa so wenig vertraut, daſs er ihn besonders einschärfen muſs. 21) Kleidemos aber kennt zwar eine Kreusa als frau des Xuthos, also vermutlich auch mutter des Ion, aber sie ist die tochter des Kreon von Korinth (schol. Eur. Med. 19). 22) Xuthos ist dem Herodotos der vater Ions (8, 44), wie er es jedem sein muſste, der der maſsgebenden hesiodischen genealogie folgte. auch nach dem beschlusse des Apollon bei Euripides soll er es vor der welt bleiben. mit andern worten: Euripides hat die hesiodische genealogie mit der attischen verbunden und den Ion durch Kreusa gewaltsam zu einem Erechthiden gemacht. Ion der sohn Apollons und vater der vier heroen muſs ja wol eine mutter gehabt haben, und es wird eine Athenerin gewesen sein, aber einen namen scheint sie nicht besessen zu haben; die mutter der vier ist überhaupt unbekannt. ein weiterer schluſs ist, daſs Xuthos erst durch die hesiodische genealogie importirt ist, so daſs sich die schwierigkeit der beiden väter ergab, die Euripides lösen will. 23) in der tat hat Xuthos in Athen keine stätte 24), und in der he- 21) Der prolog nennt den namen sechsmal und 57 würde er gewiſs nicht stehn, wenn er nicht eingeschärft werden sollte. auch vieles in dem gespräche zwischen Ion und Kreusa dient der belehrung des publicums über den neuen mythos. die interpolationsjäger sind besonders darauf aus, den namen Ions zu vertreiben, und die stellen sind zum teil anstöſsig, d. h. nicht die abstracte poesie, sondern die praktische rücksicht hat den dichter bestimmt. 22) Schwerlich mit recht folgt Panzer (de mythographo Homerico Greifswald 1892, s. 26) einer überlieferung, die Κϱέουσα Ἐϱεχϑέως als mutter Agamemnons einführt, und sollte er mit der beurteilung der handschriften recht haben, so würde es ein wertloses autoschediasma sein. wer die buhlerische Aerope nicht duldete, holte eine beliebige ‘prinzessin’ Kreusa vor; aber mit Athen hatte sie nichts zu tun. 23) Mit den doppelten vätern wirklicher heroen hat dieser fall keine ähn- lichkeit; an denen nimmt niemand anstoſs. denn es ist ein anderes, wenn der pater quem nuptiae demonstrant einen himmlischen neben sich hat, als wenn über die vaterschaft eines unehelichen kindes disputirt wird. oder besser gesagt: in Athen ist Ion sohn des Apollon, und da giebt es keinen Xuthos; in Ionien ist es umgekehrt. 24) Xuthos in der tetrapolis (Strab. 383, mich dünkt, aus Ephoros), steht in

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/147>, abgerufen am 30.04.2024.