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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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unter den Römischen Kaisern.
wütete er gleichwohl wider die Werke der Kunst, und ließ die Statuen der
Sieger in den großen Spielen umreißen, und an unsaubere Orte werfen 1):
bey allem Scheine der Freyheit wurden die besten Werke aus dem Lande
geführet: Caligula machte den Anfang, und besetzte alle seine Gärten und
Lusthäuser mit diesem Raube, unter dem Vorwande, daß das Schönste
an dem schönsten Orte seyn müsse, und dieses sey Rom 2). Er nahm unter
andern den Thespiern ihren berühmten Cupido vom Praxiteles, welchen
ihnen Claudius wiedergab, und Nero von neuem nahm, und wollte den
Olympischen Jupiter des Phidias nach Rom bringen lassen, welches aber
der Baumeister Memmius Regulus, ohne die Statue zu zerbrechen, sich
nicht getrauete 3).

Nero war vollends unersättlich, und sandte in dieser Absicht den Acra-b.
Weggeführte
Statuen aus
Griechenland,
unter welchen
vermuthlich
war

tus, einen frevelhaften Freygelassenen, und einen Halbgelehrten, den Se-
cundus Carinas, nach Griechenland, welche alles, was ihnen gefiel, für
den Kaiser aussucheten. Aus dem Tempel des Apollo zu Delphos allein,
wurden fünfhundert Statuen von Erzt genommen 4), und schon vorher
waren viele Statuen aus demselben weggeführet 5). Es ist glaublich, daß
Apollo im Belvedere, und der sogenannte Fechter vom Agasias aus Ephe-
sus,
in der Villa Borghese, mit unter diesen Statuen gewesen 6). Denn

sie
1) Suet. Ner. c. 24.
2) Ioseph. Antiq. L. 19. c. 1. p. 916.
3) Pausan. L. 9. p. 762.
4) Idem L. 10. p. 813. l. 13.
5) Strab. L. 9. p. 420. C.
6) Bianchini meynet a), wenn diese Statuen schon zu des Nero Zeiten zu Antium ge-
wesen wären, würden sie vom Plinius angeführet seyn; aber dieses folget nicht: Pli-
nius saget nichts von einer Statue der Pallas vom Evodius b), die Augustus aus
der Stadt Alea nach Rom führen ließ, noch von einem Hercules des Lysippus c),
welcher aus Alyzia in Acarnanien nach Rom gebracht wurde. Nach Harduins Er-
klärung einer Stelle des Plinius d), hätte zu Antium die Malerey besonders geblü-
het: aber das Wort Hic kann nicht von diesem Orte, sondern muß wegen des nachfol-
genden von Rom verstanden werden.
a) De Lapide Antiate, p. 52.
b) Pausan. L. 8. p. 694. l. 38.
c) Strab. L. 10. p. 705. A.
d) L. 35. c. 33.

unter den Roͤmiſchen Kaiſern.
wuͤtete er gleichwohl wider die Werke der Kunſt, und ließ die Statuen der
Sieger in den großen Spielen umreißen, und an unſaubere Orte werfen 1):
bey allem Scheine der Freyheit wurden die beſten Werke aus dem Lande
gefuͤhret: Caligula machte den Anfang, und beſetzte alle ſeine Gaͤrten und
Luſthaͤuſer mit dieſem Raube, unter dem Vorwande, daß das Schoͤnſte
an dem ſchoͤnſten Orte ſeyn muͤſſe, und dieſes ſey Rom 2). Er nahm unter
andern den Theſpiern ihren beruͤhmten Cupido vom Praxiteles, welchen
ihnen Claudius wiedergab, und Nero von neuem nahm, und wollte den
Olympiſchen Jupiter des Phidias nach Rom bringen laſſen, welches aber
der Baumeiſter Memmius Regulus, ohne die Statue zu zerbrechen, ſich
nicht getrauete 3).

Nero war vollends unerſaͤttlich, und ſandte in dieſer Abſicht den Acra-b.
Weggefuͤhrte
Statuen aus
Griechenland,
unter welchen
vermuthlich
war

tus, einen frevelhaften Freygelaſſenen, und einen Halbgelehrten, den Se-
cundus Carinas, nach Griechenland, welche alles, was ihnen gefiel, fuͤr
den Kaiſer ausſucheten. Aus dem Tempel des Apollo zu Delphos allein,
wurden fuͤnfhundert Statuen von Erzt genommen 4), und ſchon vorher
waren viele Statuen aus demſelben weggefuͤhret 5). Es iſt glaublich, daß
Apollo im Belvedere, und der ſogenannte Fechter vom Agaſias aus Ephe-
ſus,
in der Villa Borgheſe, mit unter dieſen Statuen geweſen 6). Denn

ſie
1) Suet. Ner. c. 24.
2) Ioſeph. Antiq. L. 19. c. 1. p. 916.
3) Pauſan. L. 9. p. 762.
4) Idem L. 10. p. 813. l. 13.
5) Strab. L. 9. p. 420. C.
6) Bianchini meynet a), wenn dieſe Statuen ſchon zu des Nero Zeiten zu Antium ge-
weſen waͤren, wuͤrden ſie vom Plinius angefuͤhret ſeyn; aber dieſes folget nicht: Pli-
nius ſaget nichts von einer Statue der Pallas vom Evodius b), die Auguſtus aus
der Stadt Alea nach Rom fuͤhren ließ, noch von einem Hercules des Lyſippus c),
welcher aus Alyzia in Acarnanien nach Rom gebracht wurde. Nach Harduins Er-
klaͤrung einer Stelle des Plinius d), haͤtte zu Antium die Malerey beſonders gebluͤ-
het: aber das Wort Hic kann nicht von dieſem Orte, ſondern muß wegen des nachfol-
genden von Rom verſtanden werden.
a) De Lapide Antiate, p. 52.
b) Pauſan. L. 8. p. 694. l. 38.
c) Strab. L. 10. p. 705. A.
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[391/0079] unter den Roͤmiſchen Kaiſern. wuͤtete er gleichwohl wider die Werke der Kunſt, und ließ die Statuen der Sieger in den großen Spielen umreißen, und an unſaubere Orte werfen 1): bey allem Scheine der Freyheit wurden die beſten Werke aus dem Lande gefuͤhret: Caligula machte den Anfang, und beſetzte alle ſeine Gaͤrten und Luſthaͤuſer mit dieſem Raube, unter dem Vorwande, daß das Schoͤnſte an dem ſchoͤnſten Orte ſeyn muͤſſe, und dieſes ſey Rom 2). Er nahm unter andern den Theſpiern ihren beruͤhmten Cupido vom Praxiteles, welchen ihnen Claudius wiedergab, und Nero von neuem nahm, und wollte den Olympiſchen Jupiter des Phidias nach Rom bringen laſſen, welches aber der Baumeiſter Memmius Regulus, ohne die Statue zu zerbrechen, ſich nicht getrauete 3). Nero war vollends unerſaͤttlich, und ſandte in dieſer Abſicht den Acra- tus, einen frevelhaften Freygelaſſenen, und einen Halbgelehrten, den Se- cundus Carinas, nach Griechenland, welche alles, was ihnen gefiel, fuͤr den Kaiſer ausſucheten. Aus dem Tempel des Apollo zu Delphos allein, wurden fuͤnfhundert Statuen von Erzt genommen 4), und ſchon vorher waren viele Statuen aus demſelben weggefuͤhret 5). Es iſt glaublich, daß Apollo im Belvedere, und der ſogenannte Fechter vom Agaſias aus Ephe- ſus, in der Villa Borgheſe, mit unter dieſen Statuen geweſen 6). Denn ſie b. Weggefuͤhrte Statuen aus Griechenland, unter welchen vermuthlich war 1) Suet. Ner. c. 24. 2) Ioſeph. Antiq. L. 19. c. 1. p. 916. 3) Pauſan. L. 9. p. 762. 4) Idem L. 10. p. 813. l. 13. 5) Strab. L. 9. p. 420. C. 6) Bianchini meynet a), wenn dieſe Statuen ſchon zu des Nero Zeiten zu Antium ge- weſen waͤren, wuͤrden ſie vom Plinius angefuͤhret ſeyn; aber dieſes folget nicht: Pli- nius ſaget nichts von einer Statue der Pallas vom Evodius b), die Auguſtus aus der Stadt Alea nach Rom fuͤhren ließ, noch von einem Hercules des Lyſippus c), welcher aus Alyzia in Acarnanien nach Rom gebracht wurde. Nach Harduins Er- klaͤrung einer Stelle des Plinius d), haͤtte zu Antium die Malerey beſonders gebluͤ- het: aber das Wort Hic kann nicht von dieſem Orte, ſondern muß wegen des nachfol- genden von Rom verſtanden werden. a) De Lapide Antiate, p. 52. b) Pauſan. L. 8. p. 694. l. 38. c) Strab. L. 10. p. 705. A. d) L. 35. c. 33.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/79>, abgerufen am 30.04.2024.