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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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vollen Dienst der Distance-Liebe, noch unendlich viel direkter
als es bei der Pflanze war. Hier suchen und erregen sich die Ge¬
schlechter unmittelbar am ausströmenden Geruch. Insbesondere
sind es gewisse Insekten, auf die auch bei der Blütensuche von
diesen Blüten mit feinem Aroma und nicht mit Limburger
spekuliert wurde, deren Geruchsästhetik also offenbar eine edle,
der unseren verwandte sein mußte.

Es sind die Schmetterlinge.

Bald ist es hier das Weibchen, das über weite Strecken
hinweg seinen Duft ergießt, bis die liebestollen Männchen
von allen Seiten heranschwärmen. Bald wieder ist es um¬
gekehrt der Mann, von dem ein intensiver Liebeshauch aus¬
geht, so stark, daß ihn selbst die sehr viel gröbere Nase des
Menschen empfindet.

Längst ist es den Sammlern bekannt, daß ein einziges
gefangenes, aber zu freier Duftergießung offen produziertes
Schmetterlingsweibchen genügt, ganze Haufen weit zerstreuter
Männchen der gleichen Art förmlich aus dem Umkreis zu¬
sammen zu sieben wie ein Grundnetz die Fische aus einem
Teich siebt. August Weismann exponierte so in einem Gaze¬
kästchen, durch das die Luft frei ausstrich, neun Nächte lang
am offenen Fenster ein Weibchen des schönen, seidig bunten
Abendpfauenauges. In diesen neun Nächten fanden sich nicht
weniger als 42 Männchen dieser Pfauenaugenart ein, -- eine
schier unglaubliche Masse in Anbetracht, daß der Schmetter¬
ling keineswegs etwa zu den gewöhnlichen, massenhaft auf¬
tretenden Sorten gehört. Die empfindenden Geruchsorgane,
die "Nasen" dieser Nachtfalter sitzen in den Fühlern und zwar
sind in diesem Falle die Fühler gerade der offenbar so fein
riechenden Männchen durchweg weit größer und verwickelter
gebaut als die der Weibchen. Wo Frau Pfauenauge ihren
Parfumapparat trägt, ist allerdings bis jetzt nicht bekannt;
doch ist wahrscheinlich, daß er aus sämtlichen feinen Schuppen
der Flügel und des Leibes zugleich ausströmt. Weismann

vollen Dienſt der Diſtance-Liebe, noch unendlich viel direkter
als es bei der Pflanze war. Hier ſuchen und erregen ſich die Ge¬
ſchlechter unmittelbar am ausſtrömenden Geruch. Insbeſondere
ſind es gewiſſe Inſekten, auf die auch bei der Blütenſuche von
dieſen Blüten mit feinem Aroma und nicht mit Limburger
ſpekuliert wurde, deren Geruchsäſthetik alſo offenbar eine edle,
der unſeren verwandte ſein mußte.

Es ſind die Schmetterlinge.

Bald iſt es hier das Weibchen, das über weite Strecken
hinweg ſeinen Duft ergießt, bis die liebestollen Männchen
von allen Seiten heranſchwärmen. Bald wieder iſt es um¬
gekehrt der Mann, von dem ein intenſiver Liebeshauch aus¬
geht, ſo ſtark, daß ihn ſelbſt die ſehr viel gröbere Naſe des
Menſchen empfindet.

Längſt iſt es den Sammlern bekannt, daß ein einziges
gefangenes, aber zu freier Duftergießung offen produziertes
Schmetterlingsweibchen genügt, ganze Haufen weit zerſtreuter
Männchen der gleichen Art förmlich aus dem Umkreis zu¬
ſammen zu ſieben wie ein Grundnetz die Fiſche aus einem
Teich ſiebt. Auguſt Weismann exponierte ſo in einem Gaze¬
käſtchen, durch das die Luft frei ausſtrich, neun Nächte lang
am offenen Fenſter ein Weibchen des ſchönen, ſeidig bunten
Abendpfauenauges. In dieſen neun Nächten fanden ſich nicht
weniger als 42 Männchen dieſer Pfauenaugenart ein, — eine
ſchier unglaubliche Maſſe in Anbetracht, daß der Schmetter¬
ling keineswegs etwa zu den gewöhnlichen, maſſenhaft auf¬
tretenden Sorten gehört. Die empfindenden Geruchsorgane,
die „Naſen“ dieſer Nachtfalter ſitzen in den Fühlern und zwar
ſind in dieſem Falle die Fühler gerade der offenbar ſo fein
riechenden Männchen durchweg weit größer und verwickelter
gebaut als die der Weibchen. Wo Frau Pfauenauge ihren
Parfumapparat trägt, iſt allerdings bis jetzt nicht bekannt;
doch iſt wahrſcheinlich, daß er aus ſämtlichen feinen Schuppen
der Flügel und des Leibes zugleich ausſtrömt. Weismann

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[69/0083] vollen Dienſt der Diſtance-Liebe, noch unendlich viel direkter als es bei der Pflanze war. Hier ſuchen und erregen ſich die Ge¬ ſchlechter unmittelbar am ausſtrömenden Geruch. Insbeſondere ſind es gewiſſe Inſekten, auf die auch bei der Blütenſuche von dieſen Blüten mit feinem Aroma und nicht mit Limburger ſpekuliert wurde, deren Geruchsäſthetik alſo offenbar eine edle, der unſeren verwandte ſein mußte. Es ſind die Schmetterlinge. Bald iſt es hier das Weibchen, das über weite Strecken hinweg ſeinen Duft ergießt, bis die liebestollen Männchen von allen Seiten heranſchwärmen. Bald wieder iſt es um¬ gekehrt der Mann, von dem ein intenſiver Liebeshauch aus¬ geht, ſo ſtark, daß ihn ſelbſt die ſehr viel gröbere Naſe des Menſchen empfindet. Längſt iſt es den Sammlern bekannt, daß ein einziges gefangenes, aber zu freier Duftergießung offen produziertes Schmetterlingsweibchen genügt, ganze Haufen weit zerſtreuter Männchen der gleichen Art förmlich aus dem Umkreis zu¬ ſammen zu ſieben wie ein Grundnetz die Fiſche aus einem Teich ſiebt. Auguſt Weismann exponierte ſo in einem Gaze¬ käſtchen, durch das die Luft frei ausſtrich, neun Nächte lang am offenen Fenſter ein Weibchen des ſchönen, ſeidig bunten Abendpfauenauges. In dieſen neun Nächten fanden ſich nicht weniger als 42 Männchen dieſer Pfauenaugenart ein, — eine ſchier unglaubliche Maſſe in Anbetracht, daß der Schmetter¬ ling keineswegs etwa zu den gewöhnlichen, maſſenhaft auf¬ tretenden Sorten gehört. Die empfindenden Geruchsorgane, die „Naſen“ dieſer Nachtfalter ſitzen in den Fühlern und zwar ſind in dieſem Falle die Fühler gerade der offenbar ſo fein riechenden Männchen durchweg weit größer und verwickelter gebaut als die der Weibchen. Wo Frau Pfauenauge ihren Parfumapparat trägt, iſt allerdings bis jetzt nicht bekannt; doch iſt wahrſcheinlich, daß er aus ſämtlichen feinen Schuppen der Flügel und des Leibes zugleich ausſtrömt. Weismann

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/83>, abgerufen am 30.04.2024.