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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Zweiter Brief.

Die erste französische Kokarde sah ich an dem
Hute eines Bauers, der von Strasburg kommend
in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der
Anblick. Es erschien mir wie ein kleiner Regenbogen
nach der Sündfluth unserer Tage, als das Friedens¬
zeichen des versöhnten Gottes. Ach! und als mir
die dreifarbige Fahne entgegenfunkelte -- ganz un¬
beschreiblich hat mich das aufgeregt. Das Herz
pochte mir bis zum Uebelbefinden und nur Thränen
konnten meine gepreßte Brust erleichtern. Es war
ein unentschiedenes Gemisch von Liebe und Haß, von
Freude und Trauer, von Hoffnung und Furcht.
Der Muth konnte die Wehmuth, die Wehmuth in
meiner Brust den Muth nicht besiegen. Es war ein
Streit ohne Ende und ohne Friede. Die Fahne
stand mitten auf der Brücke, mit der Stange in

Zweiter Brief.

Die erſte franzöſiſche Kokarde ſah ich an dem
Hute eines Bauers, der von Strasburg kommend
in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der
Anblick. Es erſchien mir wie ein kleiner Regenbogen
nach der Sündfluth unſerer Tage, als das Friedens¬
zeichen des verſöhnten Gottes. Ach! und als mir
die dreifarbige Fahne entgegenfunkelte — ganz un¬
beſchreiblich hat mich das aufgeregt. Das Herz
pochte mir bis zum Uebelbefinden und nur Thränen
konnten meine gepreßte Bruſt erleichtern. Es war
ein unentſchiedenes Gemiſch von Liebe und Haß, von
Freude und Trauer, von Hoffnung und Furcht.
Der Muth konnte die Wehmuth, die Wehmuth in
meiner Bruſt den Muth nicht beſiegen. Es war ein
Streit ohne Ende und ohne Friede. Die Fahne
ſtand mitten auf der Brücke, mit der Stange in

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[[4]/0018] Zweiter Brief. Strasburg, den 7. September. Die erſte franzöſiſche Kokarde ſah ich an dem Hute eines Bauers, der von Strasburg kommend in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der Anblick. Es erſchien mir wie ein kleiner Regenbogen nach der Sündfluth unſerer Tage, als das Friedens¬ zeichen des verſöhnten Gottes. Ach! und als mir die dreifarbige Fahne entgegenfunkelte — ganz un¬ beſchreiblich hat mich das aufgeregt. Das Herz pochte mir bis zum Uebelbefinden und nur Thränen konnten meine gepreßte Bruſt erleichtern. Es war ein unentſchiedenes Gemiſch von Liebe und Haß, von Freude und Trauer, von Hoffnung und Furcht. Der Muth konnte die Wehmuth, die Wehmuth in meiner Bruſt den Muth nicht beſiegen. Es war ein Streit ohne Ende und ohne Friede. Die Fahne ſtand mitten auf der Brücke, mit der Stange in

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. [4]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/18>, abgerufen am 26.04.2024.