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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 49. Die Lex Romana Burgundionum.
als die Lex Romana Wisigothorum (das sog. Breviarium) vorlag,
indem man nunmehr letztere als Quelle des römischen Rechtes be-
nutzte. Die Lex Romana Burgundionum nahm dann neben dem
Breviarium dieselbe Stellung ein, die sie früher neben den reinen
Quellen des römischen Rechtes eingenommen hatte. Sie wurde daher
in den Handschriften dem Breviarium häufig als Anhang hinzugefügt.
Dieser Verbindung verdankt sie die missverständliche Bezeichnung
"Papianus". Das Breviarium schliesst mit einer kurzen Stelle
aus Papinian, welche überschrieben ist: Incipit Papiniani liber I.
responsorum. Man bezog die Überschrift auch auf die handschriftlich
unmittelbar nachfolgende Lex Romana Burgundionum und nannte sie
Papianus 14. Der Irrtum ist uralt, denn jene Bezeichnung findet sich
schon in Handschriften des neunten Jahrhunderts, die von einander
unabhängig sind 15.

In den von den Ostgoten erworbenen Gebieten der burgundischen
Provence wurde das Edikt des Ostgotenkönigs Theoderich eingeführt,
von welchem in § 52 die Rede sein wird. Hier hat man, wie es
scheint, mit dem Edictum die das Wergeld der Römer betreffende
Satzung Gundobads in handschriftliche Verbindung gebracht, jene
Satzung, welche im zweiten Titel der Lex Romana Burgundionum
enthalten ist 16. Daraus mag der Irrtum hervorgegangen sein, dass
jene Satzung von König Theoderich herrühre. Denn später haftet an
ihr der Name Theoderichs. Eine Handschrift der Lex Romana
Wisigothorum, welche den Titel 2 des Papianus hinter der Inter-
pretatio zu einer Novelle Valentinians III. einschob 17, nennt als Ver-
fasser den dominus noster Theodericus, bezeichnet diesen aber als

Teil eines Kodex, dem auch die Fragmenta Vaticana und der Codex Theod. an-
gehörten, ein Beweis, dass man neben dem Papian die älteren Quellen benutzte.
14 So schrieb man statt Papinianus.
15 So ist wohl auch der Papianus in Urk. Beyer Nr 42 v. J. 804 zu deuten.
16 Die editio princeps des Edictum Theoderici bringt hinter der Lobrede des
Ennodius ein Bruchstück aus der Lex Rom. Burg., nämlich c. 5 u. 6 des Titels 2,
mit dem Vermerk Pithous, dass diese Stellen nicht dem ostgotischen, sondern dem
fränkischen Theoderich angehören. Wenn auch Pithou diese Korrektur aus Sichards
Ausgabe der Lex Rom. Wisig. (s. unten Anm 16) geschöpft haben mag, so kann
doch, wie die Vergleichung des Wortlauts ergiebt, der abgedruckte Passus nicht
daher entlehnt sein. Er muss in einer der beiden Handschriften des Edictum ge-
standen haben, welche Pithou dem Buchhändler Nivellius zum Abdruck überliess.
Siehe Gaudenzi in der Z2 f. RG VII 45 Anm 3.
17 Hinter Interpr. zu Nov. Valentinians III. Tit. 3 de homicidiis in Cod. Basil.
C. III 1. Siehe Haenel, Lex Rom. Visig. S XLVI. XLVII. Ebenso in Sichards
Ausgabe der Lex Romana Wisigothorum. Vgl. Bluhme, LL III 596 Anm 8, V 168.

§ 49. Die Lex Romana Burgundionum.
als die Lex Romana Wisigothorum (das sog. Breviarium) vorlag,
indem man nunmehr letztere als Quelle des römischen Rechtes be-
nutzte. Die Lex Romana Burgundionum nahm dann neben dem
Breviarium dieselbe Stellung ein, die sie früher neben den reinen
Quellen des römischen Rechtes eingenommen hatte. Sie wurde daher
in den Handschriften dem Breviarium häufig als Anhang hinzugefügt.
Dieser Verbindung verdankt sie die miſsverständliche Bezeichnung
„Papianus“. Das Breviarium schlieſst mit einer kurzen Stelle
aus Papinian, welche überschrieben ist: Incipit Papiniani liber I.
responsorum. Man bezog die Überschrift auch auf die handschriftlich
unmittelbar nachfolgende Lex Romana Burgundionum und nannte sie
Papianus 14. Der Irrtum ist uralt, denn jene Bezeichnung findet sich
schon in Handschriften des neunten Jahrhunderts, die von einander
unabhängig sind 15.

In den von den Ostgoten erworbenen Gebieten der burgundischen
Provence wurde das Edikt des Ostgotenkönigs Theoderich eingeführt,
von welchem in § 52 die Rede sein wird. Hier hat man, wie es
scheint, mit dem Edictum die das Wergeld der Römer betreffende
Satzung Gundobads in handschriftliche Verbindung gebracht, jene
Satzung, welche im zweiten Titel der Lex Romana Burgundionum
enthalten ist 16. Daraus mag der Irrtum hervorgegangen sein, daſs
jene Satzung von König Theoderich herrühre. Denn später haftet an
ihr der Name Theoderichs. Eine Handschrift der Lex Romana
Wisigothorum, welche den Titel 2 des Papianus hinter der Inter-
pretatio zu einer Novelle Valentinians III. einschob 17, nennt als Ver-
fasser den dominus noster Theodericus, bezeichnet diesen aber als

Teil eines Kodex, dem auch die Fragmenta Vaticana und der Codex Theod. an-
gehörten, ein Beweis, daſs man neben dem Papian die älteren Quellen benutzte.
14 So schrieb man statt Papinianus.
15 So ist wohl auch der Papianus in Urk. Beyer Nr 42 v. J. 804 zu deuten.
16 Die editio princeps des Edictum Theoderici bringt hinter der Lobrede des
Ennodius ein Bruchstück aus der Lex Rom. Burg., nämlich c. 5 u. 6 des Titels 2,
mit dem Vermerk Pithous, daſs diese Stellen nicht dem ostgotischen, sondern dem
fränkischen Theoderich angehören. Wenn auch Pithou diese Korrektur aus Sichards
Ausgabe der Lex Rom. Wisig. (s. unten Anm 16) geschöpft haben mag, so kann
doch, wie die Vergleichung des Wortlauts ergiebt, der abgedruckte Passus nicht
daher entlehnt sein. Er muſs in einer der beiden Handschriften des Edictum ge-
standen haben, welche Pithou dem Buchhändler Nivellius zum Abdruck überlieſs.
Siehe Gaudenzi in der Z2 f. RG VII 45 Anm 3.
17 Hinter Interpr. zu Nov. Valentinians III. Tit. 3 de homicidiis in Cod. Basil.
C. III 1. Siehe Haenel, Lex Rom. Visig. S XLVI. XLVII. Ebenso in Sichards
Ausgabe der Lex Romana Wisigothorum. Vgl. Bluhme, LL III 596 Anm 8, V 168.
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[357/0375] § 49. Die Lex Romana Burgundionum. als die Lex Romana Wisigothorum (das sog. Breviarium) vorlag, indem man nunmehr letztere als Quelle des römischen Rechtes be- nutzte. Die Lex Romana Burgundionum nahm dann neben dem Breviarium dieselbe Stellung ein, die sie früher neben den reinen Quellen des römischen Rechtes eingenommen hatte. Sie wurde daher in den Handschriften dem Breviarium häufig als Anhang hinzugefügt. Dieser Verbindung verdankt sie die miſsverständliche Bezeichnung „Papianus“. Das Breviarium schlieſst mit einer kurzen Stelle aus Papinian, welche überschrieben ist: Incipit Papiniani liber I. responsorum. Man bezog die Überschrift auch auf die handschriftlich unmittelbar nachfolgende Lex Romana Burgundionum und nannte sie Papianus 14. Der Irrtum ist uralt, denn jene Bezeichnung findet sich schon in Handschriften des neunten Jahrhunderts, die von einander unabhängig sind 15. In den von den Ostgoten erworbenen Gebieten der burgundischen Provence wurde das Edikt des Ostgotenkönigs Theoderich eingeführt, von welchem in § 52 die Rede sein wird. Hier hat man, wie es scheint, mit dem Edictum die das Wergeld der Römer betreffende Satzung Gundobads in handschriftliche Verbindung gebracht, jene Satzung, welche im zweiten Titel der Lex Romana Burgundionum enthalten ist 16. Daraus mag der Irrtum hervorgegangen sein, daſs jene Satzung von König Theoderich herrühre. Denn später haftet an ihr der Name Theoderichs. Eine Handschrift der Lex Romana Wisigothorum, welche den Titel 2 des Papianus hinter der Inter- pretatio zu einer Novelle Valentinians III. einschob 17, nennt als Ver- fasser den dominus noster Theodericus, bezeichnet diesen aber als 13 14 So schrieb man statt Papinianus. 15 So ist wohl auch der Papianus in Urk. Beyer Nr 42 v. J. 804 zu deuten. 16 Die editio princeps des Edictum Theoderici bringt hinter der Lobrede des Ennodius ein Bruchstück aus der Lex Rom. Burg., nämlich c. 5 u. 6 des Titels 2, mit dem Vermerk Pithous, daſs diese Stellen nicht dem ostgotischen, sondern dem fränkischen Theoderich angehören. Wenn auch Pithou diese Korrektur aus Sichards Ausgabe der Lex Rom. Wisig. (s. unten Anm 16) geschöpft haben mag, so kann doch, wie die Vergleichung des Wortlauts ergiebt, der abgedruckte Passus nicht daher entlehnt sein. Er muſs in einer der beiden Handschriften des Edictum ge- standen haben, welche Pithou dem Buchhändler Nivellius zum Abdruck überlieſs. Siehe Gaudenzi in der Z2 f. RG VII 45 Anm 3. 17 Hinter Interpr. zu Nov. Valentinians III. Tit. 3 de homicidiis in Cod. Basil. C. III 1. Siehe Haenel, Lex Rom. Visig. S XLVI. XLVII. Ebenso in Sichards Ausgabe der Lex Romana Wisigothorum. Vgl. Bluhme, LL III 596 Anm 8, V 168. 13 Teil eines Kodex, dem auch die Fragmenta Vaticana und der Codex Theod. an- gehörten, ein Beweis, daſs man neben dem Papian die älteren Quellen benutzte.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/375>, abgerufen am 26.04.2024.