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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 108. Das Beweisverfahren.
in presentia populi und unter Beisein von Kampfrichtern statt 88. Er
dauert nicht länger als bis zum Untergang der Sonne 89. Ist es bis
dahin dem Herausfordernden nicht gelungen, den Gegner zu besiegen,
so hat dieser das Ordal bestanden 90. Der Kampf ist entschieden, so-
bald einer der Kämpfenden sich für besiegt erklärt (sibi concrediderit) 91
oder getötet worden ist 92, oder sobald die Kampfrichter bei zweifel-
losem Siege das Zeichen zur Beendigung des Kampfes gegeben haben 93.

Das bairische und das langobardische Recht gestatten regelmässig
die Durchführung des Zweikampfes durch Kämpen. Nur bei Mord-
anschlag gegen den Herzog schliesst das bairische Recht sie aus 94.
In Baiern werden die Kämpen verloost 95, ausgenommen beim Grenz-
streit 96. Bei den Friesen begegnet uns der Zweikampf durch ge-
dungene Kämpen nur in einem vereinzelten Falle 97. Nach dem Rechte
der Franken scheint die Vertretung nur zulässig gewesen zu sein, wenn
der König sie erlaubte 98. Doch finden wir sie ohne diese Voraus-
setzung in nachfränkischer Zeit wenigstens bei Civilsachen 99.

Vor Beginn des Kampfes müssen die Kämpfenden schwören,
dass sie keine Zaubermittel an sich tragen 100. Damit der Ausgang
des Zweikampfes nicht durch Zaubersprüche und Zauberkünste von den
Prozessparteien beeinflusst werden könne, befahl Herzog Tassilo III.

88 Lex Baiuw. II 1; II 11.
89 In der Urk. Cartulaire de Beaulieu Nr. 47, v. J. 960, H. 547, findet ein
Zweikampf um eine Liegenschaft statt: secunda diei hora certantibus usque ad
solis occasum neminem quippe cernerent eorum vincere ... Die zwei Kläger, deren
Kämpen gegeneinander gestritten hatten, um auszufechten, wem das von jenen be-
anspruchte, im Besitz der Kirche von Beaulieu befindliche Gut gebühre, werden
abgewiesen.
90 Nach altfranz. Recht erklärt der Herausfordernde, er wolle den Gegner
rendre mort ou recreant.
91 Lex Fris. 14, 4.
92 In dem Falle Gregor. Tur. Hist. Franc. X 10 sterben beide Kämpen; nichts-
destoweniger wird Chundo, den der eine von ihnen vertreten hat, auf Befehl des
Königs getötet.
93 Lex Baiuw. II 11.
94 Lex Baiuw. II 1.
95 Lex Baiuw. IX 2: vel duo campiones pugnent et sortiant de illis, cui Deus
fortiorem dederit.
96 Lex Baiuw. XII 8: et in campiones non sortiantur, sed cui Deus fortiorem
(campionem) dederit et victoriam, ad ipsius partem .. pertineat.
97 Lex Fris. 14, 4.
98 In dem Falle Greg. Tur. Hist. Franc. X 10. Vgl. oben S. 422, Anm. 9.
99 Cartulaire de Beaulieu Nr. 47, H. 547.
100 Roth. 368. Denselben Eid verlangt das altfranz. Duellrecht.

§ 108. Das Beweisverfahren.
in presentia populi und unter Beisein von Kampfrichtern statt 88. Er
dauert nicht länger als bis zum Untergang der Sonne 89. Ist es bis
dahin dem Herausfordernden nicht gelungen, den Gegner zu besiegen,
so hat dieser das Ordal bestanden 90. Der Kampf ist entschieden, so-
bald einer der Kämpfenden sich für besiegt erklärt (sibi concrediderit) 91
oder getötet worden ist 92, oder sobald die Kampfrichter bei zweifel-
losem Siege das Zeichen zur Beendigung des Kampfes gegeben haben 93.

Das bairische und das langobardische Recht gestatten regelmäſsig
die Durchführung des Zweikampfes durch Kämpen. Nur bei Mord-
anschlag gegen den Herzog schlieſst das bairische Recht sie aus 94.
In Baiern werden die Kämpen verloost 95, ausgenommen beim Grenz-
streit 96. Bei den Friesen begegnet uns der Zweikampf durch ge-
dungene Kämpen nur in einem vereinzelten Falle 97. Nach dem Rechte
der Franken scheint die Vertretung nur zulässig gewesen zu sein, wenn
der König sie erlaubte 98. Doch finden wir sie ohne diese Voraus-
setzung in nachfränkischer Zeit wenigstens bei Civilsachen 99.

Vor Beginn des Kampfes müssen die Kämpfenden schwören,
daſs sie keine Zaubermittel an sich tragen 100. Damit der Ausgang
des Zweikampfes nicht durch Zaubersprüche und Zauberkünste von den
Prozeſsparteien beeinfluſst werden könne, befahl Herzog Tassilo III.

88 Lex Baiuw. II 1; II 11.
89 In der Urk. Cartulaire de Beaulieu Nr. 47, v. J. 960, H. 547, findet ein
Zweikampf um eine Liegenschaft statt: secunda diei hora certantibus usque ad
solis occasum neminem quippe cernerent eorum vincere … Die zwei Kläger, deren
Kämpen gegeneinander gestritten hatten, um auszufechten, wem das von jenen be-
anspruchte, im Besitz der Kirche von Beaulieu befindliche Gut gebühre, werden
abgewiesen.
90 Nach altfranz. Recht erklärt der Herausfordernde, er wolle den Gegner
rendre mort ou recreant.
91 Lex Fris. 14, 4.
92 In dem Falle Gregor. Tur. Hist. Franc. X 10 sterben beide Kämpen; nichts-
destoweniger wird Chundo, den der eine von ihnen vertreten hat, auf Befehl des
Königs getötet.
93 Lex Baiuw. II 11.
94 Lex Baiuw. II 1.
95 Lex Baiuw. IX 2: vel duo campiones pugnent et sortiant de illis, cui Deus
fortiorem dederit.
96 Lex Baiuw. XII 8: et in campiones non sortiantur, sed cui Deus fortiorem
(campionem) dederit et victoriam, ad ipsius partem .. pertineat.
97 Lex Fris. 14, 4.
98 In dem Falle Greg. Tur. Hist. Franc. X 10. Vgl. oben S. 422, Anm. 9.
99 Cartulaire de Beaulieu Nr. 47, H. 547.
100 Roth. 368. Denselben Eid verlangt das altfranz. Duellrecht.
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[440/0458] § 108. Das Beweisverfahren. in presentia populi und unter Beisein von Kampfrichtern statt 88. Er dauert nicht länger als bis zum Untergang der Sonne 89. Ist es bis dahin dem Herausfordernden nicht gelungen, den Gegner zu besiegen, so hat dieser das Ordal bestanden 90. Der Kampf ist entschieden, so- bald einer der Kämpfenden sich für besiegt erklärt (sibi concrediderit) 91 oder getötet worden ist 92, oder sobald die Kampfrichter bei zweifel- losem Siege das Zeichen zur Beendigung des Kampfes gegeben haben 93. Das bairische und das langobardische Recht gestatten regelmäſsig die Durchführung des Zweikampfes durch Kämpen. Nur bei Mord- anschlag gegen den Herzog schlieſst das bairische Recht sie aus 94. In Baiern werden die Kämpen verloost 95, ausgenommen beim Grenz- streit 96. Bei den Friesen begegnet uns der Zweikampf durch ge- dungene Kämpen nur in einem vereinzelten Falle 97. Nach dem Rechte der Franken scheint die Vertretung nur zulässig gewesen zu sein, wenn der König sie erlaubte 98. Doch finden wir sie ohne diese Voraus- setzung in nachfränkischer Zeit wenigstens bei Civilsachen 99. Vor Beginn des Kampfes müssen die Kämpfenden schwören, daſs sie keine Zaubermittel an sich tragen 100. Damit der Ausgang des Zweikampfes nicht durch Zaubersprüche und Zauberkünste von den Prozeſsparteien beeinfluſst werden könne, befahl Herzog Tassilo III. 88 Lex Baiuw. II 1; II 11. 89 In der Urk. Cartulaire de Beaulieu Nr. 47, v. J. 960, H. 547, findet ein Zweikampf um eine Liegenschaft statt: secunda diei hora certantibus usque ad solis occasum neminem quippe cernerent eorum vincere … Die zwei Kläger, deren Kämpen gegeneinander gestritten hatten, um auszufechten, wem das von jenen be- anspruchte, im Besitz der Kirche von Beaulieu befindliche Gut gebühre, werden abgewiesen. 90 Nach altfranz. Recht erklärt der Herausfordernde, er wolle den Gegner rendre mort ou recreant. 91 Lex Fris. 14, 4. 92 In dem Falle Gregor. Tur. Hist. Franc. X 10 sterben beide Kämpen; nichts- destoweniger wird Chundo, den der eine von ihnen vertreten hat, auf Befehl des Königs getötet. 93 Lex Baiuw. II 11. 94 Lex Baiuw. II 1. 95 Lex Baiuw. IX 2: vel duo campiones pugnent et sortiant de illis, cui Deus fortiorem dederit. 96 Lex Baiuw. XII 8: et in campiones non sortiantur, sed cui Deus fortiorem (campionem) dederit et victoriam, ad ipsius partem .. pertineat. 97 Lex Fris. 14, 4. 98 In dem Falle Greg. Tur. Hist. Franc. X 10. Vgl. oben S. 422, Anm. 9. 99 Cartulaire de Beaulieu Nr. 47, H. 547. 100 Roth. 368. Denselben Eid verlangt das altfranz. Duellrecht.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/458>, abgerufen am 26.04.2024.