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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann.
älterem Rechte nur auf Acht, nach jüngerem auch auf eine ihrer im
Gebiete der Exekution liegenden Abspaltungen erkannt werden. War
die Ladung um eine Achtsache ergangen, so trifft den Ungehorsamen
in der Acht eine Strafe, welche begrifflich derjenigen gleichsteht,
die über ihn verhängt worden wäre, wenn er vor Gericht seine Misse-
that bekannt hätte. Auf dieser Grundlage konnte sich nachmals im
langobardischen Rechte, nach welchem der Bann binnen bestimmter
Frist ein unlösbarer wurde, der bekannte prozessualische Grundsatz
ausbilden: absens pro confesso habetur 3. Steht eine Leistung des
Ausgebliebenen in Frage, so wird noch nach dem Rechte der Lex
Salica nicht etwa durch Urteil auf die Leistung erkannt, sondern es er-
übrigt nur das Achtverfahren 4. Erst als sich aus der Acht beson-
dere Formen richterlicher Zwangsvollstreckung, die richterliche Aus-
pfändung und die missio in bannum, entwickelt hatten, erging ein
Urteil in der Sache selbst, das für die exekutive Befriedigung des
Klägers massgebend war 5. Dagegen lautete in Fällen, in welchen dem
Beklagten eine peinliche Strafe, d. h. eine Leibes- oder Lebensstrafe,
drohte, mochte sie nun unablösbar oder ablösbar sein, das Urteil
auch fernerhin auf Acht (Vorbann) 6.

Der Ungehorsam gegen das Urteil ist Verweigerung des durch

dere Reinigungsmittel ins Auge. Es ist aber durchaus unwahrscheinlich, dass bei
Abwesenheit des Beklagten auf Beweis erkannt worden sei.
3 Vgl. darüber Ficker, Forschungen I 117. Hugo Meyer a. O. S. 106.
4 A. A. Sohm, Prozess S. 157, mit Berufung auf Lex Sal. 40. 9, betref-
fend das Verfahren um Missethat eines Knechtes, den der Herr nicht zur Folte-
rung stellt. Allein eigentliche Prozesspartei ist hier der Herr, der, um sich der
vollen Haftung zu entziehen, den Sklaven stellen mag. Versäumt er es, so ist
er beweisfällig und büsst die That des Sklaven. Das Urteil, welches ihm diese
Busse auferlegt, ist für ihn kein Urteil wegen Contumaz gegen die Ladung.
5 Edictum Chilperici c. 8 setzt ein Urteil der Rachineburgen über die aus-
zupfändende Summe voraus. H. Brunner, Gerichtszeugnis S. 165 f. In Lex
Rib. 32, 3: et sic iudex fiscalis ad domum illius accedere debet et legitima strude
exinde auferre et ei tribuere, qui eum interpellavit, hoc est ad septem raginburgiis
unicuique 15 solidos et ei qui causam sequitur 45, dürfte die Pfändung sich nicht,
wie Siegel, Gerichtsverfahren S. 73 f., annimmt, nur auf die zuletzt genannten
105 Solidi, sondern auch auf den fredus und auf das Klagbegehren erstrecken,
über welches vermutlich im vierten Mallus gegen den Contumax ein Urteil gefällt
worden war. Siehe oben S. 337. 456. -- Wenn in einem Rechtsstreite über ein
Grundstück gegen den Beklagten wegen fortgesetzten Ungehorsams auf missio in
bannum erkannt wurde, konnte das Urteil nicht etwa die Übereignung des Streit-
gutes an den Kläger aussprechen, weil es durch die missio in bannum zunächst
dem König verfiel. Cap. legibus add. 818/9, c. 11, I 283. Siehe oben S. 460.
6 Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 3, Pertz, LL I 520. Über das altfranzösische
Recht Tardif, Procedure civile et criminelle (1885) S. 57. 149.

§ 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann.
älterem Rechte nur auf Acht, nach jüngerem auch auf eine ihrer im
Gebiete der Exekution liegenden Abspaltungen erkannt werden. War
die Ladung um eine Achtsache ergangen, so trifft den Ungehorsamen
in der Acht eine Strafe, welche begrifflich derjenigen gleichsteht,
die über ihn verhängt worden wäre, wenn er vor Gericht seine Misse-
that bekannt hätte. Auf dieser Grundlage konnte sich nachmals im
langobardischen Rechte, nach welchem der Bann binnen bestimmter
Frist ein unlösbarer wurde, der bekannte prozessualische Grundsatz
ausbilden: absens pro confesso habetur 3. Steht eine Leistung des
Ausgebliebenen in Frage, so wird noch nach dem Rechte der Lex
Salica nicht etwa durch Urteil auf die Leistung erkannt, sondern es er-
übrigt nur das Achtverfahren 4. Erst als sich aus der Acht beson-
dere Formen richterlicher Zwangsvollstreckung, die richterliche Aus-
pfändung und die missio in bannum, entwickelt hatten, erging ein
Urteil in der Sache selbst, das für die exekutive Befriedigung des
Klägers maſsgebend war 5. Dagegen lautete in Fällen, in welchen dem
Beklagten eine peinliche Strafe, d. h. eine Leibes- oder Lebensstrafe,
drohte, mochte sie nun unablösbar oder ablösbar sein, das Urteil
auch fernerhin auf Acht (Vorbann) 6.

Der Ungehorsam gegen das Urteil ist Verweigerung des durch

dere Reinigungsmittel ins Auge. Es ist aber durchaus unwahrscheinlich, daſs bei
Abwesenheit des Beklagten auf Beweis erkannt worden sei.
3 Vgl. darüber Ficker, Forschungen I 117. Hugo Meyer a. O. S. 106.
4 A. A. Sohm, Prozeſs S. 157, mit Berufung auf Lex Sal. 40. 9, betref-
fend das Verfahren um Missethat eines Knechtes, den der Herr nicht zur Folte-
rung stellt. Allein eigentliche Prozeſspartei ist hier der Herr, der, um sich der
vollen Haftung zu entziehen, den Sklaven stellen mag. Versäumt er es, so ist
er beweisfällig und büſst die That des Sklaven. Das Urteil, welches ihm diese
Buſse auferlegt, ist für ihn kein Urteil wegen Contumaz gegen die Ladung.
5 Edictum Chilperici c. 8 setzt ein Urteil der Rachineburgen über die aus-
zupfändende Summe voraus. H. Brunner, Gerichtszeugnis S. 165 f. In Lex
Rib. 32, 3: et sic iudex fiscalis ad domum illius accedere debet et legitima strude
exinde auferre et ei tribuere, qui eum interpellavit, hoc est ad septem raginburgiis
unicuique 15 solidos et ei qui causam sequitur 45, dürfte die Pfändung sich nicht,
wie Siegel, Gerichtsverfahren S. 73 f., annimmt, nur auf die zuletzt genannten
105 Solidi, sondern auch auf den fredus und auf das Klagbegehren erstrecken,
über welches vermutlich im vierten Mallus gegen den Contumax ein Urteil gefällt
worden war. Siehe oben S. 337. 456. — Wenn in einem Rechtsstreite über ein
Grundstück gegen den Beklagten wegen fortgesetzten Ungehorsams auf missio in
bannum erkannt wurde, konnte das Urteil nicht etwa die Übereignung des Streit-
gutes an den Kläger aussprechen, weil es durch die missio in bannum zunächst
dem König verfiel. Cap. legibus add. 818/9, c. 11, I 283. Siehe oben S. 460.
6 Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 3, Pertz, LL I 520. Über das altfranzösische
Recht Tardif, Procédure civile et criminelle (1885) S. 57. 149.
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[462/0480] § 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann. älterem Rechte nur auf Acht, nach jüngerem auch auf eine ihrer im Gebiete der Exekution liegenden Abspaltungen erkannt werden. War die Ladung um eine Achtsache ergangen, so trifft den Ungehorsamen in der Acht eine Strafe, welche begrifflich derjenigen gleichsteht, die über ihn verhängt worden wäre, wenn er vor Gericht seine Misse- that bekannt hätte. Auf dieser Grundlage konnte sich nachmals im langobardischen Rechte, nach welchem der Bann binnen bestimmter Frist ein unlösbarer wurde, der bekannte prozessualische Grundsatz ausbilden: absens pro confesso habetur 3. Steht eine Leistung des Ausgebliebenen in Frage, so wird noch nach dem Rechte der Lex Salica nicht etwa durch Urteil auf die Leistung erkannt, sondern es er- übrigt nur das Achtverfahren 4. Erst als sich aus der Acht beson- dere Formen richterlicher Zwangsvollstreckung, die richterliche Aus- pfändung und die missio in bannum, entwickelt hatten, erging ein Urteil in der Sache selbst, das für die exekutive Befriedigung des Klägers maſsgebend war 5. Dagegen lautete in Fällen, in welchen dem Beklagten eine peinliche Strafe, d. h. eine Leibes- oder Lebensstrafe, drohte, mochte sie nun unablösbar oder ablösbar sein, das Urteil auch fernerhin auf Acht (Vorbann) 6. Der Ungehorsam gegen das Urteil ist Verweigerung des durch 2 3 Vgl. darüber Ficker, Forschungen I 117. Hugo Meyer a. O. S. 106. 4 A. A. Sohm, Prozeſs S. 157, mit Berufung auf Lex Sal. 40. 9, betref- fend das Verfahren um Missethat eines Knechtes, den der Herr nicht zur Folte- rung stellt. Allein eigentliche Prozeſspartei ist hier der Herr, der, um sich der vollen Haftung zu entziehen, den Sklaven stellen mag. Versäumt er es, so ist er beweisfällig und büſst die That des Sklaven. Das Urteil, welches ihm diese Buſse auferlegt, ist für ihn kein Urteil wegen Contumaz gegen die Ladung. 5 Edictum Chilperici c. 8 setzt ein Urteil der Rachineburgen über die aus- zupfändende Summe voraus. H. Brunner, Gerichtszeugnis S. 165 f. In Lex Rib. 32, 3: et sic iudex fiscalis ad domum illius accedere debet et legitima strude exinde auferre et ei tribuere, qui eum interpellavit, hoc est ad septem raginburgiis unicuique 15 solidos et ei qui causam sequitur 45, dürfte die Pfändung sich nicht, wie Siegel, Gerichtsverfahren S. 73 f., annimmt, nur auf die zuletzt genannten 105 Solidi, sondern auch auf den fredus und auf das Klagbegehren erstrecken, über welches vermutlich im vierten Mallus gegen den Contumax ein Urteil gefällt worden war. Siehe oben S. 337. 456. — Wenn in einem Rechtsstreite über ein Grundstück gegen den Beklagten wegen fortgesetzten Ungehorsams auf missio in bannum erkannt wurde, konnte das Urteil nicht etwa die Übereignung des Streit- gutes an den Kläger aussprechen, weil es durch die missio in bannum zunächst dem König verfiel. Cap. legibus add. 818/9, c. 11, I 283. Siehe oben S. 460. 6 Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 3, Pertz, LL I 520. Über das altfranzösische Recht Tardif, Procédure civile et criminelle (1885) S. 57. 149. 2 dere Reinigungsmittel ins Auge. Es ist aber durchaus unwahrscheinlich, daſs bei Abwesenheit des Beklagten auf Beweis erkannt worden sei.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/480>, abgerufen am 26.04.2024.