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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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[III. Teil.] Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Praxis aus anderer Veranlassung zuläßt, zu erklären sind, braucht
hier nicht erörtert zu werden.

2. Die völkerrechtliche Individualität der Staaten.

Jeder Staat ist eine Individualität nicht nur in dem Sinne
einer unteilbaren Einheit, sondern auch, und so ist der Ausdruck
hier verstanden, im Sinne eines eigenartigen Einzelwesens. Der
Begriff des Staates bleibt stets und überall derselbe; aber er
findet sich in verschiedenen Individualitäten verwirklicht. Von
Individualität kann nur die Rede sein unter der Voraussetzung
einer Mehrheit von Staaten; gäbe es nur einen, so hätte er keine
Eigenart, weil es keinen andersgearteten gäbe, es sei denn in der
Gegensätzlichkeit des gegenwärtigen (einen) zum früheren Staate,
d. h. in bezug auf die wechselnde Verfassungsform dieses einen
Staates. In der Tat, wenn man von der Vielheit der Staaten
absieht und nur einen Staat betrachtet oder sich die ganze
Menschheit in einen Staat vereinigt denkt und ihn mit sich selbst
in verschiedenen Zeiten vergleicht, so wird seine Eigenart durch
seine Verfassung bestimmt. Für den Juristen macht die Ver-
fassung den Staat aus, und so viel verschiedene Verfassungen
eine Rechtsgemeinschaft gehabt hat, so viel Staaten hat sie im
Laufe der Zeit gebildet; jeder bildet staatsrechtlich eine Indi-
vidualität, eine besondere Einheit (vgl. oben S. 219 f.). Der Wechsel
der Personen in den sich ablösenden Geschlechtern und auch der
Wechsel des Ortes (denn von Gebiet kann in unserer Voraussetzung
nicht gesprochen werden; siehe unten S. 366) würde bei der Be-
trachtung jenes einzigen Staates nichts ausmachen. Gerade um-
gekehrt ist es, wenn man eine Vielheit von Staaten voraussetzt und
einen Staat als Glied dieser Staatengemeinschaft, im Gegensatz
zu anderen Staaten, betrachtet. Dann ist für seine völkerrecht-
liche
Eigenart die Verfassungsform gleichgültig; von Bedeutung
sind aber sein Volk und sein Gebiet. Zwei Staaten können sehr
wohl dieselbe Verfassung haben, ohne identisch zu sein. Ein Volk
aber bleibt völkerrechtlich dieselbe Individualität, sofern es auf
demselben Gebiet bleibt, trotzdem es zu verschiedenen Zeiten
verschiedene Verfassungen gehabt hat. Durch die Änderung der
Verfassung wird der völkerrechtliche Status eines Staates nicht
geändert, wohl aber durch veränderte Umschreibung seines Ge-

[III. Teil.] Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Praxis aus anderer Veranlassung zuläßt, zu erklären sind, braucht
hier nicht erörtert zu werden.

2. Die völkerrechtliche Individualität der Staaten.

Jeder Staat ist eine Individualität nicht nur in dem Sinne
einer unteilbaren Einheit, sondern auch, und so ist der Ausdruck
hier verstanden, im Sinne eines eigenartigen Einzelwesens. Der
Begriff des Staates bleibt stets und überall derselbe; aber er
findet sich in verschiedenen Individualitäten verwirklicht. Von
Individualität kann nur die Rede sein unter der Voraussetzung
einer Mehrheit von Staaten; gäbe es nur einen, so hätte er keine
Eigenart, weil es keinen andersgearteten gäbe, es sei denn in der
Gegensätzlichkeit des gegenwärtigen (einen) zum früheren Staate,
d. h. in bezug auf die wechselnde Verfassungsform dieses einen
Staates. In der Tat, wenn man von der Vielheit der Staaten
absieht und nur einen Staat betrachtet oder sich die ganze
Menschheit in einen Staat vereinigt denkt und ihn mit sich selbst
in verschiedenen Zeiten vergleicht, so wird seine Eigenart durch
seine Verfassung bestimmt. Für den Juristen macht die Ver-
fassung den Staat aus, und so viel verschiedene Verfassungen
eine Rechtsgemeinschaft gehabt hat, so viel Staaten hat sie im
Laufe der Zeit gebildet; jeder bildet staatsrechtlich eine Indi-
vidualität, eine besondere Einheit (vgl. oben S. 219 f.). Der Wechsel
der Personen in den sich ablösenden Geschlechtern und auch der
Wechsel des Ortes (denn von Gebiet kann in unserer Voraussetzung
nicht gesprochen werden; siehe unten S. 366) würde bei der Be-
trachtung jenes einzigen Staates nichts ausmachen. Gerade um-
gekehrt ist es, wenn man eine Vielheit von Staaten voraussetzt und
einen Staat als Glied dieser Staatengemeinschaft, im Gegensatz
zu anderen Staaten, betrachtet. Dann ist für seine völkerrecht-
liche
Eigenart die Verfassungsform gleichgültig; von Bedeutung
sind aber sein Volk und sein Gebiet. Zwei Staaten können sehr
wohl dieselbe Verfassung haben, ohne identisch zu sein. Ein Volk
aber bleibt völkerrechtlich dieselbe Individualität, sofern es auf
demselben Gebiet bleibt, trotzdem es zu verschiedenen Zeiten
verschiedene Verfassungen gehabt hat. Durch die Änderung der
Verfassung wird der völkerrechtliche Status eines Staates nicht
geändert, wohl aber durch veränderte Umschreibung seines Ge-

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[360/0375] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. Praxis aus anderer Veranlassung zuläßt, zu erklären sind, braucht hier nicht erörtert zu werden. 2. Die völkerrechtliche Individualität der Staaten. Jeder Staat ist eine Individualität nicht nur in dem Sinne einer unteilbaren Einheit, sondern auch, und so ist der Ausdruck hier verstanden, im Sinne eines eigenartigen Einzelwesens. Der Begriff des Staates bleibt stets und überall derselbe; aber er findet sich in verschiedenen Individualitäten verwirklicht. Von Individualität kann nur die Rede sein unter der Voraussetzung einer Mehrheit von Staaten; gäbe es nur einen, so hätte er keine Eigenart, weil es keinen andersgearteten gäbe, es sei denn in der Gegensätzlichkeit des gegenwärtigen (einen) zum früheren Staate, d. h. in bezug auf die wechselnde Verfassungsform dieses einen Staates. In der Tat, wenn man von der Vielheit der Staaten absieht und nur einen Staat betrachtet oder sich die ganze Menschheit in einen Staat vereinigt denkt und ihn mit sich selbst in verschiedenen Zeiten vergleicht, so wird seine Eigenart durch seine Verfassung bestimmt. Für den Juristen macht die Ver- fassung den Staat aus, und so viel verschiedene Verfassungen eine Rechtsgemeinschaft gehabt hat, so viel Staaten hat sie im Laufe der Zeit gebildet; jeder bildet staatsrechtlich eine Indi- vidualität, eine besondere Einheit (vgl. oben S. 219 f.). Der Wechsel der Personen in den sich ablösenden Geschlechtern und auch der Wechsel des Ortes (denn von Gebiet kann in unserer Voraussetzung nicht gesprochen werden; siehe unten S. 366) würde bei der Be- trachtung jenes einzigen Staates nichts ausmachen. Gerade um- gekehrt ist es, wenn man eine Vielheit von Staaten voraussetzt und einen Staat als Glied dieser Staatengemeinschaft, im Gegensatz zu anderen Staaten, betrachtet. Dann ist für seine völkerrecht- liche Eigenart die Verfassungsform gleichgültig; von Bedeutung sind aber sein Volk und sein Gebiet. Zwei Staaten können sehr wohl dieselbe Verfassung haben, ohne identisch zu sein. Ein Volk aber bleibt völkerrechtlich dieselbe Individualität, sofern es auf demselben Gebiet bleibt, trotzdem es zu verschiedenen Zeiten verschiedene Verfassungen gehabt hat. Durch die Änderung der Verfassung wird der völkerrechtliche Status eines Staates nicht geändert, wohl aber durch veränderte Umschreibung seines Ge-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/375>, abgerufen am 26.04.2024.