Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite
VI.

Allein zurückgeblieben auf der öden Haide,
ließ ich unendlichen Thränen freien Lauf, mein
armes Herz von namenloser banger Last erleich¬
ternd. Aber ich sah meinem unüberschwänglichen
Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel,
und ich sog besonders mit grimmigem Durst an
dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine
Wunden gegossen. Als ich Minas Bild vor
meine Seele rief, und die geliebte, süße Gestalt
bleich und in Thränen mir erschien, wie ich sie
zuletzt in meiner Schmach gesehen, da trat frech
und höhnend Rascal's Schemen zwischen sie und
mich, ich verhüllte mein Gesicht, und floh durch
die Einöde, aber die scheußliche Erscheinung gab
mich nicht frei, sondern verfolgte mich im Laufe,
bis ich athemlos an den Boden sank, und die Erde
mit erneuertem Thränenquell befeuchtete.

VI.

Allein zuruͤckgeblieben auf der oͤden Haide,
ließ ich unendlichen Thraͤnen freien Lauf, mein
armes Herz von namenloſer banger Laſt erleich¬
ternd. Aber ich ſah meinem unuͤberſchwaͤnglichen
Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel,
und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt an
dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine
Wunden gegoſſen. Als ich Minas Bild vor
meine Seele rief, und die geliebte, ſuͤße Geſtalt
bleich und in Thraͤnen mir erſchien, wie ich ſie
zuletzt in meiner Schmach geſehen, da trat frech
und hoͤhnend Rascal's Schemen zwiſchen ſie und
mich, ich verhuͤllte mein Geſicht, und floh durch
die Einoͤde, aber die ſcheußliche Erſcheinung gab
mich nicht frei, ſondern verfolgte mich im Laufe,
bis ich athemlos an den Boden ſank, und die Erde
mit erneuertem Thraͤnenquell befeuchtete.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0090" n="70"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">A</hi>llein zuru&#x0364;ckgeblieben auf der o&#x0364;den Haide,<lb/>
ließ ich unendlichen Thra&#x0364;nen freien Lauf, mein<lb/>
armes Herz von namenlo&#x017F;er banger La&#x017F;t erleich¬<lb/>
ternd. Aber ich &#x017F;ah meinem unu&#x0364;ber&#x017F;chwa&#x0364;nglichen<lb/>
Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel,<lb/>
und ich &#x017F;og be&#x017F;onders mit grimmigem Dur&#x017F;t an<lb/>
dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine<lb/>
Wunden gego&#x017F;&#x017F;en. Als ich <hi rendition="#g">Minas</hi> Bild vor<lb/>
meine Seele rief, und die geliebte, &#x017F;u&#x0364;ße Ge&#x017F;talt<lb/>
bleich und in Thra&#x0364;nen mir er&#x017F;chien, wie ich &#x017F;ie<lb/>
zuletzt in meiner Schmach ge&#x017F;ehen, da trat frech<lb/>
und ho&#x0364;hnend <hi rendition="#g">Rascal's</hi> Schemen zwi&#x017F;chen &#x017F;ie und<lb/>
mich, ich verhu&#x0364;llte mein Ge&#x017F;icht, und floh durch<lb/>
die Eino&#x0364;de, aber die &#x017F;cheußliche Er&#x017F;cheinung gab<lb/>
mich nicht frei, &#x017F;ondern verfolgte mich im Laufe,<lb/>
bis ich athemlos an den Boden &#x017F;ank, und die Erde<lb/>
mit erneuertem Thra&#x0364;nenquell befeuchtete.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0090] VI. Allein zuruͤckgeblieben auf der oͤden Haide, ließ ich unendlichen Thraͤnen freien Lauf, mein armes Herz von namenloſer banger Laſt erleich¬ ternd. Aber ich ſah meinem unuͤberſchwaͤnglichen Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel, und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt an dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wunden gegoſſen. Als ich Minas Bild vor meine Seele rief, und die geliebte, ſuͤße Geſtalt bleich und in Thraͤnen mir erſchien, wie ich ſie zuletzt in meiner Schmach geſehen, da trat frech und hoͤhnend Rascal's Schemen zwiſchen ſie und mich, ich verhuͤllte mein Geſicht, und floh durch die Einoͤde, aber die ſcheußliche Erſcheinung gab mich nicht frei, ſondern verfolgte mich im Laufe, bis ich athemlos an den Boden ſank, und die Erde mit erneuertem Thraͤnenquell befeuchtete.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Beigebunden im Anhang des für das DTA gewählten E… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/90
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/90>, abgerufen am 05.05.2024.