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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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von der Gewißheit der Geschichte etc.
innen sich dermahlen die Menschen unter einander
befinden: sondern 1. äussert sich häuffig Uebereilung
und Verwirrung verschiedener Dinge im Versrande,
so daß, wenn auch ein gewesener Zuschauer etwas
nach seinem besten Wissen und Gewissen erzehlet, ich
doch solches nicht allemahl als ein durchgängig wah-
res Bild der Sache annehmen kan. 2. Hierzu kommt
Leichtsinnigkeit, eine Sache zu reden, wo von man doch
das Gegentheil im Hertzen glaubt; welches theils
durch Eitelkeit veranlasset wird, als bey Prahlern;
theils durch schädlichen Gewinst, wie bey falschen
Zeugen. 3. Eine ausschweiffende Einbildungs-
krafft macht auch, daß man Sachen erzehlet, als
ob man dabey gewesen, die man doch weder gese-
hen, noch genau untersuchet hat: und eben diese
Ausschweiffungen machen, daß Leute öffters, wenn
sie gleich in der Hauptsache die Wahrheit erzehlen,
dennoch auch allerhand Umstände darzu dichten.
Welches alles so viel ausrichtet, daß jeder Mensch
zwar mit seiner Aussage vors erste den Eindruck der
Wahrheit macht; (§. 17.) aber daß bey weitern
Nachdencken, wenn wir weiter keine Bekanntschaft
mit ihm haben, allerhand Verdacht der Unwahr-
heit entstehen kan; ja beynahe entstehen muß: so,
daß aus der Nachricht eines Autors, den ich wei-
ter nicht kenne, als daß er ein Mensch ist, keine
Gewißheit zu erhalten ist.

§. 20.
2. Wie sie auf Seiten des Zuhörers zerrüttet
wird.

Da die Gewißheit aber nicht allein auf der Sa-

che

von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc.
innen ſich dermahlen die Menſchen unter einander
befinden: ſondern 1. aͤuſſert ſich haͤuffig Uebereilung
und Verwirrung verſchiedener Dinge im Verſrande,
ſo daß, wenn auch ein geweſener Zuſchauer etwas
nach ſeinem beſten Wiſſen und Gewiſſen erzehlet, ich
doch ſolches nicht allemahl als ein durchgaͤngig wah-
res Bild der Sache annehmen kan. 2. Hierzu kommt
Leichtſinnigkeit, eine Sache zu reden, wo von man doch
das Gegentheil im Hertzen glaubt; welches theils
durch Eitelkeit veranlaſſet wird, als bey Prahlern;
theils durch ſchaͤdlichen Gewinſt, wie bey falſchen
Zeugen. 3. Eine ausſchweiffende Einbildungs-
krafft macht auch, daß man Sachen erzehlet, als
ob man dabey geweſen, die man doch weder geſe-
hen, noch genau unterſuchet hat: und eben dieſe
Ausſchweiffungen machen, daß Leute oͤffters, wenn
ſie gleich in der Hauptſache die Wahrheit erzehlen,
dennoch auch allerhand Umſtaͤnde darzu dichten.
Welches alles ſo viel ausrichtet, daß jeder Menſch
zwar mit ſeiner Ausſage vors erſte den Eindruck der
Wahrheit macht; (§. 17.) aber daß bey weitern
Nachdencken, wenn wir weiter keine Bekanntſchaft
mit ihm haben, allerhand Verdacht der Unwahr-
heit entſtehen kan; ja beynahe entſtehen muß: ſo,
daß aus der Nachricht eines Autors, den ich wei-
ter nicht kenne, als daß er ein Menſch iſt, keine
Gewißheit zu erhalten iſt.

§. 20.
2. Wie ſie auf Seiten des Zuhoͤrers zerruͤttet
wird.

Da die Gewißheit aber nicht allein auf der Sa-

che
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[299/0335] von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. innen ſich dermahlen die Menſchen unter einander befinden: ſondern 1. aͤuſſert ſich haͤuffig Uebereilung und Verwirrung verſchiedener Dinge im Verſrande, ſo daß, wenn auch ein geweſener Zuſchauer etwas nach ſeinem beſten Wiſſen und Gewiſſen erzehlet, ich doch ſolches nicht allemahl als ein durchgaͤngig wah- res Bild der Sache annehmen kan. 2. Hierzu kommt Leichtſinnigkeit, eine Sache zu reden, wo von man doch das Gegentheil im Hertzen glaubt; welches theils durch Eitelkeit veranlaſſet wird, als bey Prahlern; theils durch ſchaͤdlichen Gewinſt, wie bey falſchen Zeugen. 3. Eine ausſchweiffende Einbildungs- krafft macht auch, daß man Sachen erzehlet, als ob man dabey geweſen, die man doch weder geſe- hen, noch genau unterſuchet hat: und eben dieſe Ausſchweiffungen machen, daß Leute oͤffters, wenn ſie gleich in der Hauptſache die Wahrheit erzehlen, dennoch auch allerhand Umſtaͤnde darzu dichten. Welches alles ſo viel ausrichtet, daß jeder Menſch zwar mit ſeiner Ausſage vors erſte den Eindruck der Wahrheit macht; (§. 17.) aber daß bey weitern Nachdencken, wenn wir weiter keine Bekanntſchaft mit ihm haben, allerhand Verdacht der Unwahr- heit entſtehen kan; ja beynahe entſtehen muß: ſo, daß aus der Nachricht eines Autors, den ich wei- ter nicht kenne, als daß er ein Menſch iſt, keine Gewißheit zu erhalten iſt. §. 20. 2. Wie ſie auf Seiten des Zuhoͤrers zerruͤttet wird. Da die Gewißheit aber nicht allein auf der Sa- che

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/335>, abgerufen am 26.04.2024.