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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Verlangen habe ich Sie gesucht, mein Gefühl sagte
mir, daß ich Sie sicher finden würde, und nun bin ich
glücklich und danke Gott, daß es wahr geworden."
"Aber, Sie Böser! sagte sie, warum sind Sie nicht ge¬
kommen? Ich erfuhr heute zufällig, daß Sie schon
seit drei Tagen zurück, und habe den ganzen Nachmit¬
tag geweint, weil ich dachte, Sie hätten mich vergessen.
Dann vor einer Stunde ergriff mich ein Verlangen
und eine Unruhe nach Ihnen, ich kann es nicht sagen.
Es waren ein paar Freundinnen bei mir, deren Besuch
mir eine Ewigkeit dauerte. Endlich, als sie fort waren,
griff ich unwillkürlich nach meinem Hut und Mäntelchen,
es trieb mich, in die Luft zu gehen, in die Dunkelheit
hinaus, ich wußte nicht wohin. Dabei lagen Sie mir
immer im Sinn, und es war mir nicht anders, als
müßten Sie mir begegnen." Indem sie so aus treuem
Herzen sprach, hielten wir unsere Hände noch immer
gefaßt und drückten uns und gaben uns zu verstehen,
daß die Abwesenheit unsere Liebe nicht erkaltet. Ich
begleitete sie bis vor die Thür, bis in ihr Haus. Sie
ging auf der finstern Treppe mir voran, wobei sie
meine Hand hielt und mich ihr gewissermaßen nachzog.
Mein Glück war unbeschreiblich, sowohl über das end¬
liche Wiedersehen, als auch darüber, daß mein Glaube
mich nicht betrogen und mein Gefühl von einer unsicht¬
baren Einwirkung mich nicht getäuscht hatte."

Goethe war in der liebevollsten Stimmung, ich hätte

Verlangen habe ich Sie geſucht, mein Gefühl ſagte
mir, daß ich Sie ſicher finden würde, und nun bin ich
glücklich und danke Gott, daß es wahr geworden.“
„Aber, Sie Böſer! ſagte ſie, warum ſind Sie nicht ge¬
kommen? Ich erfuhr heute zufällig, daß Sie ſchon
ſeit drei Tagen zurück, und habe den ganzen Nachmit¬
tag geweint, weil ich dachte, Sie hätten mich vergeſſen.
Dann vor einer Stunde ergriff mich ein Verlangen
und eine Unruhe nach Ihnen, ich kann es nicht ſagen.
Es waren ein paar Freundinnen bei mir, deren Beſuch
mir eine Ewigkeit dauerte. Endlich, als ſie fort waren,
griff ich unwillkürlich nach meinem Hut und Mäntelchen,
es trieb mich, in die Luft zu gehen, in die Dunkelheit
hinaus, ich wußte nicht wohin. Dabei lagen Sie mir
immer im Sinn, und es war mir nicht anders, als
müßten Sie mir begegnen.“ Indem ſie ſo aus treuem
Herzen ſprach, hielten wir unſere Hände noch immer
gefaßt und drückten uns und gaben uns zu verſtehen,
daß die Abweſenheit unſere Liebe nicht erkaltet. Ich
begleitete ſie bis vor die Thür, bis in ihr Haus. Sie
ging auf der finſtern Treppe mir voran, wobei ſie
meine Hand hielt und mich ihr gewiſſermaßen nachzog.
Mein Glück war unbeſchreiblich, ſowohl über das end¬
liche Wiederſehen, als auch darüber, daß mein Glaube
mich nicht betrogen und mein Gefühl von einer unſicht¬
baren Einwirkung mich nicht getäuſcht hatte.“

Goethe war in der liebevollſten Stimmung, ich hätte

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[204/0226] Verlangen habe ich Sie geſucht, mein Gefühl ſagte mir, daß ich Sie ſicher finden würde, und nun bin ich glücklich und danke Gott, daß es wahr geworden.“ „Aber, Sie Böſer! ſagte ſie, warum ſind Sie nicht ge¬ kommen? Ich erfuhr heute zufällig, daß Sie ſchon ſeit drei Tagen zurück, und habe den ganzen Nachmit¬ tag geweint, weil ich dachte, Sie hätten mich vergeſſen. Dann vor einer Stunde ergriff mich ein Verlangen und eine Unruhe nach Ihnen, ich kann es nicht ſagen. Es waren ein paar Freundinnen bei mir, deren Beſuch mir eine Ewigkeit dauerte. Endlich, als ſie fort waren, griff ich unwillkürlich nach meinem Hut und Mäntelchen, es trieb mich, in die Luft zu gehen, in die Dunkelheit hinaus, ich wußte nicht wohin. Dabei lagen Sie mir immer im Sinn, und es war mir nicht anders, als müßten Sie mir begegnen.“ Indem ſie ſo aus treuem Herzen ſprach, hielten wir unſere Hände noch immer gefaßt und drückten uns und gaben uns zu verſtehen, daß die Abweſenheit unſere Liebe nicht erkaltet. Ich begleitete ſie bis vor die Thür, bis in ihr Haus. Sie ging auf der finſtern Treppe mir voran, wobei ſie meine Hand hielt und mich ihr gewiſſermaßen nachzog. Mein Glück war unbeſchreiblich, ſowohl über das end¬ liche Wiederſehen, als auch darüber, daß mein Glaube mich nicht betrogen und mein Gefühl von einer unſicht¬ baren Einwirkung mich nicht getäuſcht hatte.“ Goethe war in der liebevollſten Stimmung, ich hätte

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/226>, abgerufen am 26.04.2024.