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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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an eine gegenseitige Einwirkung, und daß ich durch
ein mächtiges Verlangen sie herbeiziehen könne. Auch
glaubte ich mich unsichtbar von höheren Wesen umge¬
ben, die ich anflehte, ihre Schritte zu mir, oder die
meinigen zu ihr zu lenken. Aber was bist du für ein
Thor! sagte ich dann wieder zu mir selber. Noch ein¬
mal es versuchen und noch einmal zu ihr gehen, wolltest
du nicht, und jetzt verlangst du Zeichen und Wunder!"

"Indessen war ich an der Esplanade hinunter ge¬
gangen und bis an das kleine Haus gekommen, das
in spätern Jahren Schiller bewohnte, als es mich an¬
wandelte, umzukehren und zurück nach dem Palais und
von dort eine kleine Straße rechts zu gehen. Ich hatte
kaum hundert Schritte in dieser Richtung gethan, als
ich eine weibliche Gestalt mir entgegen kommen sah,
die der ersehnten vollkommen gleich war. Die Straße
war nur von dem schwachen Licht ein wenig dämmerig,
das hin und wieder durch ein Fenster drang, und da
mich diesen Abend eine scheinbare Aehnlichkeit schon oft
getäuscht hatte, so fühlte ich nicht den Muth, sie auf's
Ungewisse anzureden. Wir gingen dicht aneinander
vorbei, so daß unsere Arme sich berührten; ich stand
still und blickte mich um, sie auch. "Sind Sie
es?" sagte sie. Und ich erkannte ihre liebe Stimme.
"Endlich!" sagte ich, und war beglückt bis zu Thränen.
Unsere Hände ergriffen sich. "Nun!" sagte ich, meine
Hoffnung hat mich nicht betrogen. Mit dem größten

an eine gegenſeitige Einwirkung, und daß ich durch
ein mächtiges Verlangen ſie herbeiziehen könne. Auch
glaubte ich mich unſichtbar von höheren Weſen umge¬
ben, die ich anflehte, ihre Schritte zu mir, oder die
meinigen zu ihr zu lenken. Aber was biſt du für ein
Thor! ſagte ich dann wieder zu mir ſelber. Noch ein¬
mal es verſuchen und noch einmal zu ihr gehen, wollteſt
du nicht, und jetzt verlangſt du Zeichen und Wunder!“

„Indeſſen war ich an der Esplanade hinunter ge¬
gangen und bis an das kleine Haus gekommen, das
in ſpätern Jahren Schiller bewohnte, als es mich an¬
wandelte, umzukehren und zurück nach dem Palais und
von dort eine kleine Straße rechts zu gehen. Ich hatte
kaum hundert Schritte in dieſer Richtung gethan, als
ich eine weibliche Geſtalt mir entgegen kommen ſah,
die der erſehnten vollkommen gleich war. Die Straße
war nur von dem ſchwachen Licht ein wenig dämmerig,
das hin und wieder durch ein Fenſter drang, und da
mich dieſen Abend eine ſcheinbare Aehnlichkeit ſchon oft
getäuſcht hatte, ſo fühlte ich nicht den Muth, ſie auf's
Ungewiſſe anzureden. Wir gingen dicht aneinander
vorbei, ſo daß unſere Arme ſich berührten; ich ſtand
ſtill und blickte mich um, ſie auch. „Sind Sie
es?“ ſagte ſie. Und ich erkannte ihre liebe Stimme.
„Endlich!“ ſagte ich, und war beglückt bis zu Thränen.
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Hoffnung hat mich nicht betrogen. Mit dem größten

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[203/0225] an eine gegenſeitige Einwirkung, und daß ich durch ein mächtiges Verlangen ſie herbeiziehen könne. Auch glaubte ich mich unſichtbar von höheren Weſen umge¬ ben, die ich anflehte, ihre Schritte zu mir, oder die meinigen zu ihr zu lenken. Aber was biſt du für ein Thor! ſagte ich dann wieder zu mir ſelber. Noch ein¬ mal es verſuchen und noch einmal zu ihr gehen, wollteſt du nicht, und jetzt verlangſt du Zeichen und Wunder!“ „Indeſſen war ich an der Esplanade hinunter ge¬ gangen und bis an das kleine Haus gekommen, das in ſpätern Jahren Schiller bewohnte, als es mich an¬ wandelte, umzukehren und zurück nach dem Palais und von dort eine kleine Straße rechts zu gehen. Ich hatte kaum hundert Schritte in dieſer Richtung gethan, als ich eine weibliche Geſtalt mir entgegen kommen ſah, die der erſehnten vollkommen gleich war. Die Straße war nur von dem ſchwachen Licht ein wenig dämmerig, das hin und wieder durch ein Fenſter drang, und da mich dieſen Abend eine ſcheinbare Aehnlichkeit ſchon oft getäuſcht hatte, ſo fühlte ich nicht den Muth, ſie auf's Ungewiſſe anzureden. Wir gingen dicht aneinander vorbei, ſo daß unſere Arme ſich berührten; ich ſtand ſtill und blickte mich um, ſie auch. „Sind Sie es?“ ſagte ſie. Und ich erkannte ihre liebe Stimme. „Endlich!“ ſagte ich, und war beglückt bis zu Thränen. Unſere Hände ergriffen ſich. „Nun!“ ſagte ich, meine Hoffnung hat mich nicht betrogen. Mit dem größten

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/225>, abgerufen am 07.05.2024.