Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

sen. Durch diese fortlaufende Beschäftigung, die
Einsamkeit und reine Bergluft kamen viele von
ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo sie
dann Rudolph wieder in die Welt hinaussandte und
gerührt auf immer von ihnen Abschied nahm.

In Friedrich'n entwickelte diese Abgeschiedenheit
endlich die ursprüngliche religiöse Kraft seiner See¬
le, die schon im Weltleben, durch gutmüthiges
Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten
oft verschlagen und falsche Bahnen suchend, aus al¬
len seinen Bestrebungen, Thaten, Poesieen und
Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle sei¬
ne Pläne, Talentchen, Künste und Wissenschaften
unten zurückgelassen, und las wieder die Bibel,
wie er schon einmal als Kind angefangen. Da fand
er Trost über die Verwirrung der Zeit und das ein¬
zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen
Kreutze. Er hatte endlich den phantastischen, tau¬
sendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und stand
nun in blanker Rüstung als Kämpfer Gottes gleich¬
sam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft,
wenn er da über die Thäler hinaussah, fiel er auf
seine Kniee und betete inbrünstig zu Gott, ihm
Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬
fahren, durch Wort und That seinen Brüdern
mitzutheilen. -- Leontin dagegen wurde hier oben
ganz melankolisch und wehmüthig, wie ihn Friedrich
noch niemals gesehen. Es fehlte ihm hier alle
Handhabe, das Leben anzugreifen. --

ſen. Durch dieſe fortlaufende Beſchäftigung, die
Einſamkeit und reine Bergluft kamen viele von
ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo ſie
dann Rudolph wieder in die Welt hinausſandte und
gerührt auf immer von ihnen Abſchied nahm.

In Friedrich'n entwickelte dieſe Abgeſchiedenheit
endlich die urſprüngliche religiöſe Kraft ſeiner See¬
le, die ſchon im Weltleben, durch gutmüthiges
Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten
oft verſchlagen und falſche Bahnen ſuchend, aus al¬
len ſeinen Beſtrebungen, Thaten, Poeſieen und
Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle ſei¬
ne Pläne, Talentchen, Künſte und Wiſſenſchaften
unten zurückgelaſſen, und las wieder die Bibel,
wie er ſchon einmal als Kind angefangen. Da fand
er Troſt über die Verwirrung der Zeit und das ein¬
zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen
Kreutze. Er hatte endlich den phantaſtiſchen, tau¬
ſendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und ſtand
nun in blanker Rüſtung als Kämpfer Gottes gleich¬
ſam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft,
wenn er da über die Thäler hinausſah, fiel er auf
ſeine Kniee und betete inbrünſtig zu Gott, ihm
Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬
fahren, durch Wort und That ſeinen Brüdern
mitzutheilen. — Leontin dagegen wurde hier oben
ganz melankoliſch und wehmüthig, wie ihn Friedrich
noch niemals geſehen. Es fehlte ihm hier alle
Handhabe, das Leben anzugreifen. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0453" n="447"/>
&#x017F;en. Durch die&#x017F;e fortlaufende Be&#x017F;chäftigung, die<lb/>
Ein&#x017F;amkeit und reine Bergluft kamen viele von<lb/>
ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo &#x017F;ie<lb/>
dann Rudolph wieder in die Welt hinaus&#x017F;andte und<lb/>
gerührt auf immer von ihnen Ab&#x017F;chied nahm.</p><lb/>
          <p>In Friedrich'n entwickelte die&#x017F;e Abge&#x017F;chiedenheit<lb/>
endlich die ur&#x017F;prüngliche religiö&#x017F;e Kraft &#x017F;einer See¬<lb/>
le, die &#x017F;chon im Weltleben, durch gutmüthiges<lb/>
Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten<lb/>
oft ver&#x017F;chlagen und fal&#x017F;che Bahnen &#x017F;uchend, aus al¬<lb/>
len &#x017F;einen Be&#x017F;trebungen, Thaten, Poe&#x017F;ieen und<lb/>
Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle &#x017F;ei¬<lb/>
ne Pläne, Talentchen, Kün&#x017F;te und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
unten zurückgela&#x017F;&#x017F;en, und las wieder die Bibel,<lb/>
wie er &#x017F;chon einmal als Kind angefangen. Da fand<lb/>
er Tro&#x017F;t über die Verwirrung der Zeit und das ein¬<lb/>
zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen<lb/>
Kreutze. Er hatte endlich den phanta&#x017F;ti&#x017F;chen, tau¬<lb/>
&#x017F;endfarbigen Pilgermantel abgeworfen und &#x017F;tand<lb/>
nun in blanker Rü&#x017F;tung als Kämpfer Gottes gleich¬<lb/>
&#x017F;am an der Gränze zweyer Welten. Wie oft,<lb/>
wenn er da über die Thäler hinaus&#x017F;ah, fiel er auf<lb/>
&#x017F;eine Kniee und betete inbrün&#x017F;tig zu Gott, ihm<lb/>
Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬<lb/>
fahren, durch Wort und That &#x017F;einen Brüdern<lb/>
mitzutheilen. &#x2014; Leontin dagegen wurde hier oben<lb/>
ganz melankoli&#x017F;ch und wehmüthig, wie ihn Friedrich<lb/>
noch niemals ge&#x017F;ehen. Es fehlte ihm hier alle<lb/>
Handhabe, das Leben anzugreifen. &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[447/0453] ſen. Durch dieſe fortlaufende Beſchäftigung, die Einſamkeit und reine Bergluft kamen viele von ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo ſie dann Rudolph wieder in die Welt hinausſandte und gerührt auf immer von ihnen Abſchied nahm. In Friedrich'n entwickelte dieſe Abgeſchiedenheit endlich die urſprüngliche religiöſe Kraft ſeiner See¬ le, die ſchon im Weltleben, durch gutmüthiges Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten oft verſchlagen und falſche Bahnen ſuchend, aus al¬ len ſeinen Beſtrebungen, Thaten, Poeſieen und Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle ſei¬ ne Pläne, Talentchen, Künſte und Wiſſenſchaften unten zurückgelaſſen, und las wieder die Bibel, wie er ſchon einmal als Kind angefangen. Da fand er Troſt über die Verwirrung der Zeit und das ein¬ zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen Kreutze. Er hatte endlich den phantaſtiſchen, tau¬ ſendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und ſtand nun in blanker Rüſtung als Kämpfer Gottes gleich¬ ſam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft, wenn er da über die Thäler hinausſah, fiel er auf ſeine Kniee und betete inbrünſtig zu Gott, ihm Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬ fahren, durch Wort und That ſeinen Brüdern mitzutheilen. — Leontin dagegen wurde hier oben ganz melankoliſch und wehmüthig, wie ihn Friedrich noch niemals geſehen. Es fehlte ihm hier alle Handhabe, das Leben anzugreifen. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/453
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/453>, abgerufen am 26.04.2024.