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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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§. 13. Gränzen der Staatsgewalt.
§. 13.

Aber selbst in ihrer verwaltenden Thätigkeit ist die
Staatsgewalt nicht immer im Stande, diese Schranken
einzuhalten. Im Interesse des öffentlichen Wohls, oder
um ihrer Selbsterhaltung willen kann sie unter der Vor-
aussetzung nöthigender thatsächlicher Verhältnisse nicht
nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sein, ausnahms-
weise über ihre normalen Gränzen hinauszuschreiten.
Ein solches Ausschreiten ist indessen nur insoweit und
nur so lange berechtigt, als diess die Wahrung des
öffentlichen Interesses oder das Bedürfniss der Besei-
tigung eines Nothstands fordert. Auf diesem Gesichts-
punkte beruht zunächst das Expropriationsrecht des
Staats, d. h. die Befugniss, den Einzelnen gegen volle
Entschädigung zu einer Preisgebung seines Eigenthums
zu nöthigen, wenn das öffentliche Interesse nicht anders
als durch dieses Opfer befriedigt werden kann.1 Ein
noch weitergehendes und principiell noch weniger be-
stimmbares Recht der Staatsgewalt, in das Vermögen
der Einzelnen einzugreifen, kann sodann durch einen
eigentlichen Nothstand begründet werden, der zum rück-
sichtslosen Handeln für das Bedürfniss des Augenblicks
nöthigt. Ein solcher Nothstand kann auch nach Um-
ständen ein Eingreifen in die persönliche Freiheit und
eine ausserordentliche Beschränkung derselben in ver-

1 Mehrere Verfassungsurkunden bestimmen das Expropria-
tionsrecht rücksichtlich seiner Gründe und des dabei zu beobach-
tenden Verfahrens. Andere verweisen auf besondere Gesetze, wie
solche denn auch in einzelnen Staaten erlassen sind. Siehe mein
Deutsches Privatrecht §. 174b.
§. 13. Gränzen der Staatsgewalt.
§. 13.

Aber selbst in ihrer verwaltenden Thätigkeit ist die
Staatsgewalt nicht immer im Stande, diese Schranken
einzuhalten. Im Interesse des öffentlichen Wohls, oder
um ihrer Selbsterhaltung willen kann sie unter der Vor-
aussetzung nöthigender thatsächlicher Verhältnisse nicht
nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sein, ausnahms-
weise über ihre normalen Gränzen hinauszuschreiten.
Ein solches Ausschreiten ist indessen nur insoweit und
nur so lange berechtigt, als diess die Wahrung des
öffentlichen Interesses oder das Bedürfniss der Besei-
tigung eines Nothstands fordert. Auf diesem Gesichts-
punkte beruht zunächst das Expropriationsrecht des
Staats, d. h. die Befugniss, den Einzelnen gegen volle
Entschädigung zu einer Preisgebung seines Eigenthums
zu nöthigen, wenn das öffentliche Interesse nicht anders
als durch dieses Opfer befriedigt werden kann.1 Ein
noch weitergehendes und principiell noch weniger be-
stimmbares Recht der Staatsgewalt, in das Vermögen
der Einzelnen einzugreifen, kann sodann durch einen
eigentlichen Nothstand begründet werden, der zum rück-
sichtslosen Handeln für das Bedürfniss des Augenblicks
nöthigt. Ein solcher Nothstand kann auch nach Um-
ständen ein Eingreifen in die persönliche Freiheit und
eine ausserordentliche Beschränkung derselben in ver-

1 Mehrere Verfassungsurkunden bestimmen das Expropria-
tionsrecht rücksichtlich seiner Gründe und des dabei zu beobach-
tenden Verfahrens. Andere verweisen auf besondere Gesetze, wie
solche denn auch in einzelnen Staaten erlassen sind. Siehe mein
Deutsches Privatrecht §. 174b.
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[39/0057] §. 13. Gränzen der Staatsgewalt. §. 13. Aber selbst in ihrer verwaltenden Thätigkeit ist die Staatsgewalt nicht immer im Stande, diese Schranken einzuhalten. Im Interesse des öffentlichen Wohls, oder um ihrer Selbsterhaltung willen kann sie unter der Vor- aussetzung nöthigender thatsächlicher Verhältnisse nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sein, ausnahms- weise über ihre normalen Gränzen hinauszuschreiten. Ein solches Ausschreiten ist indessen nur insoweit und nur so lange berechtigt, als diess die Wahrung des öffentlichen Interesses oder das Bedürfniss der Besei- tigung eines Nothstands fordert. Auf diesem Gesichts- punkte beruht zunächst das Expropriationsrecht des Staats, d. h. die Befugniss, den Einzelnen gegen volle Entschädigung zu einer Preisgebung seines Eigenthums zu nöthigen, wenn das öffentliche Interesse nicht anders als durch dieses Opfer befriedigt werden kann. 1 Ein noch weitergehendes und principiell noch weniger be- stimmbares Recht der Staatsgewalt, in das Vermögen der Einzelnen einzugreifen, kann sodann durch einen eigentlichen Nothstand begründet werden, der zum rück- sichtslosen Handeln für das Bedürfniss des Augenblicks nöthigt. Ein solcher Nothstand kann auch nach Um- ständen ein Eingreifen in die persönliche Freiheit und eine ausserordentliche Beschränkung derselben in ver- 1 Mehrere Verfassungsurkunden bestimmen das Expropria- tionsrecht rücksichtlich seiner Gründe und des dabei zu beobach- tenden Verfahrens. Andere verweisen auf besondere Gesetze, wie solche denn auch in einzelnen Staaten erlassen sind. Siehe mein Deutsches Privatrecht §. 174b.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/57>, abgerufen am 26.04.2024.