terschied beyder Dichtungsarten liegt nicht bloß in der äußern Form, nicht darin, daß die Personen in dem einen sprechen, und daß in dem andern gewöhnlich von ihnen erzählt wird. Leider viele Dramas sind nur dialo¬ girte Romane, und es wäre nicht unmöglich ein Drama in Briefen zu schreiben.
Im Roman sollen vorzüglich Gesinnun¬ gen und Begebenheiten vorgestellt wer¬ den; im Drama Charactere und Thaten. Der Roman muß langsam gehen, und die Gesinnungen der Hauptfigur müssen, es sey auf welche Weise es wolle, des Vordringen des Ganzen zur Entwickelung aufhalten. Das Drama soll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß sich nach dem Ende drängen, und nur aufgehalten werden. Der Romanenheld muß leidend, wenigstens nicht im hohen Grade wirkend seyn; von dem dramatischen verlangt man Wirkung und
terſchied beyder Dichtungsarten liegt nicht bloß in der äußern Form, nicht darin, daß die Perſonen in dem einen ſprechen, und daß in dem andern gewöhnlich von ihnen erzählt wird. Leider viele Dramas ſind nur dialo¬ girte Romane, und es wäre nicht unmöglich ein Drama in Briefen zu ſchreiben.
Im Roman ſollen vorzüglich Geſinnun¬ gen und Begebenheiten vorgeſtellt wer¬ den; im Drama Charactere und Thaten. Der Roman muß langſam gehen, und die Geſinnungen der Hauptfigur müſſen, es ſey auf welche Weiſe es wolle, des Vordringen des Ganzen zur Entwickelung aufhalten. Das Drama ſoll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß ſich nach dem Ende drängen, und nur aufgehalten werden. Der Romanenheld muß leidend, wenigſtens nicht im hohen Grade wirkend ſeyn; von dem dramatiſchen verlangt man Wirkung und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0081"n="75"/>
terſchied beyder Dichtungsarten liegt nicht<lb/>
bloß in der äußern Form, nicht darin, daß<lb/>
die Perſonen in dem einen ſprechen, und daß<lb/>
in dem andern gewöhnlich von ihnen erzählt<lb/>
wird. Leider viele Dramas ſind nur dialo¬<lb/>
girte Romane, und es wäre nicht unmöglich<lb/>
ein Drama in Briefen zu ſchreiben.</p><lb/><p>Im Roman ſollen vorzüglich <hirendition="#g">Geſinnun</hi>¬<lb/><hirendition="#g">gen</hi> und <hirendition="#g">Begebenheiten</hi> vorgeſtellt wer¬<lb/>
den; im Drama <hirendition="#g">Charactere</hi> und <hirendition="#g">Thaten</hi>.<lb/>
Der Roman muß langſam gehen, und die<lb/>
Geſinnungen der Hauptfigur müſſen, es ſey<lb/>
auf welche Weiſe es wolle, des Vordringen<lb/>
des Ganzen zur Entwickelung aufhalten.<lb/>
Das Drama ſoll eilen, und der Charakter<lb/>
der Hauptfigur muß ſich nach dem Ende<lb/>
drängen, und nur aufgehalten werden. Der<lb/>
Romanenheld muß leidend, wenigſtens nicht<lb/>
im hohen Grade wirkend ſeyn; von dem<lb/>
dramatiſchen verlangt man Wirkung und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[75/0081]
terſchied beyder Dichtungsarten liegt nicht
bloß in der äußern Form, nicht darin, daß
die Perſonen in dem einen ſprechen, und daß
in dem andern gewöhnlich von ihnen erzählt
wird. Leider viele Dramas ſind nur dialo¬
girte Romane, und es wäre nicht unmöglich
ein Drama in Briefen zu ſchreiben.
Im Roman ſollen vorzüglich Geſinnun¬
gen und Begebenheiten vorgeſtellt wer¬
den; im Drama Charactere und Thaten.
Der Roman muß langſam gehen, und die
Geſinnungen der Hauptfigur müſſen, es ſey
auf welche Weiſe es wolle, des Vordringen
des Ganzen zur Entwickelung aufhalten.
Das Drama ſoll eilen, und der Charakter
der Hauptfigur muß ſich nach dem Ende
drängen, und nur aufgehalten werden. Der
Romanenheld muß leidend, wenigſtens nicht
im hohen Grade wirkend ſeyn; von dem
dramatiſchen verlangt man Wirkung und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/81>, abgerufen am 27.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.