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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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hat und die Freunde des Tondichters sieht, die mit erhitzten Gesichtern
und verdrehten Augen dastehen und einander laut zurufen, damit es
die Ungläubigen hören: O er ist göttlich, dieser k. k. Hofcompostteur
Ritter Gaetano von Donizetti! -- Ich begreife gar nicht, wie er es
wagen kann, als k. k. Hofcompositeur eine so revolutionäre Musik zu
schreiben; da erinnert doch Alles an die Hugenotten, an den gottlosen
Robert, an dem blos die teuflischen Franzosen Gefallen finden können.
Dazwischen lauft nun freilich auch viel unverwüstliche Originalität
aus des Componisten früheren siebzig Opern und man begegnet auf
dem Schlachtfeld von Alcazar der graziösen Regimentstochter, wie man
die Linda in den Gassen Lissabons und in der afrikanischen Wüste nicht
vermeiden kann. Das Spektakelhafteste war indeß die Ausnahme, die
der Sänger Wild, der nur auf Wunsch des Componisten die Rolle
des arabischen Häuptlings übernommen, von Seite des Publicums
fand. Seine Stimmlosigkeit, seine komische Leidenschaftlichkeit im
Spiel, seine stereotypen Grimassen, wodurch er sich den Ruf erworben,
ein dramatischer Sänger zu sein, wurden regelmäßig belacht, und da¬
mit endlich der Eitelkeit dieses Künstlers, der einmal gerechte Triumphe
gefeiert, jene Rüge zu Theil, w.lebe sie längst verdient. Herr Wild
wird begreifen, daß er hinter den Coulissen noch recht nützlich sein
könne, aber nicht mehr außerhalb derselben. -- Staudigl und Frau
Hasselt-Barth sind dem Institut wieder auf mehrere Jahre gewonnen
worden, womit das Gerücht von einem Engagement Staudigl's in
Paris von selbst widerlegt wird. Dagegen wird er in dem laufenden
Jahre noch eine Reise nach England und Nordamerika antreten, von
wo ihm die ehrenvollsten Anträge gemacht werden und er ist schon
seit längerer Zeit mit Eifer der englischen Sprache beflissen, die er zur
Noth spricht. Fraulein Marra wird im Frühling, wenn die Lerchen
kommen, uns den Rücken kehren; sie hat bis jetzt keine Anstellung,
wird einige Städte Deutschlands und Ungarns besuchen und zuletzt
an irgend einem deutschen Hoftheater gefesselt werden. Die Ursache
ihres Abgangs ist die Rückkehr der Madame Lutzer-Dingelstedt nach
Wien, welche hier unvergeßlich ist.


IV.
Aus Münche n.

Journalistik und Nachcensur. -- Brief des Königs an Bischof Stahl. -- Eine
Verhandlung am Kassationshof. -- Jmprovisator Beermann. -- Reckenkünstler
Dose. -- Theater: "der Mörder" und "er muß auf's Land."

Das ist gewiß, über keine deutsche Stadt wird in auswärtigen
Blattern mehr gefabelt, als über München, über kein Land mehr, als
über Baier". Wir Münchner sind natürlich erstaunt, aus fremden
Blättern zu erfahren, was sich in unserer nächsten Nahe zugetragen


hat und die Freunde des Tondichters sieht, die mit erhitzten Gesichtern
und verdrehten Augen dastehen und einander laut zurufen, damit es
die Ungläubigen hören: O er ist göttlich, dieser k. k. Hofcompostteur
Ritter Gaetano von Donizetti! — Ich begreife gar nicht, wie er es
wagen kann, als k. k. Hofcompositeur eine so revolutionäre Musik zu
schreiben; da erinnert doch Alles an die Hugenotten, an den gottlosen
Robert, an dem blos die teuflischen Franzosen Gefallen finden können.
Dazwischen lauft nun freilich auch viel unverwüstliche Originalität
aus des Componisten früheren siebzig Opern und man begegnet auf
dem Schlachtfeld von Alcazar der graziösen Regimentstochter, wie man
die Linda in den Gassen Lissabons und in der afrikanischen Wüste nicht
vermeiden kann. Das Spektakelhafteste war indeß die Ausnahme, die
der Sänger Wild, der nur auf Wunsch des Componisten die Rolle
des arabischen Häuptlings übernommen, von Seite des Publicums
fand. Seine Stimmlosigkeit, seine komische Leidenschaftlichkeit im
Spiel, seine stereotypen Grimassen, wodurch er sich den Ruf erworben,
ein dramatischer Sänger zu sein, wurden regelmäßig belacht, und da¬
mit endlich der Eitelkeit dieses Künstlers, der einmal gerechte Triumphe
gefeiert, jene Rüge zu Theil, w.lebe sie längst verdient. Herr Wild
wird begreifen, daß er hinter den Coulissen noch recht nützlich sein
könne, aber nicht mehr außerhalb derselben. — Staudigl und Frau
Hasselt-Barth sind dem Institut wieder auf mehrere Jahre gewonnen
worden, womit das Gerücht von einem Engagement Staudigl's in
Paris von selbst widerlegt wird. Dagegen wird er in dem laufenden
Jahre noch eine Reise nach England und Nordamerika antreten, von
wo ihm die ehrenvollsten Anträge gemacht werden und er ist schon
seit längerer Zeit mit Eifer der englischen Sprache beflissen, die er zur
Noth spricht. Fraulein Marra wird im Frühling, wenn die Lerchen
kommen, uns den Rücken kehren; sie hat bis jetzt keine Anstellung,
wird einige Städte Deutschlands und Ungarns besuchen und zuletzt
an irgend einem deutschen Hoftheater gefesselt werden. Die Ursache
ihres Abgangs ist die Rückkehr der Madame Lutzer-Dingelstedt nach
Wien, welche hier unvergeßlich ist.


IV.
Aus Münche n.

Journalistik und Nachcensur. — Brief des Königs an Bischof Stahl. — Eine
Verhandlung am Kassationshof. — Jmprovisator Beermann. — Reckenkünstler
Dose. — Theater: „der Mörder" und „er muß auf's Land."

Das ist gewiß, über keine deutsche Stadt wird in auswärtigen
Blattern mehr gefabelt, als über München, über kein Land mehr, als
über Baier». Wir Münchner sind natürlich erstaunt, aus fremden
Blättern zu erfahren, was sich in unserer nächsten Nahe zugetragen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/444>, abgerufen am 06.05.2024.