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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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und auch oft nicht zugetragen hat. Da erfahren wir, daß Nachfor¬
schungen nach den hiesigen Berichterstattern auswärtiger Blatter ge¬
halten werden und ein Dutzend Korrespondenten zittern. In diesem
Blatte spricht man von einer Amnestie der politischen Verbrecher, in
jenem von der Verurtheilung des Pfarrers Redenbacher. Diese und
andere widersprechende Gerüchte tauchen auf und verschwinden wieder;
was wahr daran ist, was falsch, wir wissen es nicht. Unsern Blättern
ist es zwar gestattet, mit der größten Liberalität über Redouten und
Künstlerbälle, über Improvisatoren und Rechenkünstler sich auszulassen,
ja hier und da sogar einem Theaterheros den im Schweiße seines An¬
gesichtes erworbenen Lorbeer von der Stirne zu reißen, aber die Politik!
und zumal die heimische, das ist das Paradies, welches, wenn auch
nicht von dem Engel mit dem feurigen Schwerte, doch von dem Cen¬
sor mit dem Rothstifte bewacht wird. Der Alp, der unsere Journa¬
listik drückt, ist für uns um so bedeutender, wenn wir sehen , wie in
dem benachbarten Würtemberg und Baden die Tagesliteratur täglich
an Energie und Würde gewinnt und nur die unsere das Aschenbrödel
ist, das sich daheim hinter dem Ofen mit dem Abfall der Hof- und
Localneuigkeiten begnügen muß und zum Theil, nicht zur Ehre unserer
Journalistik, sich gerne damit begnügt.*) Daß die Nachcensur bei uns
gehandhabt wird, läßt sich nun nicht mehr läugnen. Anfangs zwar,
als einige auswärtige Blatter davon sprachen, suchte ein kurzer halb-
offizieller Artikel in der "Allgemeinen" die Sache etwas kleinlaut in
Abrede zu stellen; als nun aber jene und noch viele andere Blätter
diese Behauptung mit vielem Nachdruck wiederholten, fand man sich
nicht mehr bewogen, daraus zu erwiedern. Seit einigen Tagen ist auch
der "Zürcher Zeitung" der Debit nach Baiern entzogen worden. Läug¬
nen laßt sich jedoch nicht, daß sich die "Augsburger Allgemeine" seit
Anfang des Jahres freier bewegt und das Gerücht ihrer vorgehabten
Uebersiedlung nach Stuttgart verliert dadurch keineswegs an seiner
Glaubwürdigkeit. Auch den "Erganzungsblättern wurde das Visa des
Ministeriums ertheilt, nachdem sie ohngefähr 8 Tage bei demselben zur
Prüfung vorgelegen. Die confessionellen Verhältnisse scheinen sich jedoch
jetzt etwas besser gestalten zu wollen, wozu der Brief unseres Königs
an den Bischof Stahl von Würzburg ungemein beiträgt. Er ist aller¬
dings geeignet, bei uns große und freudige Sensation zu erregen.
Seine Echtheit ist zwar noch nicht officiell anerkannt, doch wird auch
derselben von Oben herab keineswegs widersprochen, was man als ftill-
schweigendeAnerkennung derköniglichen Autorschaft zu nehmen berechtigt ist.

Die jüngste Verhandlung in unserm Kassationshofe erregte beim
hiesigen Publicum wieder solches Interesse, daß schon in aller Frühe
die Galerien gefüllt waren. Die rechtliche Frage/die zur Verhandlung



*) Berql. meinen Artikel "die Journalistik in München" in R. 6 dieser
Blätter.

und auch oft nicht zugetragen hat. Da erfahren wir, daß Nachfor¬
schungen nach den hiesigen Berichterstattern auswärtiger Blatter ge¬
halten werden und ein Dutzend Korrespondenten zittern. In diesem
Blatte spricht man von einer Amnestie der politischen Verbrecher, in
jenem von der Verurtheilung des Pfarrers Redenbacher. Diese und
andere widersprechende Gerüchte tauchen auf und verschwinden wieder;
was wahr daran ist, was falsch, wir wissen es nicht. Unsern Blättern
ist es zwar gestattet, mit der größten Liberalität über Redouten und
Künstlerbälle, über Improvisatoren und Rechenkünstler sich auszulassen,
ja hier und da sogar einem Theaterheros den im Schweiße seines An¬
gesichtes erworbenen Lorbeer von der Stirne zu reißen, aber die Politik!
und zumal die heimische, das ist das Paradies, welches, wenn auch
nicht von dem Engel mit dem feurigen Schwerte, doch von dem Cen¬
sor mit dem Rothstifte bewacht wird. Der Alp, der unsere Journa¬
listik drückt, ist für uns um so bedeutender, wenn wir sehen , wie in
dem benachbarten Würtemberg und Baden die Tagesliteratur täglich
an Energie und Würde gewinnt und nur die unsere das Aschenbrödel
ist, das sich daheim hinter dem Ofen mit dem Abfall der Hof- und
Localneuigkeiten begnügen muß und zum Theil, nicht zur Ehre unserer
Journalistik, sich gerne damit begnügt.*) Daß die Nachcensur bei uns
gehandhabt wird, läßt sich nun nicht mehr läugnen. Anfangs zwar,
als einige auswärtige Blatter davon sprachen, suchte ein kurzer halb-
offizieller Artikel in der „Allgemeinen" die Sache etwas kleinlaut in
Abrede zu stellen; als nun aber jene und noch viele andere Blätter
diese Behauptung mit vielem Nachdruck wiederholten, fand man sich
nicht mehr bewogen, daraus zu erwiedern. Seit einigen Tagen ist auch
der „Zürcher Zeitung" der Debit nach Baiern entzogen worden. Läug¬
nen laßt sich jedoch nicht, daß sich die „Augsburger Allgemeine" seit
Anfang des Jahres freier bewegt und das Gerücht ihrer vorgehabten
Uebersiedlung nach Stuttgart verliert dadurch keineswegs an seiner
Glaubwürdigkeit. Auch den „Erganzungsblättern wurde das Visa des
Ministeriums ertheilt, nachdem sie ohngefähr 8 Tage bei demselben zur
Prüfung vorgelegen. Die confessionellen Verhältnisse scheinen sich jedoch
jetzt etwas besser gestalten zu wollen, wozu der Brief unseres Königs
an den Bischof Stahl von Würzburg ungemein beiträgt. Er ist aller¬
dings geeignet, bei uns große und freudige Sensation zu erregen.
Seine Echtheit ist zwar noch nicht officiell anerkannt, doch wird auch
derselben von Oben herab keineswegs widersprochen, was man als ftill-
schweigendeAnerkennung derköniglichen Autorschaft zu nehmen berechtigt ist.

Die jüngste Verhandlung in unserm Kassationshofe erregte beim
hiesigen Publicum wieder solches Interesse, daß schon in aller Frühe
die Galerien gefüllt waren. Die rechtliche Frage/die zur Verhandlung



*) Berql. meinen Artikel „die Journalistik in München" in R. 6 dieser
Blätter.
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[0445] und auch oft nicht zugetragen hat. Da erfahren wir, daß Nachfor¬ schungen nach den hiesigen Berichterstattern auswärtiger Blatter ge¬ halten werden und ein Dutzend Korrespondenten zittern. In diesem Blatte spricht man von einer Amnestie der politischen Verbrecher, in jenem von der Verurtheilung des Pfarrers Redenbacher. Diese und andere widersprechende Gerüchte tauchen auf und verschwinden wieder; was wahr daran ist, was falsch, wir wissen es nicht. Unsern Blättern ist es zwar gestattet, mit der größten Liberalität über Redouten und Künstlerbälle, über Improvisatoren und Rechenkünstler sich auszulassen, ja hier und da sogar einem Theaterheros den im Schweiße seines An¬ gesichtes erworbenen Lorbeer von der Stirne zu reißen, aber die Politik! und zumal die heimische, das ist das Paradies, welches, wenn auch nicht von dem Engel mit dem feurigen Schwerte, doch von dem Cen¬ sor mit dem Rothstifte bewacht wird. Der Alp, der unsere Journa¬ listik drückt, ist für uns um so bedeutender, wenn wir sehen , wie in dem benachbarten Würtemberg und Baden die Tagesliteratur täglich an Energie und Würde gewinnt und nur die unsere das Aschenbrödel ist, das sich daheim hinter dem Ofen mit dem Abfall der Hof- und Localneuigkeiten begnügen muß und zum Theil, nicht zur Ehre unserer Journalistik, sich gerne damit begnügt.*) Daß die Nachcensur bei uns gehandhabt wird, läßt sich nun nicht mehr läugnen. Anfangs zwar, als einige auswärtige Blatter davon sprachen, suchte ein kurzer halb- offizieller Artikel in der „Allgemeinen" die Sache etwas kleinlaut in Abrede zu stellen; als nun aber jene und noch viele andere Blätter diese Behauptung mit vielem Nachdruck wiederholten, fand man sich nicht mehr bewogen, daraus zu erwiedern. Seit einigen Tagen ist auch der „Zürcher Zeitung" der Debit nach Baiern entzogen worden. Läug¬ nen laßt sich jedoch nicht, daß sich die „Augsburger Allgemeine" seit Anfang des Jahres freier bewegt und das Gerücht ihrer vorgehabten Uebersiedlung nach Stuttgart verliert dadurch keineswegs an seiner Glaubwürdigkeit. Auch den „Erganzungsblättern wurde das Visa des Ministeriums ertheilt, nachdem sie ohngefähr 8 Tage bei demselben zur Prüfung vorgelegen. Die confessionellen Verhältnisse scheinen sich jedoch jetzt etwas besser gestalten zu wollen, wozu der Brief unseres Königs an den Bischof Stahl von Würzburg ungemein beiträgt. Er ist aller¬ dings geeignet, bei uns große und freudige Sensation zu erregen. Seine Echtheit ist zwar noch nicht officiell anerkannt, doch wird auch derselben von Oben herab keineswegs widersprochen, was man als ftill- schweigendeAnerkennung derköniglichen Autorschaft zu nehmen berechtigt ist. Die jüngste Verhandlung in unserm Kassationshofe erregte beim hiesigen Publicum wieder solches Interesse, daß schon in aller Frühe die Galerien gefüllt waren. Die rechtliche Frage/die zur Verhandlung *) Berql. meinen Artikel „die Journalistik in München" in R. 6 dieser Blätter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/445>, abgerufen am 26.05.2024.