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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ungewöhnlichen Erfolg; der Komponist hat den breitgetretcnen Weg
des italienischen Sloth darin verlassen und sich mit Glück dem großen
Genre zugewendet, wie die Franzosen ausgebildet haben und
unter ihnen namentlich Meyerbeer, der ein Prophet ist, auch ohne
seinen Propheten. -- Ueber das Schicksal der Opernbühne soll nun¬
mehr entschieden worden sein, daß Balochino vollständig abtritt, sein
Compagnon Merelly die italienische Saison und der Tenorinvalide
Wild die deutsche Oper übernimmt. Schlechter, als bisher, kann es
unmöglich werden und darum begrüßen wir diese im Juni in Wirk¬
samkeit tretende Veränderung als eine erfreuliche Concession an. Das
deutsche Element der Hauptstadt wird doch endlich einmal eine deut¬
sche Oper erhalten, deren sie seit Jahren entbehrte. Denn deutsche
Worte sind keine deutsche Opern und selbst dem Logenpublicum, das
sonst welsche Gesangslyrik so gerne hört, mußte endlich bei der endlo¬
sen Ableierung uralt verschossener Arien der hänfene Geduldfaden platzen.
Unsere Aristokratie, welche in Deutschlands, Frankreichs und Englands
Hauptstädten einen bunten Wechsel des Repertoirs mit angesehen und
täglich in den Zcitblattcrn von den pikanten Opern und anmuthigen
Singspielen liest, die hier und dort Succeß errungen, sehnt sich auch
nach Abwechslung und frischer Wonne, zumal sie in der letzten Zeit
die Erfahrung gemacht, mit welch geringen Kräften sich lediglich durch
empfängliche Aufnahme des Neuesten ein amüsantes Repertorium er-
zwecken läßt. - Die schmeichelhaften Erfolge seiner jüngsten Unterneh¬
mungen haben den unermüdlichen Eigenthümer des Josephstädter Thea¬
ters zu dem Entschluß gebracht, auf dem Glacis ein neues großes
Theater zu bauen, wozu ihm von hoher Hand eine Summe von
tOV,öl>t) Gulden auf einen Zeitraum von zwanzig Jahren unverzins¬
lich vorgestreckt werden dürfte. Auch der Director Carl will sein Schau¬
spielhaus in der Leopoldstadt im vergrößerten Maßstabe aufbauen und
während der zwei Jahre dieses Baues das Odeon pachten, um darin
die klassischen Wunderwerke unserer Possenschreiber aufzutischen.
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Endlich ist Donizetti's Don Sebastian gegeben, eine Oper, welche
der singerfertige Maestro für Paris geschrieben, aber damit wenig
Aufsehen erregt hat. Hier, wo er eine getreue Phalanx von Bewun¬
derern besitzt, die seine abgenützte Notenfeder gern als eine Reliquie
behandeln möchten, kann er niemals durchfallen, wenigstens so lange
nicht, als er k. k. Hofkompositeur ist und Oberregisseure machen kann.
Don Sebastian ist eine Nachahmung des Meverbeer'sehen Sloth; man
denke sich nur einmal ein schwaches Knäblein in der gewaltigen Rü¬
stung eines nordischen Necken, wie es gravitätisch einhertrippelt und
mit den zarten Kinderhändchen das schwere Hünenschwert zu schwingen
sucht; es ist ergötzlich, dieses Schauspiel, aber auch peinlich, besonders
wenn man dabei die unaufhörliche Arbeit der Claque in den Ohren


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ungewöhnlichen Erfolg; der Komponist hat den breitgetretcnen Weg
des italienischen Sloth darin verlassen und sich mit Glück dem großen
Genre zugewendet, wie die Franzosen ausgebildet haben und
unter ihnen namentlich Meyerbeer, der ein Prophet ist, auch ohne
seinen Propheten. — Ueber das Schicksal der Opernbühne soll nun¬
mehr entschieden worden sein, daß Balochino vollständig abtritt, sein
Compagnon Merelly die italienische Saison und der Tenorinvalide
Wild die deutsche Oper übernimmt. Schlechter, als bisher, kann es
unmöglich werden und darum begrüßen wir diese im Juni in Wirk¬
samkeit tretende Veränderung als eine erfreuliche Concession an. Das
deutsche Element der Hauptstadt wird doch endlich einmal eine deut¬
sche Oper erhalten, deren sie seit Jahren entbehrte. Denn deutsche
Worte sind keine deutsche Opern und selbst dem Logenpublicum, das
sonst welsche Gesangslyrik so gerne hört, mußte endlich bei der endlo¬
sen Ableierung uralt verschossener Arien der hänfene Geduldfaden platzen.
Unsere Aristokratie, welche in Deutschlands, Frankreichs und Englands
Hauptstädten einen bunten Wechsel des Repertoirs mit angesehen und
täglich in den Zcitblattcrn von den pikanten Opern und anmuthigen
Singspielen liest, die hier und dort Succeß errungen, sehnt sich auch
nach Abwechslung und frischer Wonne, zumal sie in der letzten Zeit
die Erfahrung gemacht, mit welch geringen Kräften sich lediglich durch
empfängliche Aufnahme des Neuesten ein amüsantes Repertorium er-
zwecken läßt. - Die schmeichelhaften Erfolge seiner jüngsten Unterneh¬
mungen haben den unermüdlichen Eigenthümer des Josephstädter Thea¬
ters zu dem Entschluß gebracht, auf dem Glacis ein neues großes
Theater zu bauen, wozu ihm von hoher Hand eine Summe von
tOV,öl>t) Gulden auf einen Zeitraum von zwanzig Jahren unverzins¬
lich vorgestreckt werden dürfte. Auch der Director Carl will sein Schau¬
spielhaus in der Leopoldstadt im vergrößerten Maßstabe aufbauen und
während der zwei Jahre dieses Baues das Odeon pachten, um darin
die klassischen Wunderwerke unserer Possenschreiber aufzutischen.
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Endlich ist Donizetti's Don Sebastian gegeben, eine Oper, welche
der singerfertige Maestro für Paris geschrieben, aber damit wenig
Aufsehen erregt hat. Hier, wo er eine getreue Phalanx von Bewun¬
derern besitzt, die seine abgenützte Notenfeder gern als eine Reliquie
behandeln möchten, kann er niemals durchfallen, wenigstens so lange
nicht, als er k. k. Hofkompositeur ist und Oberregisseure machen kann.
Don Sebastian ist eine Nachahmung des Meverbeer'sehen Sloth; man
denke sich nur einmal ein schwaches Knäblein in der gewaltigen Rü¬
stung eines nordischen Necken, wie es gravitätisch einhertrippelt und
mit den zarten Kinderhändchen das schwere Hünenschwert zu schwingen
sucht; es ist ergötzlich, dieses Schauspiel, aber auch peinlich, besonders
wenn man dabei die unaufhörliche Arbeit der Claque in den Ohren


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[0443] ungewöhnlichen Erfolg; der Komponist hat den breitgetretcnen Weg des italienischen Sloth darin verlassen und sich mit Glück dem großen Genre zugewendet, wie die Franzosen ausgebildet haben und unter ihnen namentlich Meyerbeer, der ein Prophet ist, auch ohne seinen Propheten. — Ueber das Schicksal der Opernbühne soll nun¬ mehr entschieden worden sein, daß Balochino vollständig abtritt, sein Compagnon Merelly die italienische Saison und der Tenorinvalide Wild die deutsche Oper übernimmt. Schlechter, als bisher, kann es unmöglich werden und darum begrüßen wir diese im Juni in Wirk¬ samkeit tretende Veränderung als eine erfreuliche Concession an. Das deutsche Element der Hauptstadt wird doch endlich einmal eine deut¬ sche Oper erhalten, deren sie seit Jahren entbehrte. Denn deutsche Worte sind keine deutsche Opern und selbst dem Logenpublicum, das sonst welsche Gesangslyrik so gerne hört, mußte endlich bei der endlo¬ sen Ableierung uralt verschossener Arien der hänfene Geduldfaden platzen. Unsere Aristokratie, welche in Deutschlands, Frankreichs und Englands Hauptstädten einen bunten Wechsel des Repertoirs mit angesehen und täglich in den Zcitblattcrn von den pikanten Opern und anmuthigen Singspielen liest, die hier und dort Succeß errungen, sehnt sich auch nach Abwechslung und frischer Wonne, zumal sie in der letzten Zeit die Erfahrung gemacht, mit welch geringen Kräften sich lediglich durch empfängliche Aufnahme des Neuesten ein amüsantes Repertorium er- zwecken läßt. - Die schmeichelhaften Erfolge seiner jüngsten Unterneh¬ mungen haben den unermüdlichen Eigenthümer des Josephstädter Thea¬ ters zu dem Entschluß gebracht, auf dem Glacis ein neues großes Theater zu bauen, wozu ihm von hoher Hand eine Summe von tOV,öl>t) Gulden auf einen Zeitraum von zwanzig Jahren unverzins¬ lich vorgestreckt werden dürfte. Auch der Director Carl will sein Schau¬ spielhaus in der Leopoldstadt im vergrößerten Maßstabe aufbauen und während der zwei Jahre dieses Baues das Odeon pachten, um darin die klassischen Wunderwerke unserer Possenschreiber aufzutischen. 5 > 5 » Endlich ist Donizetti's Don Sebastian gegeben, eine Oper, welche der singerfertige Maestro für Paris geschrieben, aber damit wenig Aufsehen erregt hat. Hier, wo er eine getreue Phalanx von Bewun¬ derern besitzt, die seine abgenützte Notenfeder gern als eine Reliquie behandeln möchten, kann er niemals durchfallen, wenigstens so lange nicht, als er k. k. Hofkompositeur ist und Oberregisseure machen kann. Don Sebastian ist eine Nachahmung des Meverbeer'sehen Sloth; man denke sich nur einmal ein schwaches Knäblein in der gewaltigen Rü¬ stung eines nordischen Necken, wie es gravitätisch einhertrippelt und mit den zarten Kinderhändchen das schwere Hünenschwert zu schwingen sucht; es ist ergötzlich, dieses Schauspiel, aber auch peinlich, besonders wenn man dabei die unaufhörliche Arbeit der Claque in den Ohren Greiizbote» l8it>. l. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/443>, abgerufen am 26.05.2024.