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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Versammlung geworden ist. Erbärmlich aber erscheint die Art und
Weise, wie mehrere bedeutende Männer, die gern für liberal gelten,
sich der Unterschrift zu entziehen gewußt haben. Nur eine schlecht an¬
gewendete Discretion ist es, die mich veranlaßt, ihre Namen zu ver¬
schweigen, die zum Theil freilich in dem Heine'schen "Wintermär¬
chen" ihre eigenste Würdigung schon gefunden haben. Sie sind die
eigentlichen Jesuiten des Liberalismus, denn sie benutzen den letzteren
ebenso wie die Jesuiten den Namen Jesu.

Gegen die Jesuiten ersteht in Berlin eine eigene für sich abge¬
schlossene Literatur. Zu den neuesten Werken dieser Gattung gehört
das in der Vossi'schen Buchhandlung erschienene Buch von Nuten¬
berg: "Die Jesuiten des neunzehnten Jahrhunderts," welches klar,
faßlich und würdig gehalten ist.

Zum Schluß will ich nicht unterlassen, meine Mittheilung über
die Herausgabe der Werke Friedrichs des Großen von Paul
Ackermann zu widerrufen. Der Letztere hat mir auf Ehre versichert,
daß man ein falsches Gerücht ausgesprengt habe, um ihn zu verleum¬
den und ihm zu schaden. Die Orthographie wird, wie er mir sagte,
streng nach dem Dictionär der französischen Akademie gehandhabt und
gibt keine Veranlassung zu einem Umdruck der bisher gesetzten Bogen.


Feodor West.
IV.
Aus Dresden.

Struensee und das Hervorrufen der Dichter im Theater. -- Julius Cäsar
und das moderne Rom. -- Die Dcutschkatholischen. -- Anekdote. -- Verhält¬
nisse der neuen Gemeinde. --

Ihre Bemerkung, daß die Aufführung des Struensee am 9.
Februar mit dem glänzendsten Erfolg vorübergegangen sei, kann ich
nur bestätigen; der anwesende Dichter selbst ward nach dem vierten
und fünften Akte mit großer Beharrlichkeit gerufen, erschien jedoch nicht,
sondern dankte zuletzt durch unsern Oberregisseur. Die Dresdener ha¬
ben darüber die Nasen gerümpft: ich meinestheils kann es nur billi¬
gen. Der Dichter einer historischen Tragödie ist für seine Person stets
im entschiedenen Nachtheil gegen sein Stück Helden im Costüm ließ
er über die Bühne schreiten und tritt darauf selbst modern in den
leeren Rahmen. Das stört den durch das Vorangegangene erzeugten
Eindruck, der Dichter in Person wird stets als die personificirte Nega¬
tion der Illusion erscheinen, welche seine Dichtung lebendig machte.
Zeigt er sich nun etwa vollends im Rock, da heißt es von der einen
Seite: Na, der hätte wohl auch Anstands halber einen Frack anziehen
können. Oder ist dies geschehen, tritt der Mann mit dem spitz geschooß-
ten Convenienzkleide heraus, da ruft die andere Seite: Aha! er hat
darauf gerechnet, sich vorbereitet! Eitelkeit, Selbstvertrauen u. s. w.


Versammlung geworden ist. Erbärmlich aber erscheint die Art und
Weise, wie mehrere bedeutende Männer, die gern für liberal gelten,
sich der Unterschrift zu entziehen gewußt haben. Nur eine schlecht an¬
gewendete Discretion ist es, die mich veranlaßt, ihre Namen zu ver¬
schweigen, die zum Theil freilich in dem Heine'schen „Wintermär¬
chen" ihre eigenste Würdigung schon gefunden haben. Sie sind die
eigentlichen Jesuiten des Liberalismus, denn sie benutzen den letzteren
ebenso wie die Jesuiten den Namen Jesu.

Gegen die Jesuiten ersteht in Berlin eine eigene für sich abge¬
schlossene Literatur. Zu den neuesten Werken dieser Gattung gehört
das in der Vossi'schen Buchhandlung erschienene Buch von Nuten¬
berg: „Die Jesuiten des neunzehnten Jahrhunderts," welches klar,
faßlich und würdig gehalten ist.

Zum Schluß will ich nicht unterlassen, meine Mittheilung über
die Herausgabe der Werke Friedrichs des Großen von Paul
Ackermann zu widerrufen. Der Letztere hat mir auf Ehre versichert,
daß man ein falsches Gerücht ausgesprengt habe, um ihn zu verleum¬
den und ihm zu schaden. Die Orthographie wird, wie er mir sagte,
streng nach dem Dictionär der französischen Akademie gehandhabt und
gibt keine Veranlassung zu einem Umdruck der bisher gesetzten Bogen.


Feodor West.
IV.
Aus Dresden.

Struensee und das Hervorrufen der Dichter im Theater. — Julius Cäsar
und das moderne Rom. — Die Dcutschkatholischen. — Anekdote. — Verhält¬
nisse der neuen Gemeinde. —

Ihre Bemerkung, daß die Aufführung des Struensee am 9.
Februar mit dem glänzendsten Erfolg vorübergegangen sei, kann ich
nur bestätigen; der anwesende Dichter selbst ward nach dem vierten
und fünften Akte mit großer Beharrlichkeit gerufen, erschien jedoch nicht,
sondern dankte zuletzt durch unsern Oberregisseur. Die Dresdener ha¬
ben darüber die Nasen gerümpft: ich meinestheils kann es nur billi¬
gen. Der Dichter einer historischen Tragödie ist für seine Person stets
im entschiedenen Nachtheil gegen sein Stück Helden im Costüm ließ
er über die Bühne schreiten und tritt darauf selbst modern in den
leeren Rahmen. Das stört den durch das Vorangegangene erzeugten
Eindruck, der Dichter in Person wird stets als die personificirte Nega¬
tion der Illusion erscheinen, welche seine Dichtung lebendig machte.
Zeigt er sich nun etwa vollends im Rock, da heißt es von der einen
Seite: Na, der hätte wohl auch Anstands halber einen Frack anziehen
können. Oder ist dies geschehen, tritt der Mann mit dem spitz geschooß-
ten Convenienzkleide heraus, da ruft die andere Seite: Aha! er hat
darauf gerechnet, sich vorbereitet! Eitelkeit, Selbstvertrauen u. s. w.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/585>, abgerufen am 05.05.2024.