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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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les der Charlotte von Hagn als Agnes wegen, Beifall gefunden.
Nicht uninteressant war es zu sehen, wie Tieck, um seinem Stücke
Geltung zu verschaffen, es über sich vermocht hatte, die Travestie auf
die Tragödie aufzugeben und in der Hauptrolle der Agnes dieselbe zu
einer wirklichen Tragödie umgestalten zu lassen. -- Ein anderes Stück
"Die Waise von Lucca" von Wiener, hat hauptsächlich des guten
Spieles der Clara Stich in der Titelrolle wegen Beifall und An¬
erkennung gesunden. Es ist nicht ohne eine gewisse theatralische Ge-
schicklichkeit gearbeitet. Für ein erstes dichterisches Erzeugnis) ist es
mir im Ganzen zu altklug; ich habe kein Zutrauen zu einer Poesie,
die nicht ihre Flegeljahre aufzuweisen hat. Am meisten mißtrauisch
bin ich dagegen geworden, seit ick) gehört, daß Ludwig Tieck für
dieses Stück Interesse gezeigt. Es ist bekannt, daß er ein solches bis¬
her nur Mittelmäßigkeiten zuzuwenden vermocht hat.

Es ist merkwürdig, wie stets das Schicksal dafür Sorge trägt,
selbst die abgesperrtesten Menschen die Meinung ihrer Zeit vernehmen
zu lassen. Auch Ludwig Tieck muß das erfahren, denn mitten
durch die chinesische Mauer der Verehrung, mit welcher das Glück ihn
zu umgeben gewußt hat, dringt dann und wann der schneidende Luftzug
der heutigen Kritik, und zwar in Gestalt von Briefen seiner Tochter,
die in Schlesien verheirathet, nicht unterlassen kann, dann und wann
ihrem Vater mitzutheilen, was über ihn gesagt und geschrieben wird.

Nichts ist zudringlicher als die Kritik. Ich weiß nicht, von
welchem großen Gelehrten man mir einmal erzählt hat, daß er, nach¬
dem er sein ganzes Leben hindurch vermieden, eine Zeitschrift in die
Hand zu nehmen, aus Angst, einer mißliebigen Recension seiner Schrif¬
ten zu begegnen, kurz vor seinem Tode, als er den Kragen von einem
Rocke schnitt, den er zehn Jahre lang getragen, eine solche in das
Futter desselben eingenäht gefunden hat. Gott, mein Gott, soll der
Gelehrte damals gerufen haben, bin ich nur darum allen kritischen
Anfeindungen ausgewichen, um sie zehn Jahre meines Lebens auf
dem Buckel herumzutragen! Auf dem Buckel tragen aber die Meisten
ihre Kritik und zwar am öftersten die, die ihr geflissentlich auszuwei¬
chen bemüht sind. Es gibt deswegen nicht leicht etwas Komischeres,
als wenn man gewisse Leute sich damit brüsten hört, daß sie es ver¬
schmähn, sich um die Kritik zu bekümmern. Am Lächerlichsten wird
dieses Schmähen dadurch, daß es sich nicht selten auf die ganze jour¬
nalistische Richtung ausdehnt. Ich kenne zum Beispiel einen Herrn
vom Hofe, der nie beredter ist, als wenn er auf die junge Presse schim¬
pfen kann, der sich aber die Sohlen abläuft, wenn er von einem
Blatte gehört, das seine neuesten Reiseskizzen besprochen hat.

Die junge Presse ist aber die würdigste, die Deutschland bisher
besessen hat. Erfreulich ist die Anerkennung, die ihr durch die zahl¬
reichen Unterschriften der Petition um Preßfreiheit an die hiesige Stände-


les der Charlotte von Hagn als Agnes wegen, Beifall gefunden.
Nicht uninteressant war es zu sehen, wie Tieck, um seinem Stücke
Geltung zu verschaffen, es über sich vermocht hatte, die Travestie auf
die Tragödie aufzugeben und in der Hauptrolle der Agnes dieselbe zu
einer wirklichen Tragödie umgestalten zu lassen. — Ein anderes Stück
„Die Waise von Lucca" von Wiener, hat hauptsächlich des guten
Spieles der Clara Stich in der Titelrolle wegen Beifall und An¬
erkennung gesunden. Es ist nicht ohne eine gewisse theatralische Ge-
schicklichkeit gearbeitet. Für ein erstes dichterisches Erzeugnis) ist es
mir im Ganzen zu altklug; ich habe kein Zutrauen zu einer Poesie,
die nicht ihre Flegeljahre aufzuweisen hat. Am meisten mißtrauisch
bin ich dagegen geworden, seit ick) gehört, daß Ludwig Tieck für
dieses Stück Interesse gezeigt. Es ist bekannt, daß er ein solches bis¬
her nur Mittelmäßigkeiten zuzuwenden vermocht hat.

Es ist merkwürdig, wie stets das Schicksal dafür Sorge trägt,
selbst die abgesperrtesten Menschen die Meinung ihrer Zeit vernehmen
zu lassen. Auch Ludwig Tieck muß das erfahren, denn mitten
durch die chinesische Mauer der Verehrung, mit welcher das Glück ihn
zu umgeben gewußt hat, dringt dann und wann der schneidende Luftzug
der heutigen Kritik, und zwar in Gestalt von Briefen seiner Tochter,
die in Schlesien verheirathet, nicht unterlassen kann, dann und wann
ihrem Vater mitzutheilen, was über ihn gesagt und geschrieben wird.

Nichts ist zudringlicher als die Kritik. Ich weiß nicht, von
welchem großen Gelehrten man mir einmal erzählt hat, daß er, nach¬
dem er sein ganzes Leben hindurch vermieden, eine Zeitschrift in die
Hand zu nehmen, aus Angst, einer mißliebigen Recension seiner Schrif¬
ten zu begegnen, kurz vor seinem Tode, als er den Kragen von einem
Rocke schnitt, den er zehn Jahre lang getragen, eine solche in das
Futter desselben eingenäht gefunden hat. Gott, mein Gott, soll der
Gelehrte damals gerufen haben, bin ich nur darum allen kritischen
Anfeindungen ausgewichen, um sie zehn Jahre meines Lebens auf
dem Buckel herumzutragen! Auf dem Buckel tragen aber die Meisten
ihre Kritik und zwar am öftersten die, die ihr geflissentlich auszuwei¬
chen bemüht sind. Es gibt deswegen nicht leicht etwas Komischeres,
als wenn man gewisse Leute sich damit brüsten hört, daß sie es ver¬
schmähn, sich um die Kritik zu bekümmern. Am Lächerlichsten wird
dieses Schmähen dadurch, daß es sich nicht selten auf die ganze jour¬
nalistische Richtung ausdehnt. Ich kenne zum Beispiel einen Herrn
vom Hofe, der nie beredter ist, als wenn er auf die junge Presse schim¬
pfen kann, der sich aber die Sohlen abläuft, wenn er von einem
Blatte gehört, das seine neuesten Reiseskizzen besprochen hat.

Die junge Presse ist aber die würdigste, die Deutschland bisher
besessen hat. Erfreulich ist die Anerkennung, die ihr durch die zahl¬
reichen Unterschriften der Petition um Preßfreiheit an die hiesige Stände-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/584>, abgerufen am 26.05.2024.