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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Der Czar und das Rnffenthnm.

Aus Rußland tönen immer zwei ganz verschiedene Stimmen
durch die deutsche Journalistik; die eine ist grell pfeifend und zi¬
schend, wie unheimlicher Schlangenton, die andere süß lockend und
lullend, wie weicher Waldhornklang; je schauerlicher die eine von
blutigen Verfolgungen und finsteren Intriguen flüstert, desto lauter
preist die andere die persönliche Anmuth des Czaren und die syre-
nenhafte Schönheit seiner Olga. Das Duett ist kein künstliches,
sondern es scheint ein ernster Streit zwischen den beiden Stimmen
zu sein. Gerade jetzt, wo die Nachrichten aus Rußland mehr als
je die Gemüther aufregen, arbeiten die Correspondenzflöten aus
Palermo und Neapel mit allen Klappen, und erschöpfen sich, als
hätten sie einen Mißton zu übertäuben, in den süßesten Arien über
das idyllische Leben der kaiserlichen Familie. Der nordische Herr¬
scher soll in der That wie ein Halbgott unter den Italienern auf¬
getreten sein; wie Apoll seine goldenen Strahlen, so streute er seine
Ducaten unter das Volk; zahllos sind die erhabenen und die rüh¬
renden Züge, die man ihm nacherzählt; wie er, stark und galant,
seine Gemahlin selbst die Treppen hinausträgt, und wie er beschei¬
den, statt des Lorbeers, die Myrthen und Orangen wählt; wie er
furchtlos Md allein des Abends am User des Meeres spaziert und
ohne Bedieytenhilfe sich des Nachts auskleidet; kurz, alle jene klei¬
nen Zeichen leibhaftiger Menschlichkeit, welche die Sterblichen seit
Julius CMr und Alexander gewohnt sind, an gekrönten Häuptern
am meisten zu bewundern. Der Lazzarone, der statt der Knuten¬
hiebe, von denen er gehört hat, Nichts als Ducati und Kußhänd¬
chen fliegen sieht, beneidet die russischen Leibeigenen um einen so


Der Czar und das Rnffenthnm.

Aus Rußland tönen immer zwei ganz verschiedene Stimmen
durch die deutsche Journalistik; die eine ist grell pfeifend und zi¬
schend, wie unheimlicher Schlangenton, die andere süß lockend und
lullend, wie weicher Waldhornklang; je schauerlicher die eine von
blutigen Verfolgungen und finsteren Intriguen flüstert, desto lauter
preist die andere die persönliche Anmuth des Czaren und die syre-
nenhafte Schönheit seiner Olga. Das Duett ist kein künstliches,
sondern es scheint ein ernster Streit zwischen den beiden Stimmen
zu sein. Gerade jetzt, wo die Nachrichten aus Rußland mehr als
je die Gemüther aufregen, arbeiten die Correspondenzflöten aus
Palermo und Neapel mit allen Klappen, und erschöpfen sich, als
hätten sie einen Mißton zu übertäuben, in den süßesten Arien über
das idyllische Leben der kaiserlichen Familie. Der nordische Herr¬
scher soll in der That wie ein Halbgott unter den Italienern auf¬
getreten sein; wie Apoll seine goldenen Strahlen, so streute er seine
Ducaten unter das Volk; zahllos sind die erhabenen und die rüh¬
renden Züge, die man ihm nacherzählt; wie er, stark und galant,
seine Gemahlin selbst die Treppen hinausträgt, und wie er beschei¬
den, statt des Lorbeers, die Myrthen und Orangen wählt; wie er
furchtlos Md allein des Abends am User des Meeres spaziert und
ohne Bedieytenhilfe sich des Nachts auskleidet; kurz, alle jene klei¬
nen Zeichen leibhaftiger Menschlichkeit, welche die Sterblichen seit
Julius CMr und Alexander gewohnt sind, an gekrönten Häuptern
am meisten zu bewundern. Der Lazzarone, der statt der Knuten¬
hiebe, von denen er gehört hat, Nichts als Ducati und Kußhänd¬
chen fliegen sieht, beneidet die russischen Leibeigenen um einen so


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[0021] Der Czar und das Rnffenthnm. Aus Rußland tönen immer zwei ganz verschiedene Stimmen durch die deutsche Journalistik; die eine ist grell pfeifend und zi¬ schend, wie unheimlicher Schlangenton, die andere süß lockend und lullend, wie weicher Waldhornklang; je schauerlicher die eine von blutigen Verfolgungen und finsteren Intriguen flüstert, desto lauter preist die andere die persönliche Anmuth des Czaren und die syre- nenhafte Schönheit seiner Olga. Das Duett ist kein künstliches, sondern es scheint ein ernster Streit zwischen den beiden Stimmen zu sein. Gerade jetzt, wo die Nachrichten aus Rußland mehr als je die Gemüther aufregen, arbeiten die Correspondenzflöten aus Palermo und Neapel mit allen Klappen, und erschöpfen sich, als hätten sie einen Mißton zu übertäuben, in den süßesten Arien über das idyllische Leben der kaiserlichen Familie. Der nordische Herr¬ scher soll in der That wie ein Halbgott unter den Italienern auf¬ getreten sein; wie Apoll seine goldenen Strahlen, so streute er seine Ducaten unter das Volk; zahllos sind die erhabenen und die rüh¬ renden Züge, die man ihm nacherzählt; wie er, stark und galant, seine Gemahlin selbst die Treppen hinausträgt, und wie er beschei¬ den, statt des Lorbeers, die Myrthen und Orangen wählt; wie er furchtlos Md allein des Abends am User des Meeres spaziert und ohne Bedieytenhilfe sich des Nachts auskleidet; kurz, alle jene klei¬ nen Zeichen leibhaftiger Menschlichkeit, welche die Sterblichen seit Julius CMr und Alexander gewohnt sind, an gekrönten Häuptern am meisten zu bewundern. Der Lazzarone, der statt der Knuten¬ hiebe, von denen er gehört hat, Nichts als Ducati und Kußhänd¬ chen fliegen sieht, beneidet die russischen Leibeigenen um einen so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/21>, abgerufen am 29.04.2024.