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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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freigebigen Herrn, und die unruhigen Pole" um das Glück, sich
"meer ein so süßes und glänzendes Joch beugen zu könnein Der
Besuch in Sieilien und Neapel ist ein siegreicher Feldzug gegen
Rom. Nicolaus trifft mit Einem Stein drei Vögel. Er wollte
die Gesundheit der zärtlich geliebten Gemahlin durch die südlichen
Lüfte stärke", aber, abgesehen von den russisch-napolctanischcn Han¬
delsverträge", die bei dieser Gelegenheit geschlossen werden, dürfte
auch der Groll Italiens über die Leiden des Katholizismus in
Rußland entwaffnet und der heilige Vater zu vortheilhaften kirch¬
lichen Verträgen bewogen werden. Aehnliche Schachzüge thut der
Czar in Rom selbst, dann in Wien und Berlin, und wenn auch
die Correspondenzflöten von da etwas leiser und unsicherer klingen
werden, eS giebt immer noch Ohren bei uns, welche die russischen
Melodien gierig auffangen.

Wir sind aber weit entfernt, an der persönlichen Liebenswür¬
digkeit des Czaren zu zweifeln. Man kann dreimal liebenswürdig
und doch russischer Autokrat sein. Es ist sogar mehr als äußere
Liebenswürdigkeit, was die allgemeine Sage ihm nachrühmt; und
nicht blos die hohe und niedere Damenwelt Europas, die "sein
hoher Gang und seine hohe Gestalt, seines Mundes Lächeln und
seiner Augen Gewalt" bezaubert, sondern Männer aller Farben und
Tendenzen, die Gelegenheit hatten, in seine Nähe zu kommen, harm¬
lose Touristen und politische Kundschafter, die im Interesse der Ci¬
vilisation den hohen Norden erforschten, von Kohl bis Custine, alle
sprechen einmüthig von der strahlenden Persönlichkeit des Herrschers
an der Newa; alle stimmen darin überein, daß Nicolaus eben so
voll Hoheit und Seelengröße, voll gewinnender Huld und ehr-
furchteinflößendcr Mannheit sei, wie das russische Wesen voll nie¬
driger List und kleinlicher Herrschsucht, voll gewinnsüchtiger Krie¬
cherei und brutalem Sklavensinn. In Konstantinopel und in der
Levante, wo die nordischen Barbaren als Tod- und Erbfeinde ge¬
haßt werden, erzählt man sich gleichwohl mit fatalistischer Ehrfurcht
von dem olympischen Haupt und dem zauberhaft majestätischen
Antlitz des "weißen" Czaren. Aber wie stehen die großen Gedan¬
ken dieses Heroen vor den Augen der Welt, wenn sie aus dem
olympischen Götterhaupt in die ukasenschreibende Feder und endlich
in die knutenschwingcndcn Fäuste der hunderttausend russischen Un--


freigebigen Herrn, und die unruhigen Pole» um das Glück, sich
»meer ein so süßes und glänzendes Joch beugen zu könnein Der
Besuch in Sieilien und Neapel ist ein siegreicher Feldzug gegen
Rom. Nicolaus trifft mit Einem Stein drei Vögel. Er wollte
die Gesundheit der zärtlich geliebten Gemahlin durch die südlichen
Lüfte stärke», aber, abgesehen von den russisch-napolctanischcn Han¬
delsverträge», die bei dieser Gelegenheit geschlossen werden, dürfte
auch der Groll Italiens über die Leiden des Katholizismus in
Rußland entwaffnet und der heilige Vater zu vortheilhaften kirch¬
lichen Verträgen bewogen werden. Aehnliche Schachzüge thut der
Czar in Rom selbst, dann in Wien und Berlin, und wenn auch
die Correspondenzflöten von da etwas leiser und unsicherer klingen
werden, eS giebt immer noch Ohren bei uns, welche die russischen
Melodien gierig auffangen.

Wir sind aber weit entfernt, an der persönlichen Liebenswür¬
digkeit des Czaren zu zweifeln. Man kann dreimal liebenswürdig
und doch russischer Autokrat sein. Es ist sogar mehr als äußere
Liebenswürdigkeit, was die allgemeine Sage ihm nachrühmt; und
nicht blos die hohe und niedere Damenwelt Europas, die „sein
hoher Gang und seine hohe Gestalt, seines Mundes Lächeln und
seiner Augen Gewalt" bezaubert, sondern Männer aller Farben und
Tendenzen, die Gelegenheit hatten, in seine Nähe zu kommen, harm¬
lose Touristen und politische Kundschafter, die im Interesse der Ci¬
vilisation den hohen Norden erforschten, von Kohl bis Custine, alle
sprechen einmüthig von der strahlenden Persönlichkeit des Herrschers
an der Newa; alle stimmen darin überein, daß Nicolaus eben so
voll Hoheit und Seelengröße, voll gewinnender Huld und ehr-
furchteinflößendcr Mannheit sei, wie das russische Wesen voll nie¬
driger List und kleinlicher Herrschsucht, voll gewinnsüchtiger Krie¬
cherei und brutalem Sklavensinn. In Konstantinopel und in der
Levante, wo die nordischen Barbaren als Tod- und Erbfeinde ge¬
haßt werden, erzählt man sich gleichwohl mit fatalistischer Ehrfurcht
von dem olympischen Haupt und dem zauberhaft majestätischen
Antlitz des „weißen" Czaren. Aber wie stehen die großen Gedan¬
ken dieses Heroen vor den Augen der Welt, wenn sie aus dem
olympischen Götterhaupt in die ukasenschreibende Feder und endlich
in die knutenschwingcndcn Fäuste der hunderttausend russischen Un--


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[0022] freigebigen Herrn, und die unruhigen Pole» um das Glück, sich »meer ein so süßes und glänzendes Joch beugen zu könnein Der Besuch in Sieilien und Neapel ist ein siegreicher Feldzug gegen Rom. Nicolaus trifft mit Einem Stein drei Vögel. Er wollte die Gesundheit der zärtlich geliebten Gemahlin durch die südlichen Lüfte stärke», aber, abgesehen von den russisch-napolctanischcn Han¬ delsverträge», die bei dieser Gelegenheit geschlossen werden, dürfte auch der Groll Italiens über die Leiden des Katholizismus in Rußland entwaffnet und der heilige Vater zu vortheilhaften kirch¬ lichen Verträgen bewogen werden. Aehnliche Schachzüge thut der Czar in Rom selbst, dann in Wien und Berlin, und wenn auch die Correspondenzflöten von da etwas leiser und unsicherer klingen werden, eS giebt immer noch Ohren bei uns, welche die russischen Melodien gierig auffangen. Wir sind aber weit entfernt, an der persönlichen Liebenswür¬ digkeit des Czaren zu zweifeln. Man kann dreimal liebenswürdig und doch russischer Autokrat sein. Es ist sogar mehr als äußere Liebenswürdigkeit, was die allgemeine Sage ihm nachrühmt; und nicht blos die hohe und niedere Damenwelt Europas, die „sein hoher Gang und seine hohe Gestalt, seines Mundes Lächeln und seiner Augen Gewalt" bezaubert, sondern Männer aller Farben und Tendenzen, die Gelegenheit hatten, in seine Nähe zu kommen, harm¬ lose Touristen und politische Kundschafter, die im Interesse der Ci¬ vilisation den hohen Norden erforschten, von Kohl bis Custine, alle sprechen einmüthig von der strahlenden Persönlichkeit des Herrschers an der Newa; alle stimmen darin überein, daß Nicolaus eben so voll Hoheit und Seelengröße, voll gewinnender Huld und ehr- furchteinflößendcr Mannheit sei, wie das russische Wesen voll nie¬ driger List und kleinlicher Herrschsucht, voll gewinnsüchtiger Krie¬ cherei und brutalem Sklavensinn. In Konstantinopel und in der Levante, wo die nordischen Barbaren als Tod- und Erbfeinde ge¬ haßt werden, erzählt man sich gleichwohl mit fatalistischer Ehrfurcht von dem olympischen Haupt und dem zauberhaft majestätischen Antlitz des „weißen" Czaren. Aber wie stehen die großen Gedan¬ ken dieses Heroen vor den Augen der Welt, wenn sie aus dem olympischen Götterhaupt in die ukasenschreibende Feder und endlich in die knutenschwingcndcn Fäuste der hunderttausend russischen Un--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/22>, abgerufen am 15.05.2024.