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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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greifenden legislativen Abhülfe anzuerkennen, so würde solche nur mit
Zustimmung des deutschen Bundes ausgeführt werden können, und
bleibt es unserer Erwägung vorbehalten, ob und wann dieserhalb Ein¬
leitungen zu treffen sein möchten." -- Einstweilen sind "zur Herstel¬
lung eines gleichmäßigen Verfahrens in der gesammten Monarchie"
durch Cad. Ordre vom 5. Dec. 1845, die Bundesbeschlüsse vom 5.
Zuli 1832 auch auf die Provinzen Preußen und Posen ausge¬
dehnt worden.

Ich breche hier ab, um im nächsten Briefe fortzufahrrn. Etwas
über die schlesischen Unterstützungsvereine und über die gegen die Noth
der Weber und Spinner daselbst angewandten Regierungsmaßregeln
werde ich, Ihrem Wunsche gemäß, später folgen lassen.


IN.
Ans Mailand.

Die Stagione. -- Ueberwiegen der französischen Literatur. -- Buchhandlun¬
gen und Buchdruckereien. -- Beichte Physiognomie der Stadt.

Die Stagione hat die Ansprüche des hiesigen Publicums
diesmal in keiner Art befriedigt, und schon die erste Novität, mit
welcher das Theater della Scala eröffnet wurde, ein Ballet nebst
einem Singspiel machte gänzlich Fiasco. Sehr tadelnswert!) war
das Verhalten der Polizei, welche bei der zweiten Vorstellung
das Zischen und Pfeifen untersagte und das Parterre mit Gensdar-
merie erfüllte. Fortwährender Applaus erreichte denselben Zweck, und
die Vorstellung unterblieb. Man muß die leidenschaftliche Vorliebe des
Mailänders für Alles, was das Theater betrifft, kennen, um die fa¬
natische Wuth zu begreifen, mit welcher das Publicum das Urtheil
der Verdammung über eine mißfällige Piece auszusprechen pflegt; der
Sohn des Nordens kann diese Unerbittlichkeit des Grolls, diese kri¬
minalistische Strenge des kritischen Spruchs nicht fassen und fühlt
sich abgestoßen von der rauhen Heftigkeit, womit sich hier das Mi߬
fallen kund gibt. Eben so wenig wird sich aber das transalpinische
Publicum jemals zu jener Bewußtlosigkeit des Entzückens, zu jener
Höhe des Enthusiasmus hinaufschrauben können, welche der Beifall
in den Räumen eines italienischen Theaters anzunehmen im Stande
ist. Auffallend bleibt es, wie zahlreich die diesjährige Stagione in
verschiedenen Städten der Halbinsel in Mißcredit gekommen, denn
auch in Venedig, in Cremona und andern Orten Oberitaliens hat sich
das Gefühl des Unbefriedigtseins auf eine ganz unzweideutige Weise
ausgesprochen. Es wäre ungerecht die Ursachen lediglich in der küm¬
merlichen Natur der Tonschöpfungen zu suchen, womit kleine Geister
wie Verdi gegenwärtig die Opernbühnen überschwemmen, wenn auch


greifenden legislativen Abhülfe anzuerkennen, so würde solche nur mit
Zustimmung des deutschen Bundes ausgeführt werden können, und
bleibt es unserer Erwägung vorbehalten, ob und wann dieserhalb Ein¬
leitungen zu treffen sein möchten." — Einstweilen sind „zur Herstel¬
lung eines gleichmäßigen Verfahrens in der gesammten Monarchie"
durch Cad. Ordre vom 5. Dec. 1845, die Bundesbeschlüsse vom 5.
Zuli 1832 auch auf die Provinzen Preußen und Posen ausge¬
dehnt worden.

Ich breche hier ab, um im nächsten Briefe fortzufahrrn. Etwas
über die schlesischen Unterstützungsvereine und über die gegen die Noth
der Weber und Spinner daselbst angewandten Regierungsmaßregeln
werde ich, Ihrem Wunsche gemäß, später folgen lassen.


IN.
Ans Mailand.

Die Stagione. — Ueberwiegen der französischen Literatur. — Buchhandlun¬
gen und Buchdruckereien. — Beichte Physiognomie der Stadt.

Die Stagione hat die Ansprüche des hiesigen Publicums
diesmal in keiner Art befriedigt, und schon die erste Novität, mit
welcher das Theater della Scala eröffnet wurde, ein Ballet nebst
einem Singspiel machte gänzlich Fiasco. Sehr tadelnswert!) war
das Verhalten der Polizei, welche bei der zweiten Vorstellung
das Zischen und Pfeifen untersagte und das Parterre mit Gensdar-
merie erfüllte. Fortwährender Applaus erreichte denselben Zweck, und
die Vorstellung unterblieb. Man muß die leidenschaftliche Vorliebe des
Mailänders für Alles, was das Theater betrifft, kennen, um die fa¬
natische Wuth zu begreifen, mit welcher das Publicum das Urtheil
der Verdammung über eine mißfällige Piece auszusprechen pflegt; der
Sohn des Nordens kann diese Unerbittlichkeit des Grolls, diese kri¬
minalistische Strenge des kritischen Spruchs nicht fassen und fühlt
sich abgestoßen von der rauhen Heftigkeit, womit sich hier das Mi߬
fallen kund gibt. Eben so wenig wird sich aber das transalpinische
Publicum jemals zu jener Bewußtlosigkeit des Entzückens, zu jener
Höhe des Enthusiasmus hinaufschrauben können, welche der Beifall
in den Räumen eines italienischen Theaters anzunehmen im Stande
ist. Auffallend bleibt es, wie zahlreich die diesjährige Stagione in
verschiedenen Städten der Halbinsel in Mißcredit gekommen, denn
auch in Venedig, in Cremona und andern Orten Oberitaliens hat sich
das Gefühl des Unbefriedigtseins auf eine ganz unzweideutige Weise
ausgesprochen. Es wäre ungerecht die Ursachen lediglich in der küm¬
merlichen Natur der Tonschöpfungen zu suchen, womit kleine Geister
wie Verdi gegenwärtig die Opernbühnen überschwemmen, wenn auch


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[0383] greifenden legislativen Abhülfe anzuerkennen, so würde solche nur mit Zustimmung des deutschen Bundes ausgeführt werden können, und bleibt es unserer Erwägung vorbehalten, ob und wann dieserhalb Ein¬ leitungen zu treffen sein möchten." — Einstweilen sind „zur Herstel¬ lung eines gleichmäßigen Verfahrens in der gesammten Monarchie" durch Cad. Ordre vom 5. Dec. 1845, die Bundesbeschlüsse vom 5. Zuli 1832 auch auf die Provinzen Preußen und Posen ausge¬ dehnt worden. Ich breche hier ab, um im nächsten Briefe fortzufahrrn. Etwas über die schlesischen Unterstützungsvereine und über die gegen die Noth der Weber und Spinner daselbst angewandten Regierungsmaßregeln werde ich, Ihrem Wunsche gemäß, später folgen lassen. IN. Ans Mailand. Die Stagione. — Ueberwiegen der französischen Literatur. — Buchhandlun¬ gen und Buchdruckereien. — Beichte Physiognomie der Stadt. Die Stagione hat die Ansprüche des hiesigen Publicums diesmal in keiner Art befriedigt, und schon die erste Novität, mit welcher das Theater della Scala eröffnet wurde, ein Ballet nebst einem Singspiel machte gänzlich Fiasco. Sehr tadelnswert!) war das Verhalten der Polizei, welche bei der zweiten Vorstellung das Zischen und Pfeifen untersagte und das Parterre mit Gensdar- merie erfüllte. Fortwährender Applaus erreichte denselben Zweck, und die Vorstellung unterblieb. Man muß die leidenschaftliche Vorliebe des Mailänders für Alles, was das Theater betrifft, kennen, um die fa¬ natische Wuth zu begreifen, mit welcher das Publicum das Urtheil der Verdammung über eine mißfällige Piece auszusprechen pflegt; der Sohn des Nordens kann diese Unerbittlichkeit des Grolls, diese kri¬ minalistische Strenge des kritischen Spruchs nicht fassen und fühlt sich abgestoßen von der rauhen Heftigkeit, womit sich hier das Mi߬ fallen kund gibt. Eben so wenig wird sich aber das transalpinische Publicum jemals zu jener Bewußtlosigkeit des Entzückens, zu jener Höhe des Enthusiasmus hinaufschrauben können, welche der Beifall in den Räumen eines italienischen Theaters anzunehmen im Stande ist. Auffallend bleibt es, wie zahlreich die diesjährige Stagione in verschiedenen Städten der Halbinsel in Mißcredit gekommen, denn auch in Venedig, in Cremona und andern Orten Oberitaliens hat sich das Gefühl des Unbefriedigtseins auf eine ganz unzweideutige Weise ausgesprochen. Es wäre ungerecht die Ursachen lediglich in der küm¬ merlichen Natur der Tonschöpfungen zu suchen, womit kleine Geister wie Verdi gegenwärtig die Opernbühnen überschwemmen, wenn auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/383>, abgerufen am 28.04.2024.