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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Aus Paris.

Das lustige Altengland und das artige Altfrankreich. -- Die Franzosen der
Zukunft. -- I^v i>"",ilk von Michelet__Frankreich als Wcltpapst und Frank¬
reich als Hiov. -- Anekdote. -- Staats- und litterarische Papiere. -- Lamennais
und Uhlich. -- Die Gazette de France und Rousseau; das Journal des Dc-
vats und Voltaire. -- Die Quatrs Kv^nßiles von Lamennais und das re¬
volutionäre Christenthum.

Ja, die Zeiten ändern sich und Frankreich schneidet täglich ern¬
stere Gesichter, aber die Elegien über den Verfall der holt" l^r-me" <>"
^<al", die wir nun schon seit Jahren anhören müssen, sind doch gar
zu jämmerlich. Wem die heutigen Franzosen nicht charmant genug
sind, mag ins alte Frankreich zurückgehen, zu den herzlosen Intri¬
ganten und Maitrcssenknechtm des -melen ivzii"", die freilich tausend¬
mal "artiger" und "liebenswürdiger" waren als alle ehrlichen Leute
von jetzt zusammen. Ich meinerseits glaube, die Franzosen müssen
noch viel uncharmanter werden, bevor sie zu was Rechtem kommen.
Einst beklagte man gerade so den Verfall des zur-i','7 Ma Arzt-ma', des
lustigen Altengland, aber die Engländer wurden dabei groß und
stark. Ueberall vergolden die Altweiberseelen die "gute" alte Zeit.
Was die Franzosen betrifft, so müßte Hopfen und Malz an ihnen
verloren sein, wenn ihre grandiosen Lehr- und Wanderjahre seit 17^9
nicht endlich eine nachhaltige tiefere Umstimmung in Sitten und
Grundsätzen hervorbrächten. Diese innere Metamorphose ist die be¬
deutsamste Frucht ihrer zwei Revolutionen und die eigentliche Garan¬
tie für die demokratischen Institutionen auf dem Papiere. 1^, neun,
dieser Inbegriff von Altfrankreich, dieses Ideal und Borbild der frü¬
hern Gesellschaft, welches noch der sinnvolle P. L. Courier nicht ge¬
nug geißeln konnte, diese traditionelle Hof- und Convenienz - Weltan¬
schauung ist auch dem heutigen Frankreich noch nicht völlig ausgetrie¬
ben. Langsam wird solch ein Erbübel ausgeschwitzt. G^wiß werden
die Feanzosen der Zukunft etwas weniger charmant sein und dafür
beständiger, etwas weniger eitel und dafür stolzer, männlicher, wahrer


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Aus Paris.

Das lustige Altengland und das artige Altfrankreich. — Die Franzosen der
Zukunft. — I^v i>«»,ilk von Michelet__Frankreich als Wcltpapst und Frank¬
reich als Hiov. — Anekdote. — Staats- und litterarische Papiere. — Lamennais
und Uhlich. — Die Gazette de France und Rousseau; das Journal des Dc-
vats und Voltaire. — Die Quatrs Kv^nßiles von Lamennais und das re¬
volutionäre Christenthum.

Ja, die Zeiten ändern sich und Frankreich schneidet täglich ern¬
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zu jämmerlich. Wem die heutigen Franzosen nicht charmant genug
sind, mag ins alte Frankreich zurückgehen, zu den herzlosen Intri¬
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mal „artiger" und „liebenswürdiger" waren als alle ehrlichen Leute
von jetzt zusammen. Ich meinerseits glaube, die Franzosen müssen
noch viel uncharmanter werden, bevor sie zu was Rechtem kommen.
Einst beklagte man gerade so den Verfall des zur-i','7 Ma Arzt-ma', des
lustigen Altengland, aber die Engländer wurden dabei groß und
stark. Ueberall vergolden die Altweiberseelen die „gute" alte Zeit.
Was die Franzosen betrifft, so müßte Hopfen und Malz an ihnen
verloren sein, wenn ihre grandiosen Lehr- und Wanderjahre seit 17^9
nicht endlich eine nachhaltige tiefere Umstimmung in Sitten und
Grundsätzen hervorbrächten. Diese innere Metamorphose ist die be¬
deutsamste Frucht ihrer zwei Revolutionen und die eigentliche Garan¬
tie für die demokratischen Institutionen auf dem Papiere. 1^, neun,
dieser Inbegriff von Altfrankreich, dieses Ideal und Borbild der frü¬
hern Gesellschaft, welches noch der sinnvolle P. L. Courier nicht ge¬
nug geißeln konnte, diese traditionelle Hof- und Convenienz - Weltan¬
schauung ist auch dem heutigen Frankreich noch nicht völlig ausgetrie¬
ben. Langsam wird solch ein Erbübel ausgeschwitzt. G^wiß werden
die Feanzosen der Zukunft etwas weniger charmant sein und dafür
beständiger, etwas weniger eitel und dafür stolzer, männlicher, wahrer


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[0551] T a g e b u et;. i Aus Paris. Das lustige Altengland und das artige Altfrankreich. — Die Franzosen der Zukunft. — I^v i>«»,ilk von Michelet__Frankreich als Wcltpapst und Frank¬ reich als Hiov. — Anekdote. — Staats- und litterarische Papiere. — Lamennais und Uhlich. — Die Gazette de France und Rousseau; das Journal des Dc- vats und Voltaire. — Die Quatrs Kv^nßiles von Lamennais und das re¬ volutionäre Christenthum. Ja, die Zeiten ändern sich und Frankreich schneidet täglich ern¬ stere Gesichter, aber die Elegien über den Verfall der holt« l^r-me« <>« ^<al«, die wir nun schon seit Jahren anhören müssen, sind doch gar zu jämmerlich. Wem die heutigen Franzosen nicht charmant genug sind, mag ins alte Frankreich zurückgehen, zu den herzlosen Intri¬ ganten und Maitrcssenknechtm des -melen ivzii»«, die freilich tausend¬ mal „artiger" und „liebenswürdiger" waren als alle ehrlichen Leute von jetzt zusammen. Ich meinerseits glaube, die Franzosen müssen noch viel uncharmanter werden, bevor sie zu was Rechtem kommen. Einst beklagte man gerade so den Verfall des zur-i','7 Ma Arzt-ma', des lustigen Altengland, aber die Engländer wurden dabei groß und stark. Ueberall vergolden die Altweiberseelen die „gute" alte Zeit. Was die Franzosen betrifft, so müßte Hopfen und Malz an ihnen verloren sein, wenn ihre grandiosen Lehr- und Wanderjahre seit 17^9 nicht endlich eine nachhaltige tiefere Umstimmung in Sitten und Grundsätzen hervorbrächten. Diese innere Metamorphose ist die be¬ deutsamste Frucht ihrer zwei Revolutionen und die eigentliche Garan¬ tie für die demokratischen Institutionen auf dem Papiere. 1^, neun, dieser Inbegriff von Altfrankreich, dieses Ideal und Borbild der frü¬ hern Gesellschaft, welches noch der sinnvolle P. L. Courier nicht ge¬ nug geißeln konnte, diese traditionelle Hof- und Convenienz - Weltan¬ schauung ist auch dem heutigen Frankreich noch nicht völlig ausgetrie¬ ben. Langsam wird solch ein Erbübel ausgeschwitzt. G^wiß werden die Feanzosen der Zukunft etwas weniger charmant sein und dafür beständiger, etwas weniger eitel und dafür stolzer, männlicher, wahrer 69*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/551>, abgerufen am 29.04.2024.