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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Revolution von einem Standpunkte aus schildert, dem alle bisherigen Historio-
graphen der Revolution anch nicht einmal nahe gekommen. Lamartine der Poet
wird bald vergessen sein, Lamartine der Staatsmann wird nie zu einflußreicher
Wirksamkeit gelangen, aber Lamartine der Geschichtsschreiber der Gironde wird
von dem bedeutendsten Einflüsse auf die Geistes-Entwicklung des jungen Frank¬
reichs sein. ES ist etwas Großes um eine Anschauung, die das Königthum ver¬
tritt, mit aller Beredsamkeit eines Royalisten, die Republik mit allem Feuer und
aller' Begeisterung eines Republikaners und dabei das Maas der Gerechtigkeit
rechts und links einhält und über die Kämpfe der Zeit hinaus den sicheren Blick
behält in die alles lösende und ausgleichende Zukunft.

Uebrigens ist es ziemlich still in der Presse. Madame Sand hat in dem
Blatte des Herrn Girardin einen neuen Roman "it k'icciniiio" zu publiciren
angefangen, der ganz reizend zu werden verspricht.


Ä....V.
II.
Aus Berlin.

Das blasirte Berlin. -- Die Pole" und der Landtag. -- Das "Schriftstück" der 1^7.
-- Noch einmal Janus. -- Frühling.

Dem Vollblut-Berliner dauert die Politik schon zu lange; auf dem Landtag
haben sie jetzt nach grade lange genug gesprochen, es handelt sich nun um Interessen,
die keine augenblickliche Erregung hervorrufen, und die gar zu sehr gegen die ge¬
waltsame Spannung der ersten Tage abstechen. Damals, als man von der Tribüne
> rief: Ihr Minister, seht euer Haupt zu Pfand! als von der Ministerbank geantwortet
wurde: ihr wollt doch nicht etwa, daß der König---; damals, als ein Rhein¬
länder nach dem andern die Theorien der Freiheit und Gleichheit auseinandersetzten,
von der Ehre Preußens, von den Befreiungskriegen und dem Uebergreifen des Czaa-
renreichs viel Gutes und Passendes zu sagen wußten, damals war es eine andere
Zeit! Man hatte destillirten Liberalismus! Nun löst sich Alles auf in einzelne Inter¬
essen, der Spiritus wird mit Wasser vermischt. Indeß, was ist zu thun! die
Garcia ist fort, die Ccrittv vergessen, Jenny Lind wird London in Aufruhr setzen,
uns bleibt nur -- Kathinka Evers mit den blaßblauen Augen, die höchstens das
Publikum in Erstaunen setzt, wenn sie den Martius-Florestan unter ihren Mantel
nimmt, den armen Jungen, um ihn vor dem bösen Pizarro zu schützen. Es hilft
nichts, wohl oder übel muß doch der Landtag daran; die kritische Schule hat
keinen neuen Standpunkt überwunden, es ist kein Referendarius aufgestanden, eine
neue Religion zu' erfinden, kein Schriftsteller ist ausgewiesen; Nichts! Nichts!
Rellstab kritisirt, O. W. Lange kritisirt, Klein kritisirt. Hieronymus kritisirt,
Gungl spielt. Liebig spielt das ist alles schon dagewesen! Wenn doch die
Akademie wieder.einen Brief schriebe! nicht einmal die Voigtländer machen mehr
in Emeuten!

Das Interesse knüpft sich jetzt an zwei Punkte. Einmal haben sich zum er¬
sten Mal die Polen auf eine kräftige Weise movirt, und die Deputirten von al-


Revolution von einem Standpunkte aus schildert, dem alle bisherigen Historio-
graphen der Revolution anch nicht einmal nahe gekommen. Lamartine der Poet
wird bald vergessen sein, Lamartine der Staatsmann wird nie zu einflußreicher
Wirksamkeit gelangen, aber Lamartine der Geschichtsschreiber der Gironde wird
von dem bedeutendsten Einflüsse auf die Geistes-Entwicklung des jungen Frank¬
reichs sein. ES ist etwas Großes um eine Anschauung, die das Königthum ver¬
tritt, mit aller Beredsamkeit eines Royalisten, die Republik mit allem Feuer und
aller' Begeisterung eines Republikaners und dabei das Maas der Gerechtigkeit
rechts und links einhält und über die Kämpfe der Zeit hinaus den sicheren Blick
behält in die alles lösende und ausgleichende Zukunft.

Uebrigens ist es ziemlich still in der Presse. Madame Sand hat in dem
Blatte des Herrn Girardin einen neuen Roman „it k'icciniiio" zu publiciren
angefangen, der ganz reizend zu werden verspricht.


Ä....V.
II.
Aus Berlin.

Das blasirte Berlin. — Die Pole» und der Landtag. — Das „Schriftstück" der 1^7.
— Noch einmal Janus. — Frühling.

Dem Vollblut-Berliner dauert die Politik schon zu lange; auf dem Landtag
haben sie jetzt nach grade lange genug gesprochen, es handelt sich nun um Interessen,
die keine augenblickliche Erregung hervorrufen, und die gar zu sehr gegen die ge¬
waltsame Spannung der ersten Tage abstechen. Damals, als man von der Tribüne
> rief: Ihr Minister, seht euer Haupt zu Pfand! als von der Ministerbank geantwortet
wurde: ihr wollt doch nicht etwa, daß der König---; damals, als ein Rhein¬
länder nach dem andern die Theorien der Freiheit und Gleichheit auseinandersetzten,
von der Ehre Preußens, von den Befreiungskriegen und dem Uebergreifen des Czaa-
renreichs viel Gutes und Passendes zu sagen wußten, damals war es eine andere
Zeit! Man hatte destillirten Liberalismus! Nun löst sich Alles auf in einzelne Inter¬
essen, der Spiritus wird mit Wasser vermischt. Indeß, was ist zu thun! die
Garcia ist fort, die Ccrittv vergessen, Jenny Lind wird London in Aufruhr setzen,
uns bleibt nur — Kathinka Evers mit den blaßblauen Augen, die höchstens das
Publikum in Erstaunen setzt, wenn sie den Martius-Florestan unter ihren Mantel
nimmt, den armen Jungen, um ihn vor dem bösen Pizarro zu schützen. Es hilft
nichts, wohl oder übel muß doch der Landtag daran; die kritische Schule hat
keinen neuen Standpunkt überwunden, es ist kein Referendarius aufgestanden, eine
neue Religion zu' erfinden, kein Schriftsteller ist ausgewiesen; Nichts! Nichts!
Rellstab kritisirt, O. W. Lange kritisirt, Klein kritisirt. Hieronymus kritisirt,
Gungl spielt. Liebig spielt das ist alles schon dagewesen! Wenn doch die
Akademie wieder.einen Brief schriebe! nicht einmal die Voigtländer machen mehr
in Emeuten!

Das Interesse knüpft sich jetzt an zwei Punkte. Einmal haben sich zum er¬
sten Mal die Polen auf eine kräftige Weise movirt, und die Deputirten von al-


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[0269] Revolution von einem Standpunkte aus schildert, dem alle bisherigen Historio- graphen der Revolution anch nicht einmal nahe gekommen. Lamartine der Poet wird bald vergessen sein, Lamartine der Staatsmann wird nie zu einflußreicher Wirksamkeit gelangen, aber Lamartine der Geschichtsschreiber der Gironde wird von dem bedeutendsten Einflüsse auf die Geistes-Entwicklung des jungen Frank¬ reichs sein. ES ist etwas Großes um eine Anschauung, die das Königthum ver¬ tritt, mit aller Beredsamkeit eines Royalisten, die Republik mit allem Feuer und aller' Begeisterung eines Republikaners und dabei das Maas der Gerechtigkeit rechts und links einhält und über die Kämpfe der Zeit hinaus den sicheren Blick behält in die alles lösende und ausgleichende Zukunft. Uebrigens ist es ziemlich still in der Presse. Madame Sand hat in dem Blatte des Herrn Girardin einen neuen Roman „it k'icciniiio" zu publiciren angefangen, der ganz reizend zu werden verspricht. Ä....V. II. Aus Berlin. Das blasirte Berlin. — Die Pole» und der Landtag. — Das „Schriftstück" der 1^7. — Noch einmal Janus. — Frühling. Dem Vollblut-Berliner dauert die Politik schon zu lange; auf dem Landtag haben sie jetzt nach grade lange genug gesprochen, es handelt sich nun um Interessen, die keine augenblickliche Erregung hervorrufen, und die gar zu sehr gegen die ge¬ waltsame Spannung der ersten Tage abstechen. Damals, als man von der Tribüne > rief: Ihr Minister, seht euer Haupt zu Pfand! als von der Ministerbank geantwortet wurde: ihr wollt doch nicht etwa, daß der König---; damals, als ein Rhein¬ länder nach dem andern die Theorien der Freiheit und Gleichheit auseinandersetzten, von der Ehre Preußens, von den Befreiungskriegen und dem Uebergreifen des Czaa- renreichs viel Gutes und Passendes zu sagen wußten, damals war es eine andere Zeit! Man hatte destillirten Liberalismus! Nun löst sich Alles auf in einzelne Inter¬ essen, der Spiritus wird mit Wasser vermischt. Indeß, was ist zu thun! die Garcia ist fort, die Ccrittv vergessen, Jenny Lind wird London in Aufruhr setzen, uns bleibt nur — Kathinka Evers mit den blaßblauen Augen, die höchstens das Publikum in Erstaunen setzt, wenn sie den Martius-Florestan unter ihren Mantel nimmt, den armen Jungen, um ihn vor dem bösen Pizarro zu schützen. Es hilft nichts, wohl oder übel muß doch der Landtag daran; die kritische Schule hat keinen neuen Standpunkt überwunden, es ist kein Referendarius aufgestanden, eine neue Religion zu' erfinden, kein Schriftsteller ist ausgewiesen; Nichts! Nichts! Rellstab kritisirt, O. W. Lange kritisirt, Klein kritisirt. Hieronymus kritisirt, Gungl spielt. Liebig spielt das ist alles schon dagewesen! Wenn doch die Akademie wieder.einen Brief schriebe! nicht einmal die Voigtländer machen mehr in Emeuten! Das Interesse knüpft sich jetzt an zwei Punkte. Einmal haben sich zum er¬ sten Mal die Polen auf eine kräftige Weise movirt, und die Deputirten von al-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/269>, abgerufen am 05.05.2024.