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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Wahlscenen in England.



Es ist kaum fünfzehn Jahre her, daß England dnrch eine Reform einer
Revolution entging und durch einen freiwilligen und geregelten Fortschritt
sich die Schmerzen ersparte, welche stets die gewaltsamen Sprünge der Völker
begleiten.

, In dem Augenblick, wo das Ministerium Grey es unternahm, die
Natioualvertretung zu reformiren, hatte der Mißbrauch mit den verödeten
Wahlfleckcu (i'otter - Koro"xl>8) eine solche Ausdehnung gewonnen, daß die
Unabhängigkeit der Krone mehr noch als die des Wahlkörpers, auf das
Ernstlichste durch diese Concentration der Majorität in wenigen Händen be¬
droht war.

Die Majorität des Unterhauses war nämlich durch weniger als 15,000
Wähler ernannt. Mehrere Flecken, welche das Wahlrecht besaßen, zählten
nicht mehr als 12, 10, ja 0 Wähler. Galton und Old-Sarum, berühmt
in den Jahrbüchern der Wahlcorruptiou, hatten in der That nur Einen. In
Galton waren sechs Hänser, in Old-Sarum waren nur noch die Ruinen
eines alten Schlosses, welches dennoch das Vorrecht behielt, im Unterhaus
repräsentirt zu werden. Lord John Rüssel konnte also mit Recht sagen:
"Wenn ein Fremder sähe, wie diese weise und große Nation ihre Reprä¬
sentanten wählt, müßte er uicht tief betroffen werden, wenn man ihm eine
Steinmauer zeigte, die zwei Repräsentanten schickt, oder einen Park ohne
Spur von Behausung, dessen Bäume ebenfalls zwei Repräsentanten ent¬
senden?"

Man hatte berechnet, daß unter 658 Abgeordneten 16 durch den Ein¬
fluß von Gouvernements und 471 durch den Einfluß von 144 Pairs und 124
großen Grundeigeuthümern gewählt winden. Sieben Lords allein ernannten 65
Mitglieder des Unterhauses; der Herzog von Norfolk allein 11; die Herzöge
von Nutland und Newcastle jeder 7.


Grcnztote". "I. 41

Wahlscenen in England.



Es ist kaum fünfzehn Jahre her, daß England dnrch eine Reform einer
Revolution entging und durch einen freiwilligen und geregelten Fortschritt
sich die Schmerzen ersparte, welche stets die gewaltsamen Sprünge der Völker
begleiten.

, In dem Augenblick, wo das Ministerium Grey es unternahm, die
Natioualvertretung zu reformiren, hatte der Mißbrauch mit den verödeten
Wahlfleckcu (i'otter - Koro»xl>8) eine solche Ausdehnung gewonnen, daß die
Unabhängigkeit der Krone mehr noch als die des Wahlkörpers, auf das
Ernstlichste durch diese Concentration der Majorität in wenigen Händen be¬
droht war.

Die Majorität des Unterhauses war nämlich durch weniger als 15,000
Wähler ernannt. Mehrere Flecken, welche das Wahlrecht besaßen, zählten
nicht mehr als 12, 10, ja 0 Wähler. Galton und Old-Sarum, berühmt
in den Jahrbüchern der Wahlcorruptiou, hatten in der That nur Einen. In
Galton waren sechs Hänser, in Old-Sarum waren nur noch die Ruinen
eines alten Schlosses, welches dennoch das Vorrecht behielt, im Unterhaus
repräsentirt zu werden. Lord John Rüssel konnte also mit Recht sagen:
„Wenn ein Fremder sähe, wie diese weise und große Nation ihre Reprä¬
sentanten wählt, müßte er uicht tief betroffen werden, wenn man ihm eine
Steinmauer zeigte, die zwei Repräsentanten schickt, oder einen Park ohne
Spur von Behausung, dessen Bäume ebenfalls zwei Repräsentanten ent¬
senden?"

Man hatte berechnet, daß unter 658 Abgeordneten 16 durch den Ein¬
fluß von Gouvernements und 471 durch den Einfluß von 144 Pairs und 124
großen Grundeigeuthümern gewählt winden. Sieben Lords allein ernannten 65
Mitglieder des Unterhauses; der Herzog von Norfolk allein 11; die Herzöge
von Nutland und Newcastle jeder 7.


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[0315] Wahlscenen in England. Es ist kaum fünfzehn Jahre her, daß England dnrch eine Reform einer Revolution entging und durch einen freiwilligen und geregelten Fortschritt sich die Schmerzen ersparte, welche stets die gewaltsamen Sprünge der Völker begleiten. , In dem Augenblick, wo das Ministerium Grey es unternahm, die Natioualvertretung zu reformiren, hatte der Mißbrauch mit den verödeten Wahlfleckcu (i'otter - Koro»xl>8) eine solche Ausdehnung gewonnen, daß die Unabhängigkeit der Krone mehr noch als die des Wahlkörpers, auf das Ernstlichste durch diese Concentration der Majorität in wenigen Händen be¬ droht war. Die Majorität des Unterhauses war nämlich durch weniger als 15,000 Wähler ernannt. Mehrere Flecken, welche das Wahlrecht besaßen, zählten nicht mehr als 12, 10, ja 0 Wähler. Galton und Old-Sarum, berühmt in den Jahrbüchern der Wahlcorruptiou, hatten in der That nur Einen. In Galton waren sechs Hänser, in Old-Sarum waren nur noch die Ruinen eines alten Schlosses, welches dennoch das Vorrecht behielt, im Unterhaus repräsentirt zu werden. Lord John Rüssel konnte also mit Recht sagen: „Wenn ein Fremder sähe, wie diese weise und große Nation ihre Reprä¬ sentanten wählt, müßte er uicht tief betroffen werden, wenn man ihm eine Steinmauer zeigte, die zwei Repräsentanten schickt, oder einen Park ohne Spur von Behausung, dessen Bäume ebenfalls zwei Repräsentanten ent¬ senden?" Man hatte berechnet, daß unter 658 Abgeordneten 16 durch den Ein¬ fluß von Gouvernements und 471 durch den Einfluß von 144 Pairs und 124 großen Grundeigeuthümern gewählt winden. Sieben Lords allein ernannten 65 Mitglieder des Unterhauses; der Herzog von Norfolk allein 11; die Herzöge von Nutland und Newcastle jeder 7. Grcnztote». »I. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/315>, abgerufen am 07.05.2024.